Samstag, 20. April 2024

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Historiker zu Sanktionen
"Krieg ohne Blut"

Unter Präsident Trump nutzen die USA verstärkt Wirtschaftssanktionen als außenpolitisches Druckmittel. Diese konfrontative Politik könne im Nahen Osten das Machtgefüge grundlegend verändern - mit katastrophalen Folgen, sagte der Historiker Michael Stürmer im Dlf.

Michael Stürmer im Gespräch mit Michael Köhler | 12.08.2018
    Michael Stürmer, Historiker, aufgenommen am 03.07.2013 während der ARD-Talksendung "Anne Will".
    Historiker Michael Stürmer: "Die Amerikaner lieben Sanktionen, weil sie wirtschaftlich besonders stark sind. Sie betrachten das als Krieg ohne Blut." (Karlheinz Schindler, dpa picture-alliance)
    US-Präsident Trump hat in dieser Woche die US-Sanktionen gegen den Iran in Kraft gesetzt. Großunternehmen reagieren und schränken den Handel mit dem Land ein. Im November soll eine weitere Sanktionsstufe folgen.
    Iran-Geschäft für deutsche Unternehmen peripher
    Für Michael Stürmer, Historiker, Publizist und ehemaliger Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, keine neue Entwicklung. Wirtschaftspolitik habe sich als außenpolitisches Instrument der USA längst etabliert. Wenn deutsche Unternehmen nun den Sanktionen Folge leisteten und den Handel mit Iran einschränkten, sei das verständlich: Das Iran-Geschäft sei für sie ein weitgehend peripheres Geschäft. Der amerikanische Markt sei unendlich viel wichtiger.
    Außerdem müssten deutsche Manager auch rechtliche Konsequenzen durch die US-Justiz fürchten:
    "Man kann sich in Amerika, auch wenn man Großmanager eines deutschen Konzerns ist, sehr schnell im Gefängnis wiederfinden (…) Die amerikanischen Sanktionen sind ja nicht nur eine Meinungsäußerung oder ein Kommentar zum Zeitgeschehen, sondern sind unmittelbar wirksame Politik."
    "Halb Krieg, halb Frieden"
    Wer Sanktion verhänge, laufe Gefahr, den Weg zu verlieren, so Stürmer weiter: "Sanktionen sind halb Krieg und halb Frieden. Und wie im Krieg sollte man, wenn man es anfängt, auch wissen, was man genau will: Was ist das politische Ziel? Wie kann ich es erreichen? Habe ich überhaupt die Chance, es zu erreichen?"
    Im Fall des Iran gehe es um die Erhaltung des Atomwaffensperrvertrages. Das Abkommen verhindere immerhin für 15 Jahre, dass Iran Nuklearsysteme entwickle und müsse aus Sicht der meisten Staaten daher erhalten bleiben. Donald Trump hingegen wolle ein umfassenderes Abkommen, das auch Irans Rolle in Syrien, bei der Terrorunterstützung und als Hegemonialmacht im Nahen Osten behandelt.
    Katastrophale Folgen
    Ob die amerikanischen Sanktionen in dieser Hinsicht wirken, sei fraglich. Wenn man in einen Krieg hineingehe, sollte man eine Vorstellung davon haben, wie man verbindlich wieder herauskomme, so Stürmer. Das wisse man in diesem Fall nicht. Wenn Iran als Reaktion auf die Sanktionen voll auf nukleare Rüstung setze, hätte das eine enorme Wirkung:
    "Dann gibt es entweder einen großen Knall - geführt von Amerika, unterstützt von Israel. Oder aber es gibt eine tiefe Veränderung der Machtgeometrie des Mittleren Ostens, weil sich dann jeder vor dem Iran fürchten muss, am meisten wahrscheinlich die Saudis."
    Diese Transformation der gesamten Region hätte, so Stürmer, weltweite Auswirkungen, die tief nach Europa hineinreichten.