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Hitler-Film: Fatale Stammtischfolklore

Lange: Gestern Abend ist Bernd Eichingers Film "Der Untergang" in die Kinos gekommen. Wir wollen mit einem professionellen Beobachter aus dem Fach der Geschichtswissenschaften darüber sprechen, was von diesem Film und seiner Wirkung zu halten und zu erwarten ist. Am Telefon begrüße ich Professor Dr. Steinbach, er ist Historiker an der Universität Karlsruhe und wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte "Deutscher Widerstand" in Berlin. Herr Steinbach, Sie waren gestern Abend auch im Kino, hat Ihnen der Film gefallen?

Moderation: Peter Lange |
    Steinbach: Also, das war eine ganz merkwürdige Erfahrung. Das Kino war voll. Sehr, sehr viele junge Leute, eine unheimlich konzentrierte Wirkung, kein Lachen, stilles Rausgehen. Also eines wird man dem Film nicht absprechen können, dass er die Zuschauer, die normalen Zuschauer, mitnimmt.

    Lange: Haben Sie durch diesen Film etwas erfahren, dass Sie noch nicht kannten?

    Steinbach: Als Historiker merkt man natürlich, dass dieser Film gut recherchiert ist. Er stützt sich auf Erinnerungen, auf Arbeiten, er verwertet etwa die Erinnerungen von Speer durch Fest. Er stützt sich auf die Erinnerungen des Arztes, der in den letzten Tagen der Reichskanzlei für Hitler zuständig war, Schenk. Er stützt sich auf die Erinnerungen von Junge. Also, man erfährt als Historiker nichts Neues. In dem Film sind die Zitate, die den Autoren in den Mund gelegt werden, auch nicht falsch. Das Merkwürdige ist die Vermischung von Perspektiven. Man sieht im Grunde Regierende in der Katastrophe, im Untergang, in der Ratlosigkeit, in der ganzen Wahnwitzigkeit und gleichzeitig nimmt man immer teil, ja ich möchte fast sagen, an einer domestiken Perspektive, an der Sicht einer 22, 23, 24 jährigen, die eigentlich mit großen Kulleraugen durch die Weltgeschichte läuft, die sich nicht richtig zu entscheiden weiß, sie oszilliert. Das ist dann schon eine merkwürdige Erfahrung, denn vor dem Hintergrund steht ja das Wissen vom Dritten Reich, von den Verbrechen, die begangen worden sind, von dem Endsieg, der gleichzeitig mit der Vernichtung des Judentums in Europa verknüpft werden sollte. Hitler hatte die ja zum Endsieg, zum Kriegsziel, wenn man so will, erklärt. Das alles bleibt außen vor. Man wird konfrontiert mit Menschen, ich möchte mal sagen, ohne Vorgeschichte und das ist, finde ich, fatal.

    Lange: Einer der Zuschauer hat das vorhin sehr prägnant formuliert, die Zuschauer werden eingenommen, für die Handelnden, für die Akteure aber gleichzeitig fehlt dem Film der Kontext, nämlich der Kontext der Opfer. Ist das ein großes Manko?

    Steinbach: Ja, es ist nicht nur ein großes Manko, denke ich, es ist aber nicht nur der fehlende Kontext für die gesamte Verbrechensgeschichte des Dritte Reiches, sondern ich sehe im Grunde Protagonisten, die vorzüglich dargestellt werden - aber das ist ja oft betont worden - keine innere Entwicklung. Das sind Akteure, die handeln wie in einem Fotoroman und wenn man sich fragt, was bleibt eigentlich übrig am Hitlerbild, dann würde ich sagen, Hitler als Wahnsinniger, der gut mit seinen engsten Mitarbeitern umgeht, der nett zu Hunden ist, aber Herr Gott noch mal, das ist nun wirklich die Stammtischfolklore der 50er Jahre.
    Lange: Das ist ja nun auch beileibe nicht der erste Film, in dem Hitler durch einen Schauspieler dargestellt wurde, aber viele fühlen sich wohl etwas abgestoßen und sind vielleicht auch etwas entsetzt über sich selbst, weil dieser Hitler von Bruno Ganz vielleicht sogar menschliche Züge zeigt, vielleicht sogar Spuren von Mitleid auslöst. Wie erging es Ihnen?

    Steinbach: Natürlich nimmt einen dieser Film mit und die Zuschauer haben das auch richtig gesagt. Ich hatte das Gefühl, man wird regelrecht emotional eingebunden durch eine fast diabolische Musikführung. Es ist eine ungeheure Emotionalisierung durch die Hintergrundmusik da. Das ist meiner Ansicht nach aber subkutan. Hitler selber wird dargestellt als ein Zerbrochener, als ein Kranker. Bruno Ganz spielt das Zittern seiner Hände nach, seine Ratlosigkeit, seine Ausbrüche. Nein, Mitleid habe ich nicht empfunden. Es ist eigentlich so etwas wie Voyeurismus, was man an sich beobachtet. Man guckt zu, wie eine herrschende Elite ratlos untergeht und ich muss sagen, das wird zum Teil in einer unerträglichen Weise ausgespielt. So sieht man zum Beispiel wie Magdalena Goebbels jedes Kind einzeln umbringt und zwar nicht nur tötet, sondern vorher zum Schlafen bringt und wird dann in jedem Mund, in sechs Kindermündern, eine Ampulle mit Gift zerbrochen. Das ist eine Langsamkeit, die meiner Ansicht nach wirklich Menschen berührt, die Zuschauer können wie andere Menschen sterben.

    Lange: Die Zunft der Historiker ist im Grunde jetzt gespalten in zwei Lager. Wenn man das jetzt grob zusammenfasst, sagen die einen, über die NS-Zeit können besonders jüngere Leute nie genug wissen, und wenn sich das über Unterhaltung machen lässt, dann sei es. Die anderen meinen, man darf das NS-Regime nicht so isoliert von seinem Ende her darstellen. Zu welcher Richtung tendieren Sie denn?

    Steinbach: Ich würde noch eine dritte Rechnung aufmachen und ich würde sagen, der Erfolg dieses Filmes, der abzusehen ist, zeigt einmal, dass die Historiker offenbar nicht genug getan haben, um ihre Forschungsergebnisse, um ihre Arbeitsergebnisse an die Menschen heranzutragen. Dazu bedürfen wir des Filmes und insofern finde ich solch einen Film bemerkenswert und gut und wichtig. Er steht insofern auch in einer Reihe mit anderen Filmen, die in diesem Jahr den Blick auf die Zeitgeschichte geöffnet haben und ich möchte fast sagen, dazu beigetragen haben, Entzugserscheinungen von jüngeren Menschen zu beseitigen. Auf der anderen Seite denke ich, darf solch ein Film nicht von allen Kontexten absehen. Man sieht ja im Hintergrund Menschen, die leiden, man sieht etwa diese düsteren Gestalt, die durch Berlin zieht und Menschen aufhängt. Das wird aber alles angedeutet, und ich frage mich, ob das ein Außenstehender, ein nicht so mit der Zeitgeschichte Vertrauter überhaupt ganz schnell einordnen kann. Man wird mit einer Fülle von Namen orientiert, die zu identifizieren dem Historiker, dem Fachmann, schwer fällt.
    Lange: Aber die Faszination gerade solcher Filme oder auch Dokumentarfilme über die engste Führungsschicht des NS-Regimes, hat die nicht auch etwas sehr Irritierendes?

    Steinbach: Sie hat etwas Irritierendes und ich denke, das kommt auch daher - ein Zuschauer in dem Beitrag den Sie vorher gesendet haben, hat das angedeutet - er schlägt ja auch den Bogen zur gegenwärtigen Politik. Man sieht im Grunde und das ist, glaube ich, auch mit einer Absicht der Filmmacher, man sieht im Grunde die Ratlosigkeit Regierender, die sich in eine ausweglose Situation bugsieren. Das kann auch die Ohnmacht des Diktators sein, so hat man das früher gesagt, das kann auch das Spielerische sein, das etwas Charlie Chaplin dargestellt hat. Ich denke, wir werden diesen Film als Historiker nutzen müssen, um wieder neu nachzudenken über die Möglichkeiten, die wir uns schaffen, Ergebnisse der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir als Historiker denken über diesen Mechanismus, finde ich, viel zu wenig nach und deshalb haben solche Filme immer wieder eine aufschließende Wirkung, nehmen eben auch Menschen mit. Man sollte diese Filme jetzt nicht aus fachwissenschaftlicher Sicht zu eng kritisieren. Da werden natürlich Zitate geklittert, aber das finde ich, ist aus dramaturgischen Mitteln durchaus erlaubt. Also Sie sehen, ich bin genauso gespalten, wie die ganze Zunft. Es gibt ein Für, es gibt ein Wider. Das, was ich eben wirklich ganz bedenklich finde, ist die Emotionalisierung durch Musik.

    Lange: Unter dem Strich also ein zwiespältiges Fazit?

    Steinbach: Ein ganz zwiespältiges Fazit, aber ich denke, das ist eigentlich das Beste, was so ein Film erreichen kann. Er wird keine Nazis machen. Er wird eine wichtige Rolle spielen bei der Annäherung an das große Rätsel einer Zusammenbruchsgesellschaft, die sich mitleidlos mit anderen in den Tod treiben lässt und im Grunde sich sogar die Todeswürdigkeit, und das sagt Hitler ja immer wieder auch in seinem politischen Testament, bescheinigen lässt. Damit sind wir natürlich bei dem Kern, der Folgebereitschaft der Nationalsozialisten, die wir nicht erklären können und auch dieser Film nicht erklären kann.