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Hilfsjobs
Die Mittelschicht und ihre Diener

Sei es die Putzhilfe oder der Pizzaservice: Die ehrgeizige Mittelschicht leiste sich zunehmend Diener, um sich in ihrem vollen Arbeitsalltag Freiräume zu schaffen, schreibt der Autor Christoph Bartmann in seinem Essay "Die Rückkehr der Diener". Sie hindere das Servicepersonal auf diese Weise allerdings daran, sich hochzuarbeiten.

Von Holger Heimann | 22.08.2016
    Eine Reinigungskraft putzt in der Stadthalle von Memmingen (Foto vom 10.11.2015) im Gegenlicht. Foto: Karl-Josef Hildenbrand /dpa
    Die moderne Mittelschicht lege niedriger wertige Aufgaben gern in andere Hände, schreibt der Autor Christoph Bartmann. (dpa/picture-alliance/Karl-Josef Hildenbrand)
    "Eine ganze Weile wohnen wir nun schon auf Manhattans Upper West Side, in einem Apartmenthaus am Broadway, das Komfort oder sogar Luxus verspricht, wie Tausende andere Häuser in dieser Stadt auch. (...) Vielerlei Wünsche werden einem erfüllt, es wird einem ungefragt die Tür aufgehalten, Koffer und Pakete werden bei Bedarf in die Wohnung getragen. Zum Standard gehören meist auch ein Kinderspielraum, ein Gym, ein Swimmingpool, eine Dachterrasse – in besseren Häusern dann vielleicht auch noch ein Zen-Meditationsraum, eine Squashhalle oder eine Bibliothek."
    So beginnt Christoph Bartmann, der nach fünf Jahren Manhattan den Rücken kehrt, sein Buch über die "Rückkehr der Diener". Er beschreibt nichts anderes als das typische Versorgungsangebot für all jene New Yorker, die es sich leisten können. Es ist jedoch nicht allein und nicht einmal zuerst Bequemlichkeit, die so bedient wird, die ehrgeizigen Angestellten der Mittelschicht haben kaum eine andere Wahl. Um ihren Lebensstandard in der teuren Metropole zu halten und bloß nicht abzustürzen, arbeiten sie bis zum Umfallen.
    Arbeit bis zum Umfallen
    Da bleibt kaum Zeit, sich auch noch um die Organisation des häuslichen Lebens zu kümmern. Aber dafür gibt es schließlich ein ganzes Heer von Dienern. Bartmann mochte es irgendwann nicht mehr, rundum versorgt zu werden. Sein Unbehagen hatte Folgen: Er bestellte die Zugehfrau ab und putzte die Wohnung wieder selbst. Und er dachte intensiver über "das neue Bürgertum und sein Personal" nach. New York mag hierfür deutlich krasseres Anschauungsmaterial liefern als Berlin, München oder Hamburg. Aber die Abhängigkeitsverhältnisse, die Bartmann in seinem Buch beschreibt, sind weit mehr als eine bloß US-amerikanische Angelegenheit.
    "Ich denke, dass die ehrgeizige, leistungsfreudige Mittelklasse, also Leute wie wir vielleicht, dass wir unser Vereinbarkeitsproblem auf dem Rücken anderer Leute austragen – sehr häufig – und darüber nicht genug nachdenken. Man muss schon daran denken, was man denen zumutet, die man natürlich bezahlt – landesüblich und angemessen vielleicht – und trotzdem hindert man diese Menschen durch seine eigene Dienstbedürftigkeit daran, selbst ein Leben zu führen, wie man es für sich beanspruchen würde."
    Status quo soll abgebildet werden
    Den willigen Helfern jedoch bieten sich nur äußerst selten verlockende Alternativen. Der Weg heraus aus der Serviceklasse in attraktivere Berufe ist für sie nur sehr schwer gangbar. Bartmann weiß das. Er verfolgt die daraus erwachsenen Konsequenzen für das Personal, das vielfach schon glücklich sein muss, überhaupt einen Job zu haben, aber nur am Rande weiter. Dem Autor geht es um den Status quo. Dass das Leben der Dienerkaste immer auch noch prekärer sein könnte, hält Christoph Bartmann nicht davon ab, die gegenwärtigen Zustände eingängig zu hinterfragen. Er seziert dabei ein System aus Abhängigkeiten, in dem für die Bedürfnisse der Dienerschaft kein Platz bleibt. Doch was gewinnt im Gegenzug derjenige, der auf allerlei Hilfsdienste zurückgreift – sich die Wohnung sauber machen, die Hemden bügeln und die Einkäufe liefern lässt? Es ist eine der Kernfragen für Bartmann. Seine Antwort ist ernüchternd.
    "Wir glauben, wir verschafften uns durch diese ganzen Delegationen Qualitätszeit – so heißt ja der Begriff, der gerne verwendet wird. Diese Qualitätszeit besteht aber oft nur darin, dass wir nervös irgendwelche E-Mails checken oder Bahnfahrten googeln. Also ich bin ständig am Checken und Konfigurieren und Erledigen. Auch in meiner Freizeit habe ich eine lange To-do-Liste. Dann versuche ich die niedriger wertigen Aufgaben in andere Hände zu legen – immer in der Hoffnung, dass ich mir durch diese Manöver an anderer Stelle etwas mehr freie Zeit verschaffe. Aber freie Zeit ist noch mal was anderes als Freizeit. Ich glaube, viele Menschen kommen nie in der freien Zeit an."
    Die im Beruf erworbene Management-Expertise durchdringt zunehmend auch unser Handeln außerhalb des Büros, glaubt Bartmann. Nach einem straffen Programm wird die eigene Performance ständig perfektioniert. Es ist gewissermaßen eine Dienstleistung an sich selbst. Da wird im Fitnessstudio der Körper trainiert und beim Yoga der Stress abgebaut. Für schönes, befreites, ungeplantes Nichtstun ist kaum Platz, denn der Terminkalender, auch fürs Private, ist perfekt durchgeplant.
    Keine Pauschalattacke gegen Dienstleistungen
    Bartmanns Analyse wirkt hie und da ein bisschen überzeichnet, aber in der Tendenz ist sie durchaus zutreffend. "Man muss aufpassen, dass man vor lauter Lebenserleichterung die Qualität des vollen Lebens nicht verfehlt", schreibt er schön und prägnant. Wo liegt also die Lösung? Zurück zum einfachen Leben, zum Selbsttun, zum Weniger? Ganz so simpel ist es nicht. Bartmann hält nichts von Radikallösungen, sein Buch ist keine Pauschalattacke gegen alles, was mit Dienstleistung zu tun hat. Neben vielen überflüssigen Diensten gibt es Service, der notwendig ist, so hält er fest, – vor allem wenn es um die Pflege der Kranken und Betagten geht.
    "Wann und wo ich delegiere, wo ich intime Fürsorge auslagere und wo nicht, wo in familiären Sorgeakten die Grenzen zwischen unverfügbarem Selbsttun und Transfer an Dritte verlaufen, wird eine Frage des Abwägens sein. Zwischen einer Kultur des radikalen Selbermachens und einer anderen Kultur der konsequent zugekauften Entlastungen wird man sich Wege suchen, die eine Balance absehen lassen zwischen Kernzuständigkeiten und den sonstigen Notwendigkeiten der Lebensführung."
    Absehbar ist bereits, dass das Pflegepersonal noch knapper werden wird. Nach Bartmanns Überzeugung werden wir uns deshalb bald konkret mit der Frage beschäftigen müssen, ob Roboter ein adäquater Ersatz sein können und mehr noch, ob sie es sein sollten. Die digitale Technologie hat mit Plattformangeboten und Apps die Welt der Dienstleistungen längst radikal verändert. Aber die Überantwortung der Pflege nächster Angehöriger an Maschinen stellt eine Gesellschaft vor andere ethische Fragen, als sie bei der Reinigung von Wohnungen aufgeworfen werden. Christoph Bartmann ist trotzdem ein Befürworter maschineller Hilfe – auch bei der Betreuung – insofern durch sie eine Lücke gefüllt wird.
    Befürworter von Pflegerobotern
    "Wenn Roboter Dinge können, die nützlich sind und es niemand gibt, der diese Jobs machen will, also keine Menschen mehr verfügbar sind, dann soll man froh sein, dass es die Roboter gibt und sie an den Start bringen. Das hört sich aus deutscher Perspektive alles ein bisschen utopisch an, aber aus japanischer Perspektive nicht."
    Mag die japanische Gesellschaft in ihrer Technikbegeisterung uns immer ein wenig fremd bleiben und mag manches Verhalten vor allem in der US-amerikanischen Kultur verwurzelt sein – hier wie dort lassen sich Beobachtungen machen, die in absehbarer Zeit auch unser Leben noch deutlicher prägen werden. Christoph Bartmanns Buch ist ein elegant geschriebenes Plädoyer dafür, diese Zukunft nicht einfach geschehen zu lassen, sondern sie bewusst zu gestalten.
    Christoph Bartmann: "Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal"
    Carl Hanser Verlag, München 2016. 288 Seiten, 22 Euro.