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Hintze: Friedrich Merz wäre ein ausgezeichneter EU-Superkommissar

Heuer: Über den Gipfel in Brüssel möchte ich jetzt wie angekündigt mit Peter Hintze reden, dem europapolitischen Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Hintze.

Moderation: Christine Heuer |
    Hintze: Guten Morgen Frau Heuer.

    Heuer: Wieso ist Chris Patten für Sie der beste Kommissionspräsident?

    Hintze: Chris Patten hat als Kommissar ausgezeichnete Arbeit geleistet. Er ist europaweit anerkannt. Er kommt aus der Parteienfamilie, die bei den europäischen Wahlen von der Mehrheit der Bürger Europas gewählt worden ist, und in der neuen Verfassung, die ja fertig ist und jetzt verabschiedet werden soll, steht drin, dass der Kommissionspräsident vom europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs im Lichte des Ergebnisses der Europawahl benannt werden soll. Er muss auch die Mehrheit im Europäischen Parlament finden.
    Bundeskanzler Schröder hat einen Vorschlag gemacht mit Guy Verhofstadt, der sich über die Mehrheit im Europäischen Parlament einfach kühl hinwegsetzt und auch gegen die Mehrheit des Wählerwillens ist. Das finden wir undemokratisch und deswegen haben die Christdemokraten und die Parteien der bürgerlichen Mitte einen eigenen Vorschlag gemacht, nämlich den bisherigen Außenkommissar Chris Patten.

    Heuer: Sie heben Pattens Erfahrungen hervor und die Tatsache, dass er europaweit anerkannt ist. Das klingt ja fast noch besser als Edmund Stoiber, Herr Hintze?

    Hintze: Das wäre sicherlich auch ein interessanter Vorschlag gewesen. Nun ist bei dem Amt auch wichtig, dass man sagt ich möchte das gerne machen. Edmund Stoiber, der ja nun alle Qualifikationen der Welt hat, sagt einfach, dass er sich in München und in Deutschland politisch wohler fühlt und dort richtiger aufgehoben fühlt. Das muss man respektieren. Mit Chris Patten haben wir eben einen, der hier diese Unterstützung findet und übrigens sehr interessanterweise auch die Unterstützung von Tony Blair, der ja nun Labour-Premierminister ist, aber trotzdem sagt: obwohl Patten nicht meiner Partei angehört, finde ich ihn einen interessanten und unterstützenswerten Vorschlag. Großbritannien würde ja mit Patten dann den Platz in der Kommission bekommen. Das heißt die Regierung in London würde zu Gunsten der Wählermehrheit auf die eigene Position verzichten. Das finde ich sehr demokratisch und auch im Geist der neuen Verfassung. Der Versuch von Bundeskanzler Schröder, Guy Verhofstadt durchzuboxen gegen die Europawahlen, die ja die Sozialdemokraten in Deutschland haushoch verloren haben, auch europaweit verloren haben, ist schon ein ziemlich heftiger Vorgang.

    Heuer: Aber so viel Unterstützung, Herr Hintze, hat Chris Patten dann ja doch wieder nicht. Sonst hätten sich die Staats- und Regierungschefs ja gestern Abend schon auf ihn einigen können. Ist es dann nicht besser, gleich einen dritten Mann zu suchen, der ein starker Präsident sein kann?

    Hintze: Wir haben einen wichtigen Unterschied zu sehen. Im Europäischen Parlament sind die Mehrheitsverhältnisse klar. Wir haben dort mit großer Mehrheit die Europäische Volkspartei, in der die Christdemokraten und die bürgerlichen Parteien zusammengeschlossen sind. Hans-Gert Pöttering ist der alte und wird der neue Fraktionsvorsitzende. Die haben auch ein klares Votum für Patten abgegeben.

    Bei den Staats- und Regierungschefs haben wir leider nicht die Mehrheit und das Fatale ist, dass die zwar einen Vorschlag machen müssen, der auf die Mehrheit im Parlament zielt, aber selbst natürlich sind wir dort nicht die Mehrheit. Das macht die Sache schwierig und deswegen war zu befürchten, dass die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs sagt, wir haben zwar die Europawahl verloren, aber wir lassen uns von der Parlamentsmehrheit hier keinen Vorschlag machen. Da muss Europa demokratisch also noch ein bisschen arbeiten, dass jetzt tatsächlich nach einem dritten gesucht wird. Es kann sein, dass die Auflösung aller Probleme doch im luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker liegt, der ja ein ganz alter europäischer Fahrensmann ist, der schon in Maastricht dabei war, bei der Begründung der Europäischen Union, beim EU-Vertrag, und der aus unserer Parteienfamilie kommt, der Christdemokrat ist, der aber auch breite Anerkennung bei den anderen findet, bisher nur aus Rücksicht auf seine Verantwortung in Luxemburg das abgelehnt hat. Es kann aber durchaus sein, dass es dort endet, obwohl ich schon schade finde, dass die Regierungschefs nicht akzeptieren was die Mehrheit im Europäischen Parlament hier vorschlägt.

    Heuer: Eine andere Personalie, Herr Hintze, ist der erste EU-Außenminister. Als solchen hat der französische Präsident jetzt den derzeitigen außenpolitischen Repräsentanten Solana vorgeschlagen. Wären Sie damit einverstanden?

    Hintze: Das finde ich einen sehr guten Vorschlag. Herr Solana ist ein erstklassiger Repräsentant für diese Aufgabe. Das hat er in seiner bisherigen Funktion gezeigt. Er ist auch parteiübergreifend in der Lage, hier zu wirken. Aber sehen Sie, das ist auch ein schönes Beispiel. Man kann sagen, dass das vielleicht das zweitwichtigste Amt ist. Das würde dann mit Solana mit einem Sozialisten besetzt, einen, den ich voll unterstütze, weil ich ihn für sehr qualifiziert halte. Aber man kann ja nicht sagen, die Parteien der bürgerlichen Mitte gewinnen die Europawahl und zum Ausgleich bekommen die Sozialisten alle Funktionen. Also mit Solana bin ich einverstanden, aber an der Spitze der Kommission muss sich das Mehrheitsvotum der Wähler wieder finden.

    Die dritte Frage ist natürlich: wer bekommt den Kommissar, der sich um Industrie, Wettbewerb und Wirtschaft kümmern wird. Man hat ja den Gedanken ins Gespräch gebracht, den ich für richtig halte, einen besonders starken Kommissar für die großen Wirtschaftsthemen aus einer der großen Wirtschaftsnationen Europas zu benennen.

    Heuer: Wer soll das sein?

    Hintze: Hier wäre an Deutschland zu denken und hier stehen wir wieder vor der Gretchenfrage: wer soll das sein. Ich bin der Auffassung, nachdem in Deutschland CDU und CSU mit derartig überwältigender Mehrheit die Europawahlen gewonnen haben und die Sozialdemokraten auf Anfang 20 Prozent herabgesunken sind und rot-grün zusammen weit weniger Stimmen hat als CDU und CSU alleine, dass auch hier CDU/CSU ein Vorschlagsrecht hat. Ich fände zum Beispiel, dass Friedrich Merz ein ausgezeichneter Kandidat wäre für einen Superkommissar für Wirtschaft und Industrie in Europa.

    Heuer: Möchte Friedrich Merz das auch werden?

    Hintze: Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen, aber die Regierung hat uns ja leider signalisiert, dass sie auch in Deutschland das Ergebnis der Europawahl zu ignorieren gedenkt. Das wird natürlich den Europaverdruss steigern. Ich glaube aber, das wäre ein sehr souveräner Akt, wenn eine solche qualifizierte Persönlichkeit auf die Position des Wirtschafts- und Industriekommissars käme. Das täte Europa sehr gut und hätte auch gute Rückwirkung auf Deutschland denke ich.

    Heuer: Und Herr Hintze, hat denn Herr Merz in dieser Position schon den Rückhalt von Frau Merkel? Wissen Sie das?

    Hintze: Davon bin ich felsenfest überzeugt. Sie hat ihn ja auch vorgeschlagen als stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und sie weiß, dass es ein ganz qualifizierter, hervorragender Bewerber ist. Er war übrigens ja früher selbst Mitglied des Europäischen Parlaments. Er kennt also die europäische Ebene ausgezeichnet. Er kennt auch die deutsche Politik. Vielleicht muss man sich sowieso etwas mehr angewöhnen, was in Frankreich schon lange Tradition ist, dass jemand in einer nationalen Regierung sein kann, trotzdem in die Kommission gehen kann, auch wieder in die nationale Regierung. Herr Barnier beispielsweise ist ja aus der Kommission in die nationale Regierung in Frankreich als Außenminister gewechselt. Auch dieses Wechseln zwischen der europäischen und der nationalen Ebene müsste mehr möglich werden. Nach meiner Auffassung täte der Bundeskanzler ein gutes daran, wenn er das Ergebnis der Europawahl akzeptieren würde und der Union das Vorschlagsrecht für den deutschen Kommissar gibt und sich nicht darüber hinwegsetzt. Bei den letzten Wahlen haben wir die auch gewonnen; beide Kommissare sind rot-grün besetzt worden. Nur haben wir jetzt die neue Verfassung am Horizont und im Lichte dieser neuen Verfassung sollte Schröder auch das Wählervotum ernst nehmen.

    Heuer: Lassen Sie uns noch über die Verfassung sprechen, Herr Hintze. Die irische Präsidentschaft schlägt jetzt ja eine modifizierte doppelte Mehrheit vor. An der Frage der Stimmverteilung war der letzte Gipfel gescheitert. Die Polen, die sich damals stark gemacht hatten gegen die doppelte Mehrheit, fordern jetzt aber zumindest zusätzlich Zusatzklauseln. Würde das nicht das Stimmverhalten in Europa einfach viel zu kompliziert machen?

    Hintze: Da gebe ich Ihnen ausdrücklich Recht. Das Prinzip der doppelten Mehrheit ist ein kluges Prinzip, weil man sagt, es muss die Mehrheit der Staaten zustimmen und es muss auch eine Mehrheit der davon repräsentierten Bevölkerung zustimmen. Der Konvent, der die Verfassung vorbereitet hat, hat gesagt 50 Prozent der Staaten und 60 Prozent der Bevölkerung. Nun hat man sich schon hoch gehangelt auf 55 Prozent der Staaten und 65 Prozent der Bevölkerung. Dabei sollte es eigentlich gut sein. Jetzt werden noch weitere Zusatzklauseln überlegt. Ich meine der Charme des Konventsentwurfs ist die große Klarheit und auch der demokratische Ausgleich zwischen großen und kleinen. Es wäre gut, wenn es dabei bliebe, aber ich fürchte wir werden mit der einen oder anderen Zusatzklausel noch leben müssen.

    Heuer: Gestritten wird auch noch über den Stabilitätspakt. Die irische Präsidentschaft ist hier unter anderem Deutschland gefolgt. Nun sollen die Rechte der Kommission gegenüber den Defizitsündern, also zum Beispiel gegenüber Deutschland, doch nicht gestärkt werden. Ist das ein Fehler?

    Hintze: Ich halte es für einen schweren Fehler, dass der deutsche Außenminister ganz kurz vor Ende der Beratungen über diese Verfassung im Kreis der Regierungschefs noch einen Vorschlag eingebracht hat, die Kommission im Defizitverfahren entscheidend zu schwächen. Es geht um folgendes: Der Konvent hatte entschieden, die Kommission soll im Defizitverfahren ein Vorschlagsrecht haben, was zu geschehen hat. Dann kann dieser Vorschlag in seinem Inhalt nur einstimmig durch den Rat der Finanzminister wieder geändert werden. Ob sie ihn annehmen oder nicht, darüber müssen sie mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, aber sie können ihn nur noch einstimmig ändern.
    Jetzt soll das Recht der Kommission im Defizitverfahren wieder auf eine Empfehlung heruntergedrückt werden, so dass mit qualifizierter Mehrheit auch der Inhalt geändert oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden kann. Das haben wir ja im bisherigen Defizitverfahren erlebt, wie der Egge Finnrad sich dann lächelnd über das Votum der Kommission hinweggesetzt hat.
    Hier haben die Parlamentarier gesagt, die Kommission muss stärker sein. Das ist leider jetzt sehr stark gefährdet. Ich hoffe im letzten Moment auf Einsicht. Ich fürchte aber, dass dieser Angriff gegen die Kommission Erfolg hat.

    Heuer: Herr Hintze, ganz kurz zum Schluss. Thema Gottesbezug in der Präambel. Der CSU-Rechtsexperte Norbert Geis fordert darüber jetzt einen Volksentscheid. Sind Sie dafür, ja oder nein?

    Hintze: Ich bin für einen Gottesbezug. Er täte der EU-Verfassung gut. Er wäre ein wichtiger Hinweis auf die Vorläufigkeit des menschlichen Handelns. Und ich fände auch gut einen Bezug auf das christliche Erbe, denn nichts hat Europa mehr geprägt als das Christentum.

    Heuer: Volksentscheid, ja oder nein?

    Hintze: Ich bin dafür, dass wir das in den Parlamenten entscheiden. Wir sollten die Verantwortung nicht abschieben.

    Heuer: Peter Hintze, der europapolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. - Danke Herr Hintze!

    Hintze: Danke Frau Heuer.