
Die israelische Gesellschaft sei sehr gespalten, sagte Segev im Deutschlandfunk. Bei ihr handle es sich um ein buntes Mosaik von Identitäten, die nur locker zusammenhielten. Daher sei es so wichtig, dass die Unabhängigkeit der Justiz gewahrt werde. Israels Premierminister Netanjahu sei sehr geschwächt, insbesondere durch die Gerichtsprozesse, die gegen ihn laufen. Mit der Justizreform kämpfe er für seine eigene Freiheit, kritisierte Segev. Segev war in den 70er-Jahren Deutschlandkorrespondent der israelischen Zeitung Maariv und ist heute Kolumnist für die Tageszeitung "Haaretz".
Netanjahu hatte zuvor einen vorübergehenden Stopp des umstrittenen Umbaus des Justizwesens angekündigt. Er habe entschieden, die zweite und dritte Lesung des Gesetzesvorhabens in der noch laufenden Sitzungsperiode des Parlaments auszusetzen, sagte Netanjahu in Jerusalem. Damit wird der Entwurf der Knesset frühestens Ende April zur Abstimmung vorgelegt, die in der kommenden Woche eine Sitzungspause einlegt. Die von Netanjahus in Teilen rechtsextremen Regierung vorangetriebenen Pläne hatten zu Massenprotesten und schließlich zu einer Koalitions-Krise geführt.
Der Historiker Michael Wolffsohn riet zuletzt davon ab, den geplanten Umbau der Judikative als Staatsstreich zu bezeichnen. In liberaldemokratischen Systemen habe es solche Konflikte immer gegeben, sagte Wolffsohn vor einigen Tagen im Deutschlandfunk. In einem Gastbeitrag in der Zeitung "Die Welt" erläutert Wolfssohn, dass der heutige Konflikt mit einem "Clash of Civilizations" in Israel zusammenhänge. Demnach werde das frühere Establishment aus "Linksaristokraten" verdrängt von einer Mehrheit der "eher religiösen jüdischen Orientalen gemeinsam mit den europäischstämmigen Religiösen und Orthodoxen". Mit Mitteln außerparlamentarischer Opposition, auf der Straße sowie mit zivilem und militärischem Ungehorsam versuche das liberale frühere Establishment, "seinen" Staat zurückzuerobern. Nach Einschätzung von Wolfssohn rüttelten beide Seiten dabei an den Grundfesten der Demokratie.
Diese Nachricht wurde am 28.03.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.