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Hippokratischer Eid
Ständigem Wandel unterworfen

Der hippokratische Eid steht für eine ethische Grundhaltung aller Ärzte. Die Kernbotschaft dahinter: Jeder Mediziner stellt sein Leben und seine Arbeit in den Dienst der kranken Menschen und der Menschlichkeit. Mittlerweile wird der Eid nicht mehr gesprochen, da einige Inhalte überholt sind. Quasi abgelöst wurde er durch neuere Dokumente wie dem Genfer Gelöbnis.

Von Justin Westhoff | 13.10.2015
    Ein Stethoskop
    Im alten Griechenland mussten alle Ärzte den hippokratischen Eid schwören. Nicht zuletzt deshalb, um in der Gesellschaft die Seriosität ihrer Tätigkeit zu unterstreichen. (picture alliance / ZB)
    "Ich schwöre bei Apollon, dem Arzt, und bei Asklepios, Hygieia und Panakeia sowie unter Anrufung aller Götter als Zeugen, dass ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil diesen Eid und diesen Vertrag erfüllen werde."
    So beginnt der Hippokratische Eid, ein ethisches Versprechen, das alle Ärzte im alten Griechenland schwören mussten. Hippokrates war ein Arzt, der im 5. und frühen 4. Jahrhundert vor Christus lebte, er hatte Schüler, er hatte eine bestimmte Lehrmethode, also er war in seiner Zeit ziemlich bekannt. Der Eid allerdings stammt wahrscheinlich gar nicht aus der Feder des Hippokrates, sagt der aus Holland stammende Professor Philip van der Eijk, Altertumswissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin.
    "Es gab zahlreiche Ärzte in dieser Zeit schon, aber irgendwie hat sich Hippokrates durchgesetzt als der berühmteste, der maßgebliche Arzt. Und das hat dazu geführt, dass viele Schriften, die in derselben Zeit entstanden sind, aber offensichtlich nicht von demselben Autor stammen, später dem Hippokrates zugeschrieben wurden, und vermutlich ist das auch mit diesem Eid passiert."
    "Ich schwöre, dass ich nach Kräften diesen Vertrag erfüllen werde"
    In Wirklichkeit wird dieser Eid – wie ihn Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, vorliest – heute nicht mehr gesprochen. Das ist auch richtig so, denn Vieles ist überholt: In der ursprünglichen Formel heißt es unter anderem, der Arzt müsse für die Familie seines Lehrers aufkommen und dürfe auf keinen Fall schneiden, also operieren. Glücklicherweise können Ärzte das längst. Hinzu kommt, dass es in der Antike darum ging, mit dem Schwur Kritik an der damaligen Medizin zu begegnen.
    "Wir sind daran gewöhnt, dass Ärzte und die Medizin in hohem Ansehen stehen, aber in der Antike war das keineswegs der Fall. Es gab viele Kritiker der Medizin, auch Kritiker, die sagten, das ist alles nur Aberglaube, auch die moralischen Standards. also Ärzten wurde vorgeworfen, dass sie nur auf finanziellen Gewinn aus waren oder dass sie sich gebrauchen ließen, um Menschen zu töten. Es gibt da diese berühmte Aussage, dass man nicht das Leben beenden wird, auch nicht, wenn man darum gebeten wird. Also gegen solche Vorwürfe musste die Medizin sich verteidigen, und die Entwicklung einer medizinischen Ethik war Instrument dieser Selbstverteidigung."
    Die Frage, ob ein Arzt in bestimmten Situationen aktiv Leben beenden darf, wird auch heute beim Thema Sterbehilfe innerhalb und außerhalb der Ärzteschaft heftig diskutiert. Dr. Günther Jonitz ist nicht nur Präsident der Berliner Kammer, sondern engagiert sich auch bundesweit für ethische Fragen in der Medizin.
    "Dieses Problem 'Darf der Arzt dem Patienten beim Sterben helfen?' ist ein hoch relevantes. Für Berlin haben wir den Umstand, dass wir das bereits rechtsverbindlich und auch ethisch nachvollziehbar eindeutig geregelt haben, nämlich in dem Sinne, dass der Arzt beim Sterben selbstverständlich helfen darf, aber die Mitwirkung bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe, Ärztinnen und Ärzte sollen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Das schließt den Einzelfall nicht aus."
    Ähnlich hat sich eine weitere Debatte zum ärztlichen Verhalten bis heute gehalten:
    "Wir wissen, dass bereits in der Antike es unterschiedliche Interpretationen des hippokratischen Eides gab. Und zum Beispiel dieses Abtreibungsverbot wurde von manchen als ein absolutes aufgefasst, während andere gesagt haben: 'Nein, das bezieht sich nur auf eine ganz spezifische Form'."
    Mit dem Hippokratischen Eid hat man damals versucht, durch Kompromisse moralische Standards zu setzen. Einiges davon hat eine Art Ewigkeitscharakter, anderes ist nicht mehr zeitgemäß, sagt der niederländische Professor Philip van der Eijk, der in Berlin ein Forschungsprojekt zur antiken Medizin leitet.
    "Es gibt diese Situation mit Anruf der Götter, und es gibt dann diese geschlossene ärztliche Gemeinschaft, das hat heutzutage auch nicht mehr die Gültigkeit, aber in der Mitte gibt es eine Reihe von Grundsätzen, dieses nicht schaden, Vertraulichkeit – Themen, die immer noch für die Medizin gelten. Aber natürlich: Neue technologische Möglichkeiten ergeben auch neue Fragen, aber das Interessante ist, dass es doch immer wieder ein Bedürfnis gibt, in der Medizin auf ein altes Dokument zurück zu greifen und sich davon irgendwie inspirieren zu lassen."
    So ist der Hippokrates zugeschriebene Mediziner-Schwur ständigem Wandel unterworfen. Dr. Günther Jonitz:
    "Der Eid des Hippokrates ist genauso wenig wortwörtlich zu verstehen wie die Bibel, der hippokratische Eid steht für eine ethische Grundhaltung aller Ärzte. Die Kernbotschaft ist relativ einfach: Der Arzt stellt sein Leben und seine Arbeit in den Dienst der kranken Menschen und der Menschlichkeit."
    Heute wird dies in der Berufsordnung für Ärzte formuliert.
    "Und über diese Berufsordnung gilt: 'Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen, die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patientinnen und Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.' Und dann geht es da noch weiter mit einigen Dingen wie das Patientengeheimnis über den Tod hinaus, dass man sich nicht beeinflussen darf durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung. Vor dem Arzt sind wir alle gleich."
    Der Hippokratische Eid als ethische Grundlage wurde im Lauf der Zeit durch neuere Dokumente abgelöst, in Deutschland zunächst von dem "Nürnberger Kodex" und später in vielen Ländern vom "Genfer Gelöbnis". Aber auch dieses wird nicht mehr überall öffentlich abgelegt. Der Präsident der Berliner Ärztekammer:
    "Es gibt einzelne Bundesländer, in denen es Veranstaltungen gibt für die Absolventen der medizinischen Hochschulen, in denen dann auch feierlich und gemeinsam das Genfer Gelöbnis nachgesprochen wird, das ist sicherlich aus rituellen Gründen eine Sache, über die man nachdenken kann, anders kriegt man es dadurch, dass es vorgelebt wird. Und die entscheidende Frage ist nicht die, ob jetzt der Arzt oder die Ärztin die Hand gehoben hat und – bei welchen griechischen Göttern auch immer – geschworen hat, was er zu tun vorhat, die entscheidende Frage ist: Welche Ethik wird in dem System gepflegt, in dem der Arzt sich aufhält?"
    Und an diesem "System" übt der Berufspolitiker deutliche Kritik.
    "Wenn sie ein Gesundheitssystem haben, das von der Politik durch Vorgaben vollständig pervertiert ist, weil das Wohl des Patienten nichts gilt, der finanzielle Ertrag des Krankenhauses alles ist oder die Rendite der Pharmaindustrie, wenn die Verhältnisse so sind, dann ist solchen Verhältnissen selbst durch eine verstärkte ärztliche Ethik nur bedingt entgegenzuwirken."