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Hippodrom Argentan
Pferderennbahn im Dauerbetrieb

In Frankreich gibt es mehr Pferderennbahnen als anderswo in Europa. Von ihrem früheren gesellschaftlichen Glanz haben die Derbys viel eingebüßt, dennoch ziehen etwa die täglichen Trabrennen in Argentan das ganze Jahr hindurch Pferde-Fans an.

Von Suzanne Krause | 01.04.2019
Symbolfoto Trabfahren: Teil eines Pferd-Sulky-Gespanns von hinten
Im Pferderennsport wird bei Trabrennen häufig ein Sulky einsetzt (Imago sportfotodienst)
Bei strömendem Regen haben zwei Traber eine Trainingsrunde auf der ovalen Sandbahn absolviert, die Jockeys auf den Sulkys lenken ihre Pferde in den Stall zurück. Um elf Uhr vormittags geht der Betrieb langsam los. Jacques Frappat ist auf Kontrollgang, Richtung Ställe. Frappat, hochgewachsen, sportlich, silbergraue Mähne, wirkt viel jünger als Anfang siebzig. Der Ex-Notar ist Präsident des Rennbahn-Trägervereins, der Boss hier. Nun blickt er versonnen auf einen Pferdetransporter, der am Eingangstor vorfährt.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Pferderennsport in Frankreich - Tradition vor Hindernissen".
"Als erste trudeln die Profis ein, viele haben bis zu 200 Kilometer Anfahrt. Heute finden neun Rennen statt, mit insgesamt rund 140 Pferden. Vor allem in der Normandie sind viele Besitzer von Trabern gleichzeitig auch Züchter und Trainer. Wer wenig Kenntnisse, aber ein Rennpferd besitzt, kann sein Tier einem Profi anvertrauen, einem sogenannten öffentlichen Trainer."
Pferderennen waren früher Dorffeste
Für Pferd und Jockey ist im Hippodrome von Argentan bestens gesorgt: Die Stallgebäude wirken großzügig und modern, dank einer Komplettrenovierung für 1,5 Millionen Euro. Jacques Frappat rückt die schicke Schiebermütze auf dem Kopf zurecht: Solch ein Komfort war bei der Entstehung der Trabrennen noch undenkbar:
"Früher fanden Pferderennen zwei Mal im Jahr statt. Man steckte mit Pflöcken ein Terrain auf einer Weide ab, die Dorfkapelle spielte auf, ein richtiges Dorffest. Seitdem sind die Rennen immer professioneller geworden."
Ausgestorben seien diese Dorffeste allerdings keineswegs, erklärt Jacques Frappat:
"In den Sommerferien laufen vor allem an der normannischen Küste Strandrennen. Die locken dann bis zu 1.500 Besucher an. Das ist eine tolle Gelegenheit, Leute für Pferderennen zu interessieren. Aber die Tiere müssen, wie man so schön sagt, ihren Hafer ganzjährig verdienen. Dafür braucht es Rennplätze. Bei uns hier fand das letzte Rennen für 2018 am 24. Dezember statt, Anfang Januar begann die neue Saison."
Seit 30 Jahren tourt Ehepaar Hue über die Rennbahnen
Die Rennbahn von Argentan gilt als Sprungbrett für die Traber-Derbys in Vincennes, dem berühmten Hippodrome bei Paris. Das weiß auch das ältere Paar, das an einem Plastiktisch im Tribünen-Gebäude mitgebrachte Stullen verzehrt. Danielle Hue gegenüber sitzt ihr Mann Bernard, ganz klein und zart. Vor ihm liegen mehrere engbedruckte Blätter: Mit einem selbstgeschriebenen Computerprogramm analysiert der ehemalige Informatik-Ingenieur die Resultate von Pferderennen. Seit 30 Jahren tourt das Paar über die Rennbahnen der Region. Die Hues setzen selten mehr als eineinhalb Euro auf ein Pferd. Am liebsten auf einen Außenseiter – der das Rennen macht:
- "Wir sind Pferdenarren. Die Pferde rennen zu sehen, ist unser größtes Vergnügen."
- "Spielernaturen sind wie keine. Wir besitzen selbst ein Rennpferd. Das ist nun 14 Jahre alt und frisst sein Gnadenbrot. Bei allen Rennen haben wir es begleitet, landauf, landab."
-"Es ist sehr gut gelaufen und hat uns viel Freude bereitet."
- "Er hat insgesamt 270.000 Euro gewonnen."
"In den großen Städten weiß kaum einer mehr, was ein Pferd ist"
Der Rennbetrieb läuft inzwischen in vollem Gange, die Traber donnern dampfend in die nächste Runde, die Sulkys schlingern über den feuchten Sand, der Schlamm spritzt hoch. Noch tausend Meter, ruft Richard Dumaine in sein Mikrophon. Der kräftig gebaute 42-Jährige mit dem jungenhaften Lächeln steht in einer Glaskabine über der Tribüne, greift immer wieder zum Fernglas, um zu sehen, welches Pferd führt und kommentiert pausenlos. Pferderennen sind seine Passion, seit die Tante ihn als Kind jeden Sommer auf die Rennbahn mitnahm.
13 Jahre lang war er Trainer auf einem Gestüt, nun sucht er einen neuen Job in der Branche. Aus dem Stand listet er die Sieger der wichtigsten Rennen des letzten Jahrhunderts auf. Wobei: Von ihrem früheren gesellschaftlichen Glanz haben die Derbys viel eingebüßt, gibt Richard Dumaine betrübt zu:
"Als Mitte der 1980er-Jahre der Traber Ourasi drei Jahre hintereinander in Vincennes den weltberühmten Grand Prix d'Amerique gewann, war das jedes Mal Aufmacher in den TV-Abendnachrichten. Das wäre heute undenkbar. Damals war Frankreich wohl einfach noch ländlicher. Damals kamen viele Städter ursprünglich noch vom Land. Heute weiß doch in den großen Städten kaum einer mehr, was ein Pferd ist."
Der französische Jockey Jean-Rene Gougeon reitet auf seinem Pferd Ourasi
Blütezeit des französischen Rennsports: Jockey Jean-Rene Gougeon auf dem legendären Traber Ourasi beim Prix d'Amerique 1990 in Vincennes (AFP/ Gilles Leimdorfer)
Quer durch alle sozialen Schichten
Nachmittags um vier drängen sich mehrere Hundert Personen vor der eigens aufgebauten Großleinwand im Foyer, zur Live-Übertragung des Grand Prix d'Amerique in Vincennes: Besucher quer durch alle sozialen Schichten, das Rennbahn-Personal, Trainer und Jockeys.
Manch einer in der fiebernden Menge hat die Hand zur Faust geballt, spornt das eine oder andere Tier laut an – mehrere Favoriten in Vincennes stammen aus nächster Nachbarschaft von Argentan. In der Region sind 1.500 Menschen in der Rennpferd-Branche tätig. Das Rennen macht allerdings kein Pferd von hier. Ernüchtert gehen die Besucher wieder auf die Tribüne zurück, in Argentan steht das nächste Rennen an.