Freitag, 19. April 2024

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Historiker Wolfgang Benz
Antisemitismus und grassierender Hass auf Muslime

Ressentiments, die nach langer Inkubationszeit zum Holocaust führten, könnte man seit '9/11' gegenüber Muslimen weltweit studieren, sagte der Historiker Wolfgang Benz im Dlf. Feindbilder folgten einem einheitlichen Konstruktionsprinzip. Daher sei es erlaubt, Islam- und Judenfeindlichkeit zu vergleichen.

Wolfgang Benz im Gespräch mit Michael Köhler | 07.03.2020
Ein Demonstrationszug zieht in Gedenken an die Opfer vom rechtsextremen Anschlag in Hanau vom Hermannplatz zum Rathaus Neukölln, auf einem Schild steht: "Rechten Terror stoppen!", aufgenommen am 20.02.2020 in Berlin.
Demonstration in Gedenken an die Opfer vom rechtsextremen Anschlag von Hanau in Berlin (picture alliance/Geisler-Fotopress)
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat in der Bundestagsdebatte über die rassischen Morde von Hanau betont, dass die größte Gefahr in Deutschland jetzt von Rechts ausgehe. Vor zehn Jahren wurde der Historiker Wolfgang Benz dafür kritisiert, dass er qualitative Unterschiede zwischen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus nivellierte.
Michael Köhler: Haben wir jetzt eine ganz andere Situation auf der Grundlage der Ereignisse von Halle und Hanau?
Wolfgang Benz: Wir haben genau dieselbe Situation wie vor zehn Jahren, neben dem Antisemitismus gibt es einen grassierenden Hass auf Muslime. Der Unterschied ist, die Politik hat es jetzt bemerkt und will Abhilfe schaffen. Herr Seehofer will jetzt einen Arbeitskreis ins Leben rufen, in dem Experten sich mit nicht nur mit Islamfeindlichkeit beschäftigen, sondern auch Schnittmengen mit dem Antisemitismus eruieren sollen, um der Regierung Handlungsempfehlungen geben zu können.
Köhler: Sie haben damals mächtig Prügel bezogen, ausgerechnet Ihnen wurde Holocaust-Relativismus geworfen. Meine Frage trotzdem an Sie, ist die Judenfeindlichkeit des 19. und 20. Jahrhunderts mit der Islamfeindlichkeit des 21. Jahrhunderts vergleichbar?
Stereotype Schuldzuweisungen
Benz: Die Judenfeindlichkeit des 19. Jahrhundert, die im 20. Jahrhundert zum Holocaust geführt hat, ist mit der Islamfeindlichkeit des 21. Jahrhunderts vergleichbar, wenn sie sich derselben Methoden, der Diskriminierung, der Ausgrenzung, der Dämonisierung der Minderheit bedient und das ist nachweisbar der Fall. In den Köpfen schnappt da nur zu schnell die Falle zu: Antisemitismus, das ist Holocaust. Kein Mensch behauptet, dass Muslime in einer auch nur entfernt ähnlichen Dimension verfolgt würden. Das wäre ein monströser und falscher Vergleich, den Holocaust als Maßstab zu nehmen. Aber die Vorgeschichte, die Ressentiments, die dann schließlich nach langer Inkubationszeit zum Holocaust geführt haben, die können wir jetzt seit zwanzig Jahren, seit 9/11, gegenüber Muslimen weltweit studieren. Das ist auch kein deutsches Phänomen. Aber es ist auch ein Phänomen, das in der Welt ist, von dem unsere Politiker seit der Katastrophe von Hanau auch wissen und Kenntnis genommen haben.
Köhler: Bevor ich versuche, Ihnen gleich noch einmal zu widersprechen, vielleicht die Frage nach dieser Diskriminierungsstruktur, die Sie gerade erwähnt haben. Was zählt denn dazu: Verschwörungstheorien, Furcht vor Überwältigung, Überfremdung sind das so die gleichen Punkte?
Benz: Das sind ziemlich die gleichen Punkte. Damals hieß es, die Juden wollen die Weltherrschaft erobern. Da wurden als Beweis die Protokolle der Weisen von Zion angeführt, die dienen heute muslimischen Antisemiten als Waffe gegen Israel. Aber der Vorwurf, die Muslime wollen Europa islamisieren, die wollen uns überwältigen, der ist praktisch im Maßstab 1:1 schon 1879 von Kollegen Heinrich Gotthard von Treitschke, Historiker in Berlin, und anderen gegen Juden, die aus dem Osten kamen, erhoben worden. Im selben Wortlaut sind heute islamfeindliche Autoren dabei, diese Gefahr einer angeblichen Islamisierung Europas zu beschwören. Aber der Hauptangriff geht über die Religion. Damals, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, lautete der Schlachtruf: Die Juden haben eine Religion, die sie zu bösartig im Handeln gegenüber Nicht-Juden zwingt. Das war damals Talmud-Schelte. Heute ist es Koran-Schelte, wenn selbsternannte Experten behaupten, die Muslime würden einer Religion folgen, die sie zwänge, die Ungläubigen mit Mord, Totschlag und anderem Verbrechen zu überziehen. Das ist im Verhältnis 1:1 dieselbe Methode der Diskriminierung. Das ist zu vergleichen.
Portrait von Prof. Wolfgang Benz
Wolfgang Benz vs. Dervis Hizarci: Ist Islamfeindlichkeit der neue Antisemitismus? Einer von zwei Deutschen fühlt sich vom Islam droht. Unter Muslimen ist jeder Dritte Opfer von Diskriminierung. Darf man den Hass auf Muslime vergleichen mit dem Hass auf Juden?
Köhler: Ich habe ihn gerade in Aussicht gestellt, noch einmal zu widersprechen. Judenfeindschaft ist alt, mindestens 2000 Jahre Islamfeindlichkeit, aber neu, oder?
Benz: Islamfeindschaft ist auch nicht neu, sondern hat auch eine Tradition von Jahrhunderten. Das Argument, das mir dann entgegengehalten wird, lautet in der Regel: Von Juden ist noch nie eine Gefahr für eine Mehrheit ausgegangen, von Muslimen aber schon. Das sieht man ja jetzt, Stichwort 'Islamischer Staat' und 'Al Qaida'. Diese scheußlichen Verbrechen können von Niemandem in Frage gestellt werden. Aber als Argument, als Verallgemeinerungen sind Sie neu. Aber nur dieses Argument ist neu. Nicht die Feindschaft gegen die Muslime.
Köhler: Bundespräsident Walter Steinmeier hat gesagt, es gibt Rassismus und es gibt Muslimfeindlichkeit. Sind wir einen Schritt weiter als vor zehn Jahren?
Benz: Wenn es nicht bei diesen Bekenntnissen bleibt. Wenn es tatsächlich Muslimfeindschaft, also die Beleidigung einer Muslima, weil sie Kopftuch trägt und derartiges, wenn das mit dem gleichen Eifer geschieht, wie wir zu Recht Antisemitismus sanktionieren, dann hat er es nicht umsonst gesagt. Wenn es bei der Beteuerung bleibt, und wir in zwei oder drei Wochen zur Tagesordnung übergehen und vor der Muslima mit dem Kopftuch ausspucken, weil sie eine Muslima ist, wie wir einst vor den Juden ausgespuckt haben, weil sie Juden waren, dann war es vergeblich. Ich bin aber zuversichtlich, dass das Wort des Bundespräsidenten auf fruchtbaren Boden fällt.