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"Hinter dem breiten deutschen Rücken versteckt"

Die Opposition hat Bundeskanzlerin Merkel vorgeworfen, sie habe durch zu zögerliches Handeln die Hilfen für Griechenland teurer werden lassen als ursprünglich nötig. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), lenkt dagegen. Früheres Handeln sei nicht möglich gewesen.

Norbert Lammert im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 03.05.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist noch gar nicht lange her, da musste die Politik schon einmal rasch handeln. Angesichts drohender Bankpleiten schnürten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat in Rekordgeschwindigkeit ein milliardenschweres Rettungspaket und dieses Tempo schien auch nötig, denn die Stabilität des gesamten Bankensystems stand damals auf der Kippe. Nun also Griechenland. Die Euro-Länder haben gestern den Nothilfeplan aktiviert, der Kredite und entsprechende Bürgschaften in Milliardenhöhe vorsieht. Dazu muss das Gesetz aber zunächst durch Bundestag und Bundesrat. Am Telefon begrüße ich jetzt Bundestagspräsident Norbert Lammert von der CDU. Schönen guten Morgen, Herr Lammert.

    Norbert Lammert: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr Lammert, in rascher Folge werden wichtige Entscheidungen des Parlaments sozusagen im Schweinsgalopp herbeigeführt. Werden die beschleunigten Verfahren im Bundestag jetzt mehr und mehr zur Regel?

    Lammert: Nein, ganz sicher nicht. Es hat ja auch sowohl die Bundeskanzlerin wie die Fraktionsvorsitzenden, jeder, der an diesem Verfahren beteiligt ist, keinen Zweifel daran gelassen, dass wir aus den bekannten Gründen nicht früher beraten konnten, als die Voraussetzungen auf griechischer Seite für ein solches Notpaket geschaffen worden waren, dass wir aber nach Schaffung dieser Voraussetzungen so schleunigst wie möglich unsererseits die gesetzlichen Ermächtigungen schaffen wollen.

    Heckmann: Der Kanzlerin wurde vorgeworfen, sich auf Kosten Griechenlands als eiserne Kanzlerin profiliert zu haben und die Lage damit verschlimmert zu haben. Sollte das Thema also aus dem NRW-Landtagswahlkampf herausgehalten werden?

    Lammert: Es ist ganz offenkundig unvermeidlich, dass, wie immer man sich in einer solchen Frage verhält, die eine oder die andere Art von Vorwürfen vorgetragen wird. Man stelle sich mal vor, die Kanzlerin und andere Verantwortliche hätten in den vergangenen Wochen den Eindruck erzeugt, dass es nur entsprechender Hilfsappelle bedarf und schon stellten wir einen hohen Kreditbetrag zur Verfügung beziehungsweise eine dafür erforderliche Bürgschaft für extrem hohe Kredite an Griechenland. Es hätte mit unfehlbarer Sicherheit den Vorwurf gegeben, dass wir, ohne dass überhaupt die Voraussetzungen für eine nachhaltige Korrektur der wirtschaftlichen Probleme in Griechenland geschaffen worden seien, hier bereits eilfertig Hilfszusagen gemacht hätten.

    Heckmann: Die Wirtschaft gibt den Rahmen vor, so hat es den Eindruck, die Politik reagiert zunehmend hektisch, Beispiel Regulierung der Finanzmärkte. Dabei ist bisher herzlich wenig herausgekommen. Die Experten sagen, die Spekulationen gehen weiter. Vom Primat der Politik ist nicht viel zu spüren?

    Lammert: Der Einwand ist ernster zu nehmen als der andere, über den wir gerade vorher gesprochen haben. Tatsächlich reicht auch mir das Maß der bisher zustande gekommenen Vereinbarungen für eine Verhinderung von Wiederholungen der riesigen Finanzkrise des letzten und vorletzten Jahres nicht. Hier ist allerdings zu bedenken, dass nationale Regelungen, die vergleichsweise schneller herbeigeführt werden können, nur einen sehr geringen, wenn überhaupt einen nennenswerten Einfluss auf diese internationalen Finanztransaktionen haben. Das heißt, die Wirksamkeit solcher, aus meiner Sicht dringend erforderlichen gesetzlichen Reglementierungen steht und fällt mit dem Ausmaß der internationalen Vereinbarungen, und ich bedauere sehr, dass dies bislang nicht in dem notwendigen Umfang gelungen ist.

    Heckmann: Einige Boulevardmedien, Herr Lammert, haben im Vorfeld heftig gegen die Hilfen polemisiert. Scheint da eine neue EU-Skepsis auf, die europafeindliche Kräfte in Deutschland hineinstoßen könnten?

    Lammert: Man muss sicher davon ausgehen, dass die EU-Begeisterung seit geraumer Zeit nicht nur in Deutschland deutlich zurückgegangen ist. Ereignisse wie diese sind naturgemäß nicht dazu angetan, sie mit neuem Schub zu versehen. Man darf da ja nun auch keine weltfremden Erwartungen haben. Aber in dieser, wie in jeder anderen vergleichbar wichtigen Frage bleibt immer abzuwägen, welche der denkbaren Vorgehensweisen am ehesten geeignet ist, entstandene Probleme zu lösen und für die Zukunft ähnliche Probleme auszuschließen, und nicht, welche Art von Reaktionen vielleicht einer verbreiteten öffentlichen Stimmungslage am ehesten gerecht wird.

    Heckmann: Herr Lammert, Bundeskanzlerin Merkel hatte ja darauf gepocht, dass zunächst von griechischer Seite ein großes Sparpaket geschnürt wird, bevor Hilfen zugesagt werden. Sie hat sich damit innerhalb Europas auch durchgesetzt und sich dabei aber nicht nur Freunde gemacht. Spielt Deutschland in Europa jetzt wieder eine dominierende Rolle?

    Lammert: Auch diese Fragestellung bestätigt doch einmal mehr, dass es gar keine Vorgehensweise gibt, die auf allgemeinen Beifall hätte rechnen können. Zum einen wird der Vorwurf erhoben, dass wir nicht sofort und ohne jede belastbaren Bedingungen auf griechischer Seite zu Hilfsmaßnahmen bereit gewesen seien. Auf der anderen Seite wird kritisiert, dass die Weigerung, solche Hilfszusagen ohne entsprechende Voraussetzungen zu treffen, Deutschland in eine isolierte Position in Europa gebracht habe. Letzteres trifft übrigens glücklicherweise nicht zu. Manch andere Regierungen haben sich gerne hinter dem breiten deutschen Rücken versteckt und Deutschland gewissermaßen die Debatte führen lassen, an deren Ergebnis sie nicht weniger interessiert waren als wir selbst.

    Heckmann: Aus aktuellem Anlass, Herr Lammert, noch eine Frage zum Thema Parteienfinanzierung. Der "Spiegel" berichtet in seiner jüngsten Ausgabe von neuen Vorwürfen zur Spendenpraxis der CDU in Nordrhein-Westfalen von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Sie haben den Vorgang auch schon auf dem Tisch. Es geht da um die Initiative "Wähler für Wechsel", die damals im Jahr 2005 Gelder für Anzeigen einsammelte. Diese Initiative sei enger mit der CDU verbunden gewesen als bisher bekannt. Sehen Sie Strafzahlungen auf Ihre eigene Partei zukommen?

    Lammert: Wie immer in solchen Fällen prüfen wir, sobald wir Anhaltspunkte für mögliche Verstöße gegen das Parteiengesetz haben. Diese Prüfung ist längst eingeleitet. Die Berichterstattung ist neu, aber der Vorgang nicht. Und wie in allen vergleichbaren Fällen äußere ich mich über den Sachverhalt erst dann, wenn die Prüfung abgeschlossen ist.

    Heckmann: Wann wird das der Fall sein?

    Lammert: Sobald die Prüfung fertig ist. Ich habe ja gerade vor wenigen Wochen wieder einmal die erstaunliche Erfahrung machen müssen, dass ich bei einem anderen Prüfvorgang mit dem Vorwurf konfrontiert war, ich würde das doch ganz gewiss über das Ergebnis der Landtagswahlen hinaus verzögern, und als dann sehr schnell das Prüfungsergebnis vorlag und von mir der Öffentlichkeit vorgetragen wurde, bekam ich den umgekehrten Vorwurf, ich hätte mit bemerkenswerter Eilfertigkeit noch vor den Wahlen das Prüfungsergebnis ohne Befund vorgetragen.

    Heckmann: Der Bundestagspräsident ist ja für die Prüfung der Finanzierung der Parteien zuständig. Sie selbst haben Zweifel daran angemeldet, ob das eine glückliche Konstruktion sei. Können Sie das überhaupt unabhängig prüfen?

    Lammert: Ich muss es, weil die Gesetzeslage so ist, wie sie ist. Dass ich das nicht zu meinen privilegierten Amtsaufgaben halte, habe ich öffentlich häufig genug vorgetragen. Aber solange die Gesetzeslage den Bundestagspräsidenten mit genau dieser Prüfung beauftragt, werde ich mich dieser Verpflichtung stellen, und alle Fraktionen im Deutschen Bundestag haben ausnahmslos ausdrücklich erklärt, sie hätten an der Überparteilichkeit meiner Prüfung überhaupt keinen Zweifel.

    Heckmann: Bundestagspräsident Norbert Lammert von der CDU im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Lammert, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Lammert: Schönen guten Tag noch.