Simon: Muss der Strafanspruch des Staates gegenüber Ärzten, Pflegern und Betreuern von Schwerkranken zurückgedrängt werden?
Däubler-Gmelin: Jetzt muss erst mal gefragt werden, was denn eigentlich die Menschen selbst wollen. Wir haben ja, und damit fängt es an, eine relativ große Scheu über Sterben und Tod zu reden, wenn es uns selbst betrifft, und das ist falsch. Und das zweite ist, wir müssen dann auch darüber reden wie jeder von uns sich menschliches und menschenwürdiges Sterben vorstellt. Das heißt, man möchte ohne Schmerzen sterben und man möchte nicht allein gelassen werden. Sie haben mich als ehemalige Justizministerin angesprochen, ich bin die Schirmherrin der Hospizbewegung, die sich genau das zum Ziel gesetzt hat. Das heißt, Menschen in dieser letzten Lebensphase nicht allein zu lassen und die Möglichkeit flächendeckend in Deutschland auszuweiten, dass man am Ende des Lebens sowohl Selbstbestimmung als auch keine Schmerzen haben muss. Aber das ist natürlich etwas völlig anderes als durch Gesetz zu erlauben, das einer, ein Arzt oder eine Krankenschwester einen sterbenden Menschen aktiv tötet. Das wollen wir nicht, und das ist heute auch strafbar.
Simon: Und können Sie sich vorstellen, dass dieser Strafanspruch des Staates zurückgedrängt werden soll?
Däubler-Gmelin: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, und zwar einfach deshalb, weil jemand anderen aktiv vom Leben zum Tod zu bringen, ist etwas völlig anderes, als einem anderen Menschen zu helfen. Das bedeutet, lassen Sie mich das noch mal ganz konkret ausdrücken. Das ist selbstverständlich und das ist heute geltendes Recht: ein Sterbender ein Schwerkranker hat ein Recht darauf, dass man ihm die Schmerzen nimmt. Das heißt, er muss selber darüber bestimmen können, wann und wie viele Schmerzmittel bekommt. Aber diese feine Grenze, dass ein Arzt einen Schwerkranken zum Tode befördern kann, also nicht seine Schmerzen lindern will, sondern ihn zum Tode befördern kann, die darf nicht überschritten werden.
Simon: Sie kennen sicher auch die Umfrage nach der 42 Prozent aller Deutschen im Falle einer tödlichen Krankheit ihren Arzt um Sterbehilfe bitten wollen. Das Problem ist ja häufig, dass Menschen in einer solchen Situation nicht mehr in der Lage sind, körperlich, vor allem aber geistig, dieses zu tun. Wie kann man das besser als bisher regeln?
Däubler-Gmelin: Schauen Sie, zunächst zu dieser Umfrage. Diese Umfrage ist natürlich sehr stark abhängig von dem, was Sie fragen. Wenn Sie mit Menschen reden, was sie überhaupt wissen, dass sie ein Recht darauf haben, dass ihnen die Schmerzen genommen werden, dass es Palliativmedizin und dass sie darauf einen Anspruch haben - wenn die das wissen, dann sagen sie Ihnen noch, ich möchte nicht allein sein, sondern menschlich begleitet werden, und dann sieht diese Umfrage, die sie geschildert haben ganz anders aus, dann spricht sich eine große Mehrheit sich dagegen aus, dass ein Arzt oder zum Beispiel eine Krankenschwester oder ein Dritter sie töten kann, auch auf Verlangen. Jetzt die Frage, wie man so etwas regeln muss: Ich bin wie ich es gerade schon gesagt habe auch sehr dafür, dass man Sterben nicht unnötig lang verlängert. Das ist auch ein Teil, was man zum Beispiel durch eine Vorsorgevollmacht, also durch jemanden erreichen kann, der einen vertritt, weil man zu dem Vertrauen hat und ihm gesagt, sei du so freundlich, kümmere du dich darum, dass das menschliche Sterben möglich ist an einem Zeitpunkt, wo ich das selber nicht mehr kann. Es gibt auch eine Patientenverfügung. Aber Frau Simon, das Entscheidende ist halt immer, dass nicht ein Dritter über einen bestimmt, sondern dass der eigene Wille und das eigene Wollen, dass man begleitet wird, dass man keine Schmerzen hat, dass Sterben nicht künstlich verlängert wird, dann auch wirklich zum Ausdruck kommt.
Simon: Viele Leute treffen keine Vorsorge. Halten Sie es für wünschenswert, dass jeder eine Patientenverfügung nach bestimmten Normen aufstellen, für sich selber ausfüllen würde?
Däubler-Gmelin: Ja, dafür werben ja nun auch ganz viele und auch die Kirchen. Man muss natürlich nur wissen, es geht darum, dass der Wille des Patienten oder des Sterbenden in dem Zeitpunkt des Geschehens maßgeblich ist, nicht das, was dann hinterher jemand behauptet. Worauf ich hinaus will ist: Es ist am besten, das nicht abstrakt alleine in einer Patientenverfügung zu tun, sondern sich einen Menschen zu suchen, in den man Vertrauen hat, und zu sagen, wir haben jetzt ja so lange darüber geredet, mir ist es wichtig, keine Schmerzen zu haben, ich möchte begleitet werden, ich möchte zu Hause sterben. Dann kann diese Person des Vertrauens, den nennen wir einen Vorsorgebevollmächtigten -tut mir leid, klingt wirklich sehr technisch -, diese Person des Vertrauens kann dann das durchsetzen und die hat auch das Recht dazu.
Simon: Wie kommt es, dass diese Möglichkeiten so wenig bekannt sind?
Däubler-Gmelin: Ja, das kommt daher dass immer noch zu viele Leute, so vielleicht auch ein bisschen verführt durch die Art und Weise wie wir leben und dass hier nur die Jungen und Gesunden wirklich was gelten, zu wenig sich damit befassen, was eigentlich passiert, wenn sie krank werden und wenn sie schwer krank werden, wenn also Tod und Sterben sich nähern. Und deswegen muss man darüber reden, und man muss es auch ganz offen tun, deswegen bin ich auch sehr dankbar, dass Sie das Thema heute aufgreifen.
Simon: Was halten Sie eigentlich von dem Vorstoß der interfraktionellen Gruppe um den SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Stöckel, der will die Tötung auf Verlangen, also dieser Vorstoß, nicht mehr in jedem Fall bestraft sehen. Geben Sie dem Chancen, dem Antrag?
Däubler-Gmelin: Nein. Aber er liegt natürlich in der Zeit in dieser Ex-und-hopp-Mentalität, wo man dann, sagen wir mal, das möglichst nicht Überbedachte, das nicht Bedachte, was ist denn eigentlich menschlich, ja so etwas hochhält, möglichst nicht darüber nachdenken und ex und hopp. Ich glaube, das ist genau das Gegenteil von menschlich und das ist auch das Gegenteil von menschenwürdigem Sterben. Da kommt es darauf an, dass Menschen Hilfe bekommen, dass sie die Schmerzen genommen bekommen, und ich darf wirklich noch mal sagen, hier ist in Deutschland noch sehr viel zu tun, weil es immer noch viele Ärzte gibt, die das nicht wissen, es aber wissen müssten, weil es zu ihren Pflichten gehört, die begleitet werden sollen. Das ist das Eigentliche, was nach meiner langen Erfahrung Menschen wirklich wollen, und ich glaube, darum sollten wir uns bemühen.
Simon: Das war Herta Däubler-Gmelin, Schirmherrin der Deutschen Hospizstiftung und ehemalige Bundesjustizministerin. Vielen Dank für das Gespräch.
Däubler-Gmelin: Danke sehr.