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Historiker Rürup: Olympia-Boykott 1936 hätte nichts geändert

Vor dem Hintergrund eines möglichen Olympia-Boykotts der Spiele in Peking hat der Berliner Historiker Reinhard Rürup an die Olympischen Spiele in Berlin 1936 erinnert. Auch damals sei eine Nicht-Teilnahme beispielsweise der amerikanischen Leichtathleten diskutiert worden. Rürup zeigte sich jedoch davon überzeugt, dass ein Boykott die Kriegsvorbereitungen Deutschlands und den Völkermord an den Juden nicht verhindert hätte.

Moderation: Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: Wegen der chinesischen Tibet-Politik und anderer Menschenrechtsverletzungen verlangen ja nicht wenige den Boykott der Olympischen Spiele in Peking. Dafür gibt es Beispiele aus jüngster Zeit. Westliche Sportler konnten 1980 nicht zu den Spielen nach Moskau reisen. Ihre Regierungen protestierten damit gegen die Besetzung Afghanistans durch sowjetische Truppen ein Jahr zuvor. 1984 dann sagten die Sowjetunion und mehrere ihrer Satellitenstaaten postwendend ihre Teilnahme an den Wettkämpfen in Los Angeles ab. China allerdings nahm damals dort zum ersten Mal überhaupt an Olympischen Spielen teil. Und auch vor den Wettkämpfen 1936 in Deutschland wurde im Ausland heftigst darüber diskutiert, ob man nicht besser fern bliebe. Wie wir alle wissen hat es den Olympia-Boykott 1936 dann doch nicht gegeben und darüber möchte ich nun mit dem Berliner Historiker Reinhard Rürup reden. Guten Morgen Herr Rürup!

    Reinhard Rürup: Guten Morgen!

    Fischer: Der chinesische Bürgerrechtler Hu Jia hat die Situation in seinem Land so beschrieben: Die Besucher der Olympischen Spiele sehen die schönen Fassaden und modernen Straßen und Bauten. Doch hinter dem Bild der Harmonie seien Tränen, Folter und Tod verborgen. Erinnert Sie diese Beschreibung nicht auch an die Situation vor den Spielen 1936 in Deutschland?

    Rürup: Das ist in der Tat so und so wurde auch von den Befürwortern des Boykotts argumentiert. Deutschland war eine Diktatur. Es war ein Ein-Parteien- und Führer-Staat. Es gab eine radikale Einschränkung der Menschen- und Bürgerrechte. Deutschland rüstete auf, trat aus dem Völkerbund aus. Das war alles bereits geschehen. Während der Olympischen Spiele im Sommer 1936 in Berlin wurde genau parallel dazu das KZ Sachsenhausen nördlich von Berlin gebaut. Die Legion Condor wurde genau zu diesem Zeitpunkt nach Spanien geschickt und Ende August unmittelbar nach den Spielen wurde der Vier-Jahres-Plan beschlossen, wonach in vier Jahren die Armee einsatzfähig und die deutsche Wirtschaft kriegsfähig sein sollte. Also die Situation war ganz eindeutig!

    Fischer: Bleiben wir noch mal bei dem Beginn der Olympischen Spiele 1936. War es denn so, dass man sehen konnte, wenn man sehen wollte, oder haben die Nazis ihre Vorbereitungen geschickt versteckt?

    Rürup: Das Internationale Olympische Komitee hatte Anfangs lediglich die Sorge, dass Hitler die Zusage der Weimarer Republik zurücknehmen würde und die Olympischen Spiele nicht durchführen würde. Als dann Hitler sich sehr schnell entschlossen hatte, sich für die Olympischen Spiele einzusetzen, hat das NS-System die gesamten Ressourcen eines modernen Staates mobilisiert und hat diese Spiele glänzend organisiert und sie international ganz unbestritten zu einem großen Erfolg gemacht. Insofern war es ein großer Propagandaerfolg für das NS-System.

    Fischer: Viele Sportler haben damals gesagt - und das hört man ja heute auch wieder -, was haben wir mit der Nazi-Politik zu schaffen. Wir wollen ja nur zeigen was wir können, wollen uns international messen. Wurden diese Sportler vom Regime benutzt, oder waren wirklich die Besten der Welt zu Gast in Deutschland?

    Rürup: Es waren im Prinzip die Besten zu Gast. Es war ein Olympia der Rekorde. Es gab so viele Olympia-Rekorde und auch Weltrekorde wie nie zuvor. Aber es gab auch Ausschlüsse. Zum Beispiel die deutsche Rekordhalterin im Hochsprung, Gretel Bergmann, war jüdisch, wurde nicht nominiert für die Spiele. Oder es gab andere, drei österreichische Schwimmerinnen zum Beispiel, die jüdisch waren, Meisterinnen waren mit Medaillenchancen, die sich verweigerten und sagten, wir können an diesen Spielen aus Gewissensgründen nicht teilnehmen. Oder selbst eine berühmte, weltberühmte Künstlerin wie Martha Graham, die als Tänzerin eingeladen war aus den USA zu dem künstlerischen Begleitprogramm, schrieb eindeutig: "Es seien so viele Künstler, die ich respektiere und bewundere, verfolgt worden, aus nichtigem und nicht gerechtfertigtem Grund mit Arbeitsverlust belegt worden, dass ich nicht in der Lage bin, mich durch Annahme der Einladung mit einem Regime zu identifizieren, das derlei Dinge ermöglicht". Also diese Dinge waren möglich; sie blieben aber leider vereinzelt.

    Fischer: Jüdische Sportler aus Deutschland waren ja faktisch von den Spielen ausgeschlossen - Sie haben es bereits gesagt -, obwohl Adolf Hitler ja dem Internationalen Olympischen Komitee versprochen hatte und versprechen musste, keine rassistischen Ausschlusskriterien zuzulassen. War das IOC zu gutgläubig?

    Rürup: Es gab dann in der Tat ja zwei so genannte Halbjuden: den Eishockey-Spieler Rudi Ball, der inzwischen schon nach Italien emigriert war, der an den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen teilnahm, und die Olympia-Siegerin im Fechten von 1928, Helene Mayer, die inzwischen in Kalifornien lebte und die ohne weitere Sichtungsdinge dann in die Mannschaft aufgenommen wurde. Das waren diese beiden Alibisportler, mit denen man sich gegenüber dem Olympischen Komitee herausredete. Man muss auch dazu sagen, das Internationale Olympische Komitee hatte gar kein Interesse daran, diese Dinge intensiv zu prüfen. Und man muss natürlich auch daran erinnern, dass Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht die einzige Diktatur war. Es gab sehr viele Diktaturen in Europa. Die meisten neuen Demokratien, die 1918/19 entstanden waren, waren inzwischen zu autoritären Regimen oder offenen Diktaturen geworden. Hätte man die Olympischen Spiele 1936 nur im Kreise von liberal-demokratischen Staaten abhalten wollen, wäre es ein sehr kleiner Teilnehmerkreis gewesen.

    Fischer: Da sind wir schon bei den Spekulationen. In den USA wurde ja der Olympia-Boykott heftigst und auch kontrovers diskutiert. Der Olympische Sportbund dort hat ja nur mit knapper Mehrheit sich entschlossen, dann doch zu den Spielen nach Deutschland abzureisen. Was wäre denn eigentlich passiert, wären die Amerikaner nicht gekommen?

    Rürup: Es handelte sich dabei um die American Athletic Union, den größten Leichtathletik-Sportverband der Welt. Der hat sich mit zwei Stimmen Mehrheit für die Teilnahme ausgesprochen. Da war die Boykottstimmung sehr verbreitet. Es hätte die Stimmung umschlagen können, denn es gab Protestbewegungen vor allem in europäischen Ländern, aber beispielsweise auch in Indien. Ganz unmöglich wäre das nicht gewesen. Da aber diese Entscheidung so ausfiel, war im Grunde im Dezember 1935 klar, dass die Boykottbewegung erfolglos bleiben würde.

    Fischer: Hätte ein Boykott Auswirkungen auf die Kriegsvorbereitungen gehabt, die Deutschland ja gestartet hat unmittelbar mit Beginn der Spiele?

    Rürup: Das glaube ich nicht. Ich habe schon gesagt: Es war ein großer Propagandaerfolg für das NS-System. Aber hätte dieses System die Olympischen Spiele nicht gehabt, hätte es das Terrorregime nicht aufgegeben, die Kriegsvorbereitungen nicht aufgegeben und es wäre auch dann zu einem Völkermord gekommen. Der Gang der Geschichte hätte sich mit Sicherheit nicht geändert. Das Dritte Reich hätte einen Prestigeverlust gehabt für eine überschaubare Zeit.

    Fischer: Zum Schluss noch die aktuelle Frage an den Historiker. Wenn es 2008 einen entscheidenden Boykott gegen die Spiele in Peking gäbe, welche Auswirkungen hätte der denn auf das Regime in China?

    Rürup: Ich glaube es würde auch dort zu einer Verhärtung der politischen Positionen und der gesellschaftlichen Entwicklungen führen und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es ernsthaft zu einem Boykott kommt. Das einzige was ernsthaft zu diskutieren ist und wo auch entsprechende Entscheidungen möglich sind, ist die in neuester Zeit zur Diskussion gestellte Nichtteilnahme von Politikern an den Eröffnungsfeierlichkeiten. Das wäre eine eindeutige politische Demonstration, die auch in China natürlich nicht nur registriert würde, sondern die nach meiner Einschätzung auch gewisse Wirkungen haben würde.

    Fischer: Der Historiker Reinhard Rürup über den Boykott der Olympischen Spiele im Nazi-Deutschland 1936, der ja nicht stattgefunden hat. Vielen Dank dafür nach Berlin.