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Hintergrundgespräche
Transparenzklage wird Intransparenz erzeugen

Das Berliner Verwaltungsgericht hat das Bundeskanzleramt zu Auskunft über bislang geheim gehaltene Treffen von Angela Merkel mit Journalisten verpflichtet. Dabei tragen Hintergrundgespräche zu einer fundierteren Information der Öffentlichkeit bei, kommentiert Stephan Detjen, Leiter des Dlf-Hauptstadtstudios.

Von Stephan Detjen | 17.11.2020
Foto- und Fernsehjournalisten drängen sich vor dem Rednerpult, Merkel steht dahinter und legt die Hände zur Raute zusammen.
Angela Merkel vor Journalistinnen und Journalisten - so offen wird im Bundeskanzleramt nicht immer kommuniziert (dpa/Wolfgang Kumm)
Der James Brady Press Biefing Room, der Presseraum des Weißen Hauses, ist nur ein paar Schritte vom Oval Office entfernt. Vor laufenden Kameras ließ sich hier die Verwundung der amerikanischen Demokratie beobachten. Begegnungen des Präsidenten und seiner Sprecher mit Journalisten wurden zu feindseligen Wortgefechten. Trump beleidigte, diskreditierte und spaltete die Medien in Freund und Feind. CNN-Journalisten wurden abgewürgt oder das Mikrofon wurde ihnen vor der Nase weggezogen, wenn sie kritische Fragen stellten. Die Hofberichterstatter von Breitbart und Fox News dagegen wurden nach den offiziellen Pressekonferenzen zu vertraulichen Hintergrundgesprächen in die engen Korridore des West Wings durchgewunken und mit Insiderinformationen aus dem Zentrum der Macht aufmunitioniert.
Niemand kann garantieren, dass es nicht auch in Deutschland eines Tages so oder ähnlich kommt. Ein Kanzler könnte auch hier versuchen, die Medien zu bespielen, in dem er Informationskanäle für die einen auf-, für die anderen abdreht, Seilschaften mit willfährigen Journalisten bildet, Medien gegeneinander ausspielt. Wenn Staats- und Medienmacht sich verbünden, entsteht ein giftiges Oligopol.
Corona-Pläne der Politik: Kommunikation in der Krise
Im politischen Hauptstadt-Journalismus sind Kontakte entscheidend. Je näher Medien Politikern sind, umso exklusiver sind die Geschichten. Das zeigt sich auch aktuell. Die aktuellen Corona-Maßnahmen wurden bereits im Vorfeld Stück für Stück öffentlich.
Es geht nicht nur um rechtliche Normen
Mache glauben, dem mit verschärften Transparenzvorschriften begegnen zu müssen, bevor es zu spät ist. Ein Redakteur des Berliner "Tagesspiegels" kämpft seit Jahren vor Gerichten dafür, Namen und Inhalte zu vertraulichen Hintergrundgesprächen zu erhalten, die Bundesregierung und Spitzenbehörden des Bundes mit Journalisten führen. Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das die Regierung jetzt dazu verpflichtet, Details zu Hintergrundgesprächen der Kanzlerin zu veröffentlichen, klärt indes noch nicht endgültig, wie weit grundrechtliche Auskunftsansprüche die Informationspolitik der Regierung binden. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Verwaltungsgericht die Berufung zugelassen. Am Ende wird die Frage vermutlich in Karlsruhe landen.
Auch das Bundesverfassungsgericht stand kürzlich erst in der Kritik, weil es seine Urteile einem Kreis von Fachjournalisten, den Mitgliedern der Karlsruher Justizpressekonferenz, bereits am Vorabend der Verkündung vertraulich zur Kenntnis gibt. Die Richter haben sich trotz der Kritik entschieden, an der Praxis festzuhalten, weil sie darin einen Beitrag zu einer gut informierten und sachlich fundierten Berichterstattung sehen. Das zeigt, dass der Ausgang der Auseinandersetzung noch offen ist.
Im Kern geht es dabei nicht nur um rechtliche Normen, sondern auch um kulturelle Übereinkünfte. Wie eine Regierung mit Journalisten spricht, wie viel Aufwand sie zur Erklärung ihrer Politik betreibt, ob sie sich mit ihr freundlich gesinnten Medien verbündet, lässt sich mit staats- und verwaltungsrechtlichen Mitteln nur begrenzt bestimmen. Eine Regierung, die darauf abzielt, Transparenzvorschriften zu unterlaufen, minimiert die schriftliche Dokumentation ihres Handelns, verlagert Entscheidungsprozesse immer weiter in informelle Kanäle, vermeidet die Begegnung mit einer kritischen Öffentlichkeit.
Zweiklassengesellschaft bei der Berichterstattung?
Journalistinnen und Journalisten kritisieren eine "heimliche Pressearbeit" des Bundesverfassungsgerichts. Manche erhalten Informationen früher als andere. Das höchste deutsche Gericht sieht darin ein Mittel, die Qualität der Berichterstattung zu sichern. Ist diese Praxis noch zeitgemäß?
Voraussetzung ist ein Mindestmaß an Grundvertrauen
Auch das Verhältnis von Politik und Medien in Deutschland ist sowohl von rechtlichen Rahmenbedingungen als auch von kulturellen Übereinkünften geprägt. Dazu gehören Hintergrundgespräche, in denen Politiker mit Journalisten im Vertrauen darauf sprechen, dass das Gesagte nicht gleich am nächsten Morgen in der Zeitung steht. Das kann dazu dienen, Motive, Entscheidungsnöte, persönliche Dispositionen in der Politik verständlich zu machen. Das kann genauso zum Versuch benutzt werden, Journalisten auf falsche Fährten zu locken und Berichterstattung zu lenken. Zwischen beidem unterscheiden zu können, gehört zum Handwerkszeug eines professionellen und unabhängigen Journalismus. Wenn Journalisten es beherrschen, tragen Hintergrundgespräche zu einer fundierteren Information der Öffentlichkeit bei.
Voraussetzung dafür aber ist ein Mindestmaß an Grundvertrauen zwischen allen Beteiligten. Wenn Politiker nicht mehr darauf vertrauen, sich auch Journalisten gegenüber jenseits von öffentlichen Statements und Interviews äußern zu können, wenn Journalisten und Politiker sich nur noch in einem Verhältnis der Feindschaft gegenüberstehen, und Mediennutzer in Journalisten nur noch potenzielle Kumpane von Politkern sehen, ist nicht eine rechtliche Ordnung, sondern eine gewachsene Kultur der demokratischen Öffentlichkeit gestört.
Vertrauen und Misstrauen, Öffentlichkeit und geschützte Kommunikationsräume müssen in der Demokratie in einer Balance gehalten werden, die sich nicht einfach verordnen lässt. Sie muss kulturell hergestellt und stabilisiert werden. Eine rechtliche Verpflichtung der Regierung, alle Journalistenkontakte offenzulegen, wird dazu wenig beitragen. Sie wird zunächst nur dazu führen, dass die Regierung Hintergrundgespräche in der bisherigen Form schlicht nicht mehr führt. Das wird die Informationsflüsse aus dem Kanzleramt und Ministerien in die Medien nicht stoppen, sondern weiter in informelle und clandestine Kanäle verlagern. Der Zugang dazu wird begrenzter, selektiver und exklusiver sein als bisher. Der Versuch, vor Gerichten Transparenz zu erstreiten, wird in der Politischen Praxis am Ende zu mehr Intransparenz führen.