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Historiker: Keine Isolation Deutschlands in der EU

Der Ton in der Diskussion um die Eurokrise sei schärfer geworden, sagt der Historiker Paul Nolte. Der Begriff der Isolation sei jedoch unangemessen in der europäischen Situation. Denn zum Glück gehe die Verflechtung der Staaten in der EU über den Euro hinaus.

Peter Kapern im Gespräch mit Paul Nolte | 06.08.2012
    Peter Kapern: Die Euroschuldenkrise, sie hat die Europäische Union verändert. Vielleicht haben wir uns ja schon daran gewöhnt, dass Demonstranten in Griechenland Bilder der Bundeskanzlerin mit Hakenkreuzen versehen oder italienische Zeitungen in Überschriften über Fotos von Angela Merkel über das vierte Reich schwadronieren. Relativ neu dürfte allerdings das Gefühl für deutsche Politiker sein, von Regierungen der Partnerländer öffentlich in die Mangel genommen zu werden. In Berlin verfolgt man ja argwöhnisch, wie Italien, Spanien und Frankreich eine Südachse gegen Deutschland schmieden. Der Regierungschef und der Außenminister Luxemburgs nehmen in einer regelrechten Interviewoffensive die Deutschen wegen ihrer Positionen beim Versuch, den Euro zu retten, regelrecht ins Gebet.

    Deutschland im Abseits? Die EU vor dem Zerfall? Bei uns am Telefon der Historiker Paul Nolte von der Freien Universität in Berlin. Morgen, Herr Nolte!

    Paul Nolte: Ja, schönen guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Nolte, der italienische Ministerpräsident Mario Monti hat der EU in dem Interview, über das wir gerade in dem kleinen Beitrag schon etwas gehört haben, Züge einer psychologischen Auflösung attestiert. Können Sie mit dem Befund etwas anfangen? Teilen Sie ihn?

    Nolte: Ich teile den Befund nicht, nein, also, ich glaube, Monti ist ja auch ein sehr vernünftiger Mann und er weiß auch, was er für wen sagt. Und insofern sehe ich in dieser zugespitzten Beschreibung eher eine Warnung davor, Europa nicht zerfallen zu lassen. Und das ist ja die Debatte, die wir alle gemeinsam seit mittlerweile gut zwei Jahren führen. Monti warnt davor, dass die EU in der tiefsten Krise ihrer Geschichte steckt, und das tut sie, das wissen wir ja alle. Und er will damit erreichen, dass Europa zusammenhält und mehr zusammenwächst. Davon bin ich überzeugt.

    Kapern: Aber man hat den Eindruck, dass da doch noch etwas Besonderes hinzukommt. Diese Appelle, zusammenzuhalten und die Krise zu meistern, die gibt es ja seit Jahr und Tag, aber es kommt mittlerweile doch eine gewisse Schärfe in diese Diskussion hinein. Auch eine Schärfe der Botschaften, die ein Politiker an den anderen sendet. Oder liege ich damit falsch?

    Nolte: Ja, das ist schon richtig. Das haben wir ja auch am Wochenende gesehen bei Markus Söder, der sich von New York aus sehr arrogant, herablassend über Griechenland geäußert hat und gesagt, dieses kleine Kind solle endlich mal bei der Mama Europa ausziehen und sich auf eigene Füße stellen. Das ist ja auch eine völlige Verdrehung von Verhältnissen, ein völlig falsches Bild. Also, das stimmt schon, da kommt ein schärferer Ton in die Debatte, und ich glaube auch, an dieser Stelle müssen wir aufpassen, nicht das Kind –jetzt nicht das griechische Kind, das Kind Europa – mit dem Bade auszuschütten und einen Ton in der Debatte zu lassen, der auf das Konstruktive zielt und Vorschläge macht, wie es denn nun eigentlich weitergehen kann. Und die vorhin in dem Beitrag von Ihnen erwähnten Vorschläge von Wissenschaftlern wie Habermas, Nida-Rümelin und Bofinger, Europa konstruktiv weiterzubringen, das geht in die richtige Richtung.

    Kapern: Im Moment sieht der Befund aber noch anders aus. Jean-Claude Juncker, der Regierungschef Luxemburgs, sagt, nationale Ressentiments schlummern nur noch Zentimeter unter der Oberfläche.

    Nolte: Ja, das war aber auch immer schon so in der Geschichte Europas, und wir hatten andere Krisen, auch andere Situationen, in denen vor nicht zuletzt deutscher Übermacht gewarnt worden ist. Die Frage ist gerade für die Deutschen immer wieder in der ganzen Geschichte der europäischen Integration, wie gehen wir damit um. Man kann es noch pointierter sagen, die ganze Geschichte der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der nationalsozialistischen Diktatur, um es noch einmal ganz klar zu sagen, ist ja ein Versuch, die Deutschen einzubinden und mit den Befürchtungen gegenüber einer deutschen Vormachtstellung so umzugehen, dass sie eben in europäischer Integration eingebunden werden, andererseits Europa sich nicht in dieser neuen europäischen Konstruktion zu einer unangemessenen Führungsrolle aufschwingt. Und mit diesem Spannungsverhältnis leben wir im Grunde seit 40 Jahren, seit 50 Jahren, und nicht zuletzt die Krise, die wir hatten in der deutschen Wiedervereinigung, war ja ein ganz großes Beispiel dafür, wo auch die Wellen hochgeschlagen haben. Und nicht zum ersten Mal werden deutsche Bundeskanzler in Hitler-Karikaturen oder in ähnlicher Form dargestellt. Das kennen wir, und das sollten wir auch – ob das nun aus Polen kommt, wo wir das unter den Kaszynskis auch hatten, oder in Italien, das sollten wir etwas gelassener sehen.

    Kapern: Das heißt also, wenn jemand wie der luxemburgische Außenminister Asselborn eindringlich an Deutschland appelliert, sich nicht zu isolieren, oder möglicherweise sogar mit der Isolation Deutschlands droht, dann ist das überhaupt nichts Besonderes, wenn man die Geschichte der Europäischen Union in den Blick nimmt?

    Nolte: Na ja, ein Mann wie Juncker ist immer schon ernst zu nehmen, aber ich sehe eigentlich diese Gefahr einer deutschen Isolation nicht. Zum einen ist es in Europa immer so, wenn die anderen Deutschland nicht laut Beifall klatschen, gerade die kleineren wie die Luxemburger, dann bedeutet das noch lange keine deutsche Isolation. Andersherum gesagt, angesichts der offenbaren, angesichts der manifesten bevölkerungsmäßigen, jetzt gerade auch wirtschaftlichen Stärke Deutschlands wären die anderen ja verrückt, die Niederländer oder Luxemburger oder die baltischen Staaten jetzt auch in der neuen EU, wenn sie den Deutschen auch noch Beifall klatschen würden. Also, diesem starken Mann, dem muss immer ein bisschen vors Schienbein getreten werden.

    Kapern: Aber der Befund, Herr Nolte, der erstaunt ja doch ein wenig, wenn man sich vor Augen führt, wie stark Deutschland in die Zange genommen wird, endlich von seinen Stabilitäts- und Sparkursvorstellungen abzurücken. Da ist doch ein Moment der Isolierung drin enthalten.

    Nolte: Ja, aber noch mal. Ich glaube, dass auch ein gut und notwendig gespieltes Stück der europäischen Inszenierung ist jenseits dessen, was Juncker und Monti und andere in die Mikrofone sagen, sind alle doch ganz froh, dass Deutschland diese Rolle auch spielt, diese Rolle des auf die Konsolidierung pochenden, auf die Einhaltung von Regeln, auf die Einhaltung von Rückzahlungsregeln pochenden und andere, das ist die Rolle, die jetzt Deutschland auch spielt. Und ich glaube, wenn Deutschland jetzt vermeintlich umschwenken würde und sagen würde, na gut, wir übernehmen jetzt die Haftung für alles, und werft mal die Notenpresse an, wir gehen jetzt in die Inflation und Deutschland steht für alles gerade, dann wäre den anderen auch nicht geheuer, also ein Stück weit ist das auch ein Stück Rollenverteilung. Und wir dürfen ja auch nicht übersehen, dass in Deutschland die Wogen auch sehr hochschlagen und wir keineswegs eine eindeutige deutsche Position dazu haben. Deutschland bewegt sich ja auch, also seit dem französischen Regierungswechsel insbesondere erleben wir ja keinen französisch-deutsches Auseinanderklaffen, sondern eher ein langsames Zusammenrücken wieder von Hollande und Merkel, und beide haben sich dabei bewegt.

    Kapern: Wäre es eigentlich ein Drama historischen Ausmaßes, wenn Deutschland tatsächlich mal isoliert wäre?

    Nolte: Ja, was heißt isoliert? Isoliert ist Nordkorea. Also in der ganzen europäischen Debatte spielt mir, fällt mir dieser Begriff Isolation ganz unangemessen dafür ist, das Geflecht an gemeinsamen Überzeugungen, an auch menschlichem Austausch auf allen Ebenen. Was glauben Sie, wie viele Tausende Studierende sich wieder auf die Reise in den nächsten Tagen und Wochen in ihr Erasmus-Partnerland machen, dadurch, dafür ist diese Verflechtung viel zu groß, als dass man jemals von einer Isolation sprechen könnte. Zum Glück, dieses Geflecht haben wir geschaffen, und es besteht auch aus mehr als dem Euro.

    Kapern: Das heißt also, diese Warnung vor der Isolation ist im Prinzip eine leere Warnung?

    Nolte: Die halte ich für eine leere Warnung, und noch einmal: Die anderen europäischen Länder sind auch froh, dass Deutschland diese Rolle so spielt, wie es das im Moment tut.

    Kapern: Auch die südeuropäischen Länder, die ja doch Deutschland sehr stark drängen, Schritte in Richtung auf eine Vergemeinschaftung der Schulden zu machen?

    Nolte: Ja, letztlich auch, aber das ist natürlich ein dynamischer Prozess und diese Schritte, die wird es auch geben, wir bewegen uns ja in diese Richtung hin. Und nichts ist da in Deutschland in Stein gemeißelt. Wir bewegen uns und das ist auch immer mein eigenes Plädoyer gewesen, auf eine solche Verantwortungsübernahme hin auch für die südeuropäischen Länder, so wie wir als Deutsche auch für die Ostdeutschen Verantwortung übernommen haben, so sind wir auch längst in einer europäischen auch moralischen und Wertegemeinschaft zusammengeschweißt, die uns auch für die Italiener und für die Griechen auch finanzielle Verantwortung übernehmen lassen muss. Abgesehen von den Vorteilen, die wir aus dieser ganzen Situation ja auch wirtschaftlich unmittelbar ziehen, also das bewegt sich in diese Richtung, aber das heißt noch nicht, dass man jetzt zu einer ungeprüften Übernahme aller italienischen Staatsschulden hasten müsste. Das könnte am Ende auch den Italienern, Spaniern und Griechen nicht recht sein.

    Kapern: Der Historiker Paul Nolte von der Freien Universität Berlin heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Nolte, danke für das Gespräch und auf Widerhören!

    Nolte: Ja, vielen Dank und schönen Tag!

    Kapern: Ihnen auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.