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Historikerin Bauche über Kolonialismus
"Es war systematisches Unrecht"

Bei den Aktivistinnen und Aktivisten für ein postkoloniales Erinnern ist die Freude groß über die Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin. "Es geht nicht darum, koloniale Spuren zu tilgen", sagt die Historikerin Manuela Bauche. Kolonialismus müsse als Querschnittsthema betrachtet und verankert werden.

Manuela Bauche im Gespräch mit Karin Fischer |
Herero- und Nama-Gefangene um 1904 im heutigen Namibia.
Gesetzlich gestützte Entrechtung: gefangene Herero und Nama um 1904 im heutigen Namibia (afp / National Archives of Namibia)
Vor wenigen Tagen hat die Bezirksverordneten-Versammlung von Berlin beschlossen, dass die Mohrenstraße künftig Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen soll. Amo war Philosoph und im 18. Jahrhundert der erste Gelehrte afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität, seine Geschichte ist vor Kurzem auch durch eine Ausstellung bekannt geworden. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, deren Ministerium an der Mohrenstraße liegt, hat die Umbenennung begrüßt. Aber es gibt auch Kritik, und die zielt aufs Grundsätzliche: Soll man wirklich historisch heikle Namen ersetzen statt erläutern?
Es sei nie gefordert worden, den Bezug zum Kolonialismus aus dem öffentlichen Raum zu tilgen, so die Historikerin Manuela Bauche im Dlf. Es sollten aber nicht diejenigen geehrt werden, die im kolonialen System die Täter waren. Man wolle den historischen und regionalen Bezug erhalten, und deshalb Menschen ehren, die sich aktiv gegen die koloniale Besetzung ihrer Länder gekämpft hätten.
Eine Verurteilung des Kolonialismus steht aus
Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass Kolonialismus nicht längst überwundene Vergangenheit ist, sondern dass das Europa der Gegenwart tiefe Wurzeln in kolonialen Herrschaftsstrukturen hat und auch große Teile des materiellen Wohlstands darauf basieren. Verschiedene Initiativen in Berlin bemühen sich um eine adäquate Erinnerungskultur. Doch auf Seiten der offiziellen Politik gibt es Defizite, wie Manuela Bauche feststellt.
"Was in Deutschland noch fehlt, ist die ganz grundsätzliche Anerkennung, dass es sich beim Kolonialismus nicht um eine in Teilen problematische Phase handelt, sondern um ein systematisches Unrechtssystem." Begrüßenswert sei, dass im aktuellen Koalitionsvertrag zum ersten Mal festgehalten ist, dass die Erinnerung an den Kolonialismus gestärkt werden soll. Andererseits würde Kolonialismus dort nach wie vor nicht eindeutig als Unrechtssystem verurteilt: "Dort ist in Bezug auf den Nationalsozialismus eindeutig von NS-Terrorherrschaft die Rede; auch die DDR wird als SSD-Diktatur verurteilt, aber der Kolonialismus kommt vor als ‚Kolonialgeschichte‘, wird also nicht einmal als Herrschaftssystem benannt. Und das passiert in einem solchen Papier nicht zufällig."
Im Kolonialismus sei Entrechtung gesetzlich festgelegt gewesen und Gewaltanwendung keine Ausnahme, sondern die Regel und gesetzlich gestützt, wie auch die Zwangsarbeit. Koloniale Kriege würden nach wie vor als "Strafexpeditionen" verniedlicht. "Es war systematisches Unrecht und das muss anerkannt werden."
Manuela Bauche ist Historikerin am Otto Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin und leitet dort ein Projekt zur geschichtspolitischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Gebäudes Ihnestraße 22. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Kolonialismus. Sie ist außerdem Mitglied im Lenkungsausschuss des Berliner Projekts "Postkoloniales Erinnern in der Stadt".
Rassistische Muster: Das Beispiel Malaria
Am Beispiel der Malaria hat Manuela Bauche erforscht, wie sich koloniale Denkweisen auch in der Medizin etabliert haben. Ihre Dissertation zum Thema "Medizin und staatliche Herrschaft im Deutschen Kaiserreich. Die Bekämpfung von Malaria in Kamerun, Ostafrika und Ost-Friesland, 1890–1919" untersucht die Beziehungen zwischen Malariabekämpfung, staatlicher Herrschaft und Rassismus. "Malaria ist keine Tropenkrankheit!", hält Manuela Bauche fest. Sie kam bis in die 1950er-Jahre auch in Mitteleuropa vor. Man habe sie mit Chinin behandelt oder die Fieber über sich ergehen lassen. "Das wissenschaftliche Interesse an der Krankheit erstarkt Anfang des 20. Jahrhunderts, weil Deutschland Kolonien hatte. Insbesondere in den ärmeren Arbeitervierteln in Ost-Friesland hat man zahlreiche Versuche angestellt, um gegen die Krankheit vorzugehen. Das sind Geschichten, die vergessen worden sind." Kritische Medizinhistoriker würden Malaria heute als Armutskrankheit bezeichnen.