Dirk-Oliver Heckmann: Stehenden Applaus erntete Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern für ihren Auftritt vor der Knesset. Ungewöhnlich war dieser Auftritt aus zwei Gründen: Erstens war es die erste Rede eines Regierungschefs im israelischen Parlament. Dieses Recht ist bisher Staatspräsidenten vorbehalten gewesen, und Angela Merkel hielt ihre Rede auf Deutsch, der Sprache derjenigen, die den Holocaust ins Werk setzten. Am Telefon begrüße ich Professor Moshe Zuckermann, er ist Historiker an der Universität Tel Aviv. Guten Morgen!
Moshe Zuckermann: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Zuckermann, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die deutsche Kanzlerin in der Knesset in deutscher Sprache haben reden hören?
Zuckermann: Na ja, was mir persönlich durch den Kopf gegangen ist, ist das, was, glaube ich, den meisten Leuten durch den Kopf gegangen ist, die sich mit den deutsch-israelischen Beziehungen auseinandersetzen: Es ist auf der einen Seite ein rein symbolisch betrachtet großer Tag gewesen, durchaus eine historische Wende. Das kann man ruhig so apostrophieren. Auf der anderen Seite war sie, obwohl eine ganze Menge gesendet ist und ein Neubeginn durchaus zu verzeichnen ist, das Ganze hat natürlich unter Bedingungen stattgefunden, die an dem Grundverhältnis, an dem neuralgisch beladenen Grundverhältnis zwischen Deutschland und Israel nicht von Grund auf etwas verändert hat. Es ist vollkommen klar, dass Merkel mit großem Applaus aufgenommen worden ist deshalb, weil sie eben eine große Solidarität mit Israel bekundet hat. Ob unter anderen Beziehungen und anderen Verhältnissen Merkel hätte so über das hinweggehen können, was beispielsweise zwischen Israel und Palästina, Israel und den besetzten Gebieten, Israel überhaupt in seiner Stellung in der Region anbelangt, das wage ich zu bezweifeln. Aber weil eben die Frau an dem Tag mit großer Feierlichkeit so viel Solidarität bekundet hat, ist sie auch sehr, sehr stark gut aufgenommen worden.
Heckmann: Sie haben den Applaus angesprochen. Das ist ja sehr ungewöhnlich, dass in der Knesset applaudiert wird. Kann man also sagen unterm Strich, dass sie den richtigen Ton getroffen hat?
Zuckermann: Ja, sie hat unbedingt den richtigen Ton getroffen. Die Frage ist nur, was ist der richtige Ton? Wenn der richtige Ton ist, dass man dem Gastgeber entgegenkommen will, dann hat sie ganz ohne Zweifel den richtigen Ton getroffen. Gastgeber, meine ich damit, das ist das Land Israel. Wenn der richtige Ton eigentlich aber etwas mit der realen Politik in der Region zu tun hat, mit dem realen Diskurs in Israel zu tun hat und auch mit dem realen Diskurs in Deutschland, unter uns gesagt, zu tun hat, dann war das natürlich ein eher feierlicher Ton, der eine ganze Menge von dem überspielte, was eben an so einem Tag nicht gesagt werden kann und darf.
Heckmann: Das heißt, Sie halten es schon für kritikwürdig, dass Angela Merkel doch sehr stark darauf bedacht war, Kritik zu vermeiden, was etwas die Siedlungspolitik der israelischen Regierung angeht.
Zuckermann: Nein, ich glaube, dass sie genau das getan hat, was sie an so einem Tag tun kann. Nur sollten wir als Zuhörer und Leute, die das versuchen einzuschätzen, uns nicht zu viel vormachen. Es gibt eine ganze Menge Probleme, für die auch Deutschland als eine europäische Nation wird früher oder später irgendwelche Worte finden müssen. Momentan ist die Lage zwischen beiden Ländern so, dass Deutschland Israel kaum öffentlich kritisieren darf. Und von daher meine ich, dass beides stimmt. Sie hat den richtigen Ton getroffen, und der richtige Ton ist noch nicht unbedingt der Realität entsprechend.
Heckmann: Das Ganze hört sich danach an, als ob diese Rede von Angela Merkel so etwas geworden wäre wie ein ritualisierter Auftritt?
Zuckermann: Ich würde das unbedingt unterstreichen wollen, was sie gerade gesagt hat. Und es ist ja auch so, unter uns gesagt. Ich meine, wenn man im Parlament auftritt, dann hat man, verfolgt man ein bestimmtes Ritual. Es hat sogar einen bestimmten Kultwert, und das ist auch gut so. Das ist durchaus richtig so. Man darf auch nicht vergessen, so ein Auftritt wäre vor 10, 15 Jahren in Israel schier unmöglich gewesen. Die Tatsache, dass es möglich geworden ist, dass das weitgehend in der Presse auch positiv aufgenommen und heute Morgen auch positiv bewertet worden ist, die Tatsache, dass es nicht irgendwie Massenproteste gegeben hat, dass in deutscher Sprache im israelischen Parlament geredet wurde, das ist durchaus eine historische Wende. Das darf man nicht irgendwie unterschätzen. Nur meine ich halt, dass das genau das ist, was Sie sagten. Es ist ein Ritual, es hat einen bestimmten Kultwert, und man muss sehen, inwieweit sich diese Beziehungen später dahingehend normalisieren können, dass das, was es auch an Israel zu kritisieren gibt in dem Kontext des Nahostkonflikts, auf das Deutschland dann auch wirklich dafür die Worte finden kann.
Heckmann: Sie haben eben gerade gesagt, Herr Zuckermann, Angela Merkel sei soweit gegangen, wie Sie eben gehen konnte. Dennoch die Frage, hätte sie an dem einen oder anderen Punkt noch einen Schritt weitergehen können?
Zuckermann: Für meine Begriffe wäre es objektiv notwendig gewesen, dass beispielsweise es nicht bei dem Anruf, wo Abbas geblieben wäre, bei dem palästinensischen Präsidenten, sondern vielleicht doch bei der Stippvisite. Auf der anderen Seite kann es durchaus sein, dass das den Tag in den Augen vieler Israelis kontaminiert hätte, und von daher hat sie eben genau das getan, was sie tun konnte. Nein, ich meine, dass sie in dem Kontext, wie das angelegt war, dieser Besuch angelegt war, eben als einen Versuch etwas zu durchbrechen, dass so vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen wäre, aber eben auch das Paradigma nicht zu durchbrechen, wie die israelisch-deutschen Beziehungen zu denken sind, dass sie in diesem Rahmen mehr oder weniger genau das getan hat, was sie tun konnte. Ob sie mit mehr oder weniger Überschwang geredet hat, das wage ich jetzt nicht zu beurteilen. Klar ist, dass die stehenden Ovationen, die Sie vorhin angesprochen haben, nicht selbstverständlich sind. Die wären, wie gesagt, vor einigen Jahren ganz und gar nicht möglich gewesen.
Heckmann: Sie haben angedeutet, dass hinter verschlossenen Türen möglicherweise etwas deutlichere Worte doch gefallen sein könnten. In welcher Hinsicht stößt das in Israel, auf der israelischen Seite, auch auf offene Ohren?
Zuckermann: Ich glaube, dass Deutschland schon seit der vorigen Regierung einen bestimmten Stellenwert angenommen hat, was die Vermittlungen zwischen Israelis, Palästinensern und auch zu anderen Staaten in der Region anbelangt. Ich glaube, in dieser Hinsicht weiß man genau, was man an Deutschland hat. Die Frage, inwieweit Deutschland heute wirklich rigoros eine Kritik üben kann, beispielsweise an den Menschenrechtspraktiken, die Israelis in den besetzten Gebieten und so weiter, auch hinter verschlossenen Türen, das wage ich zu bezweifeln. Die Frage ist übrigens auch, ob die Deutschen so sehr darauf aus sind, diese Kritik auszuüben. Man darf ja nicht vergessen. Es hat sich auch in Deutschland einiges gewandelt. Ich bin noch in einer Zeit in Deutschland aufgewachsen, in der deutsche Militäraktionen im Ausland eine schiere Unmöglichkeit gewesen wären, wo auch das Asylrecht noch ganz anders ausgesehen hat, auch in Deutschland hat sich inzwischen einiges gewandelt. Ich glaube, insgesamt gibt es eine Verbündetenkonstellation hier, die in der Tat Israel in den Augen der Deutschen nicht unbedingt als kritikwürdig erscheinen lässt.
Heckmann: Einschätzungen zur Rede der Bundeskanzlerin vor der Knesset gestern waren das von Professor Moshe Zuckermann, Historiker an der Universität Tel Aviv. Herr Zuckermann, ich danke Ihnen.
Zuckermann: Ich danke Ihnen.
Moshe Zuckermann: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Zuckermann, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die deutsche Kanzlerin in der Knesset in deutscher Sprache haben reden hören?
Zuckermann: Na ja, was mir persönlich durch den Kopf gegangen ist, ist das, was, glaube ich, den meisten Leuten durch den Kopf gegangen ist, die sich mit den deutsch-israelischen Beziehungen auseinandersetzen: Es ist auf der einen Seite ein rein symbolisch betrachtet großer Tag gewesen, durchaus eine historische Wende. Das kann man ruhig so apostrophieren. Auf der anderen Seite war sie, obwohl eine ganze Menge gesendet ist und ein Neubeginn durchaus zu verzeichnen ist, das Ganze hat natürlich unter Bedingungen stattgefunden, die an dem Grundverhältnis, an dem neuralgisch beladenen Grundverhältnis zwischen Deutschland und Israel nicht von Grund auf etwas verändert hat. Es ist vollkommen klar, dass Merkel mit großem Applaus aufgenommen worden ist deshalb, weil sie eben eine große Solidarität mit Israel bekundet hat. Ob unter anderen Beziehungen und anderen Verhältnissen Merkel hätte so über das hinweggehen können, was beispielsweise zwischen Israel und Palästina, Israel und den besetzten Gebieten, Israel überhaupt in seiner Stellung in der Region anbelangt, das wage ich zu bezweifeln. Aber weil eben die Frau an dem Tag mit großer Feierlichkeit so viel Solidarität bekundet hat, ist sie auch sehr, sehr stark gut aufgenommen worden.
Heckmann: Sie haben den Applaus angesprochen. Das ist ja sehr ungewöhnlich, dass in der Knesset applaudiert wird. Kann man also sagen unterm Strich, dass sie den richtigen Ton getroffen hat?
Zuckermann: Ja, sie hat unbedingt den richtigen Ton getroffen. Die Frage ist nur, was ist der richtige Ton? Wenn der richtige Ton ist, dass man dem Gastgeber entgegenkommen will, dann hat sie ganz ohne Zweifel den richtigen Ton getroffen. Gastgeber, meine ich damit, das ist das Land Israel. Wenn der richtige Ton eigentlich aber etwas mit der realen Politik in der Region zu tun hat, mit dem realen Diskurs in Israel zu tun hat und auch mit dem realen Diskurs in Deutschland, unter uns gesagt, zu tun hat, dann war das natürlich ein eher feierlicher Ton, der eine ganze Menge von dem überspielte, was eben an so einem Tag nicht gesagt werden kann und darf.
Heckmann: Das heißt, Sie halten es schon für kritikwürdig, dass Angela Merkel doch sehr stark darauf bedacht war, Kritik zu vermeiden, was etwas die Siedlungspolitik der israelischen Regierung angeht.
Zuckermann: Nein, ich glaube, dass sie genau das getan hat, was sie an so einem Tag tun kann. Nur sollten wir als Zuhörer und Leute, die das versuchen einzuschätzen, uns nicht zu viel vormachen. Es gibt eine ganze Menge Probleme, für die auch Deutschland als eine europäische Nation wird früher oder später irgendwelche Worte finden müssen. Momentan ist die Lage zwischen beiden Ländern so, dass Deutschland Israel kaum öffentlich kritisieren darf. Und von daher meine ich, dass beides stimmt. Sie hat den richtigen Ton getroffen, und der richtige Ton ist noch nicht unbedingt der Realität entsprechend.
Heckmann: Das Ganze hört sich danach an, als ob diese Rede von Angela Merkel so etwas geworden wäre wie ein ritualisierter Auftritt?
Zuckermann: Ich würde das unbedingt unterstreichen wollen, was sie gerade gesagt hat. Und es ist ja auch so, unter uns gesagt. Ich meine, wenn man im Parlament auftritt, dann hat man, verfolgt man ein bestimmtes Ritual. Es hat sogar einen bestimmten Kultwert, und das ist auch gut so. Das ist durchaus richtig so. Man darf auch nicht vergessen, so ein Auftritt wäre vor 10, 15 Jahren in Israel schier unmöglich gewesen. Die Tatsache, dass es möglich geworden ist, dass das weitgehend in der Presse auch positiv aufgenommen und heute Morgen auch positiv bewertet worden ist, die Tatsache, dass es nicht irgendwie Massenproteste gegeben hat, dass in deutscher Sprache im israelischen Parlament geredet wurde, das ist durchaus eine historische Wende. Das darf man nicht irgendwie unterschätzen. Nur meine ich halt, dass das genau das ist, was Sie sagten. Es ist ein Ritual, es hat einen bestimmten Kultwert, und man muss sehen, inwieweit sich diese Beziehungen später dahingehend normalisieren können, dass das, was es auch an Israel zu kritisieren gibt in dem Kontext des Nahostkonflikts, auf das Deutschland dann auch wirklich dafür die Worte finden kann.
Heckmann: Sie haben eben gerade gesagt, Herr Zuckermann, Angela Merkel sei soweit gegangen, wie Sie eben gehen konnte. Dennoch die Frage, hätte sie an dem einen oder anderen Punkt noch einen Schritt weitergehen können?
Zuckermann: Für meine Begriffe wäre es objektiv notwendig gewesen, dass beispielsweise es nicht bei dem Anruf, wo Abbas geblieben wäre, bei dem palästinensischen Präsidenten, sondern vielleicht doch bei der Stippvisite. Auf der anderen Seite kann es durchaus sein, dass das den Tag in den Augen vieler Israelis kontaminiert hätte, und von daher hat sie eben genau das getan, was sie tun konnte. Nein, ich meine, dass sie in dem Kontext, wie das angelegt war, dieser Besuch angelegt war, eben als einen Versuch etwas zu durchbrechen, dass so vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen wäre, aber eben auch das Paradigma nicht zu durchbrechen, wie die israelisch-deutschen Beziehungen zu denken sind, dass sie in diesem Rahmen mehr oder weniger genau das getan hat, was sie tun konnte. Ob sie mit mehr oder weniger Überschwang geredet hat, das wage ich jetzt nicht zu beurteilen. Klar ist, dass die stehenden Ovationen, die Sie vorhin angesprochen haben, nicht selbstverständlich sind. Die wären, wie gesagt, vor einigen Jahren ganz und gar nicht möglich gewesen.
Heckmann: Sie haben angedeutet, dass hinter verschlossenen Türen möglicherweise etwas deutlichere Worte doch gefallen sein könnten. In welcher Hinsicht stößt das in Israel, auf der israelischen Seite, auch auf offene Ohren?
Zuckermann: Ich glaube, dass Deutschland schon seit der vorigen Regierung einen bestimmten Stellenwert angenommen hat, was die Vermittlungen zwischen Israelis, Palästinensern und auch zu anderen Staaten in der Region anbelangt. Ich glaube, in dieser Hinsicht weiß man genau, was man an Deutschland hat. Die Frage, inwieweit Deutschland heute wirklich rigoros eine Kritik üben kann, beispielsweise an den Menschenrechtspraktiken, die Israelis in den besetzten Gebieten und so weiter, auch hinter verschlossenen Türen, das wage ich zu bezweifeln. Die Frage ist übrigens auch, ob die Deutschen so sehr darauf aus sind, diese Kritik auszuüben. Man darf ja nicht vergessen. Es hat sich auch in Deutschland einiges gewandelt. Ich bin noch in einer Zeit in Deutschland aufgewachsen, in der deutsche Militäraktionen im Ausland eine schiere Unmöglichkeit gewesen wären, wo auch das Asylrecht noch ganz anders ausgesehen hat, auch in Deutschland hat sich inzwischen einiges gewandelt. Ich glaube, insgesamt gibt es eine Verbündetenkonstellation hier, die in der Tat Israel in den Augen der Deutschen nicht unbedingt als kritikwürdig erscheinen lässt.
Heckmann: Einschätzungen zur Rede der Bundeskanzlerin vor der Knesset gestern waren das von Professor Moshe Zuckermann, Historiker an der Universität Tel Aviv. Herr Zuckermann, ich danke Ihnen.
Zuckermann: Ich danke Ihnen.