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Höfken: Interessen der Entwicklungsländer stärker berücksichtigen

Die Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses des Bundestags, die Grünen-Politikerin Ulrike Höfken, macht die EU und die USA für das Scheitern der Welthandelsgespräche in Genf verantwortlich. Sie hätten stärker auf die berechtigte Forderung Indiens nach Schutzklauseln in armen Staaten vor zu hohen Agrarimporten eingehen müssen.

Moderation: Bettina Klein | 30.07.2008
    Bettina Klein: Von allen ,die sich von wiederholtem Scheitern entmutigen lassen, für alle die, die Nerven zeigen, wenn sie immer wieder in die gleiche Sackgasse laufen, für all diejenigen sind die WTO-Verhandlungen wahrscheinlich ein rotes Tuch. Und wer kann schon von sich behaupten, verliebt ins Scheitern zu sein. Einmal mehr ist die Welthandelsrunde in Genf gestern ergebnislos abgebrochen worden. Im Herbst wollen die mehr als 105 Staaten versuchen, erneut Barrieren im Welthandel niederzureißen. "Wir waren so nahe dran", klagte etwa die Handelsbeauftragte aus den USA, aber es sollte mal wieder nichts werden. Im Kern platzte das Treffen im Streit um sogenannte Schutzklauseln, die bestimmte Entwicklungsländer für sich sichern wollten, um ihre Bauern vor existenzbedrohendem Preisverfall zu schützen. Und am Telefon begrüße ich jetzt Ulrike Höfken. Sie ist die Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Frau Höfken.

    Ulrike Höfken: Ja, guten Morgen.

    Klein: Entgegenkommen auf allen Seiten ist in der Regel in solch verfahrenen Situationen wie jetzt bei der WTO gefragt, aber in Wahrheit denkt jedes Land zuerst an die eigenen Bauern. Ist es für Sie also einfach, den Schwarzen Peter eindeutig zuzuordnen?

    Höfken: Nein, also ich finde, Indien hat ja etwas getan, was eigentlich kurz vorher beim G8-Gipfel noch mal richtig betont wurde, nämlich hat die Frage der Nahrungsmittelversorgung und der Ernährungssicherheit ins Spiel gebracht. Und tatsächlich hungern über 850 Millionen Menschen, davon sind die meisten Kleinbauern. Und es ist durchaus berechtigt, hier diese Schutzklausel zu verlangen. Und ich finde, dass die USA sich hätten viel stärker bewegen müssen, auch die EU, um diese Forderungen zu unterstützen.

    Klein: Das heißt, der Schwarze Peter liegt nach Ihrer Einschätzung eindeutig bei den Vereinigten Staaten?

    Höfken: Bei den Industrieländern, weil auf der einen Seite ja die gleichen Industrieländer sozusagen einen großen Aufschlag machen und hier einen Aktionsplan Ernährungssicherheit verkünden kurz vorher auf dem G8-Gipfel. Und dann wenn es konkret wird, wenn tatsächlich die Bedingungen der Kleinbauern gestützt werden sollen, da handeln sie nicht. Das kann nicht akzeptiert werden.

    Klein: Aber worin kann der Ausweg denn bestehen? Denn diese Art der verhärteten Fronten besteht ja seit Jahren im Grunde genommen und dadurch, dass sich also wirklich niemand bewegt an der Stelle ist es zum weiteren Abbruch jetzt auch noch mal gekommen.

    Höfken: Ja, das ist richtig. Das ist jetzt das vierte Mal. Und ich finde das allerdings nicht begrüßenswert, sondern wir haben ja kein anderes Instrument als die WTO und wir müssen dieses nutzen und ausbauen, um die sozialen und ökologischen Standards dort auch zu verankern. Also das Recht auf Nahrung, was ja weltweit inzwischen von vielen Staaten unterzeichnet worden ist, das müsste mit diesen WTO-Rechten verankert werden, sodass dann auch solche Schutzmaßnahmen für Kleinbauern eine Selbstverständlichkeit sind in den Ländern, die diese Maßnahmen eben benötigen. Das heißt, man bräuchte hier Fortschritt in einer Strategie, die weggeht von dem reinen Ziel einer Liberalisierung, auch eben, das ist ja viel kritisiert, zugunsten meist der Industrieländer und der Konzerne, hin zu einer, Richtung fairer Welthandel.

    Klein: Aber worin kann denn der Ausweg bestehen, Frau Höfken? Natürlich sind auch die Industriestaaten interessiert daran, ihre Bauern zu schützen an der Stelle und es kann wahrscheinlich nicht dabei bleiben, von einer Seite einseitig Bewegung zu verlangen. Worin sehen Sie denn auf einer Verhandlungsbasis einen Ausweg, das heißt, was kann Industriestaaten denn angeboten werden, um Staaten wie Indien und China zu ermöglichen, zum Beispiel die Erhöhung der Schutzzölle eben zu gestatten?

    Höfken: Also, fair heißt ja immer grundsätzlich, dass die Anliegen aller Seiten berücksichtigt werden und es zum Interessensausgleich kommen muss. Das kann man bisher nicht wirklich sagen, weil die WTO sehr Industrie-Interessen-lastig gewesen ist bislang. Aber jetzt im konkreten Fall, ich weiß nicht, ob es noch mal gelingt, diese Verhandlungen wieder aufzunehmen. Die Minister wollen sich ja noch mal nach der Sommerpause treffen, um über ein Datum zu verhandeln. Das wird schwierig wegen der Wahlen in den USA, auch in der EU oder in Indien, aber hier in dem konkreten Fall geht es ja vor allem um die Schwellenwerte, ab wann solche Mischungsmechanismen für arme Länder und ihre Kleinbauernregionen greifen sollen und das halte ich durchaus für verhandlungsfähig.

    Klein: Auf der anderen Seite höre ich aber auch bei Ihnen eine gewisse Ratlosigkeit heraus. Das heißt, kann man sich damit abfinden, dass diese WTO-Runde niemals zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wird?

    Höfken: Ja, man kann sich wahrscheinlich nicht damit abfinden, weil die Alternative zur WTO, das sind diese vielen bilateralen Verträge, die oft noch sehr viel ungünstiger sind, wenn man die Interessen armer Länder oder auch, ich sage mal, armer Bevölkerungsschichten im Zentrum sieht. Also glaube ich, ist es erstrebenswert, doch eine neue Runde zu schaffen, um, ich sage mal, das, was Doha eigentlich wollte, die Interessen der Entwicklungsländer zu stärken, das noch zu realisieren und dabei aber eben auch, ich sage mal nur dieses Stichwort, Handel mit Energiepflanzen, auch diese neue Frage der Ernährungssicherheit viel stärker mit einzubeziehen. Wenn das zum Zentrum gemacht wird, könnte die Bereitschaft ja auch sehr viel größer werden.

    Klein: Berlin sagt jetzt, also sprich die Bundesregierung, "Wir wollen alles versuchen, einen neuen Anlauf zu ermöglichen". Welche konkreten Schritte schlagen Sie der Bundesregierung vor, um diesem Ziel näher zu kommen?

    Höfken: Na, ich schlage konkret vor, genau diese, ja, indische Haltung zu unterstützen zum Schutz der Kleinbauern und die, das Recht auf Nahrung, die ökologischen und sozialen Standards mit einzubeziehen. Zumindest, ich sage mal, technisch Vorschläge zu machen, die eine Verbindung von solchen Strategien, Recht auf Nahrung, WTO dann auch in Zukunft mit beinhalten. Das könnte ein Weg sein, auf eine gemeinsame Plattform zu kommen.

    Klein: Aber ich verstehe noch nicht ganz, wie dieser Kompromiss aussehen könnte. Denn weiteres Beharren auf der einen Position, die jetzt zum Scheitern geführt hat, kann es ja nicht sein.

    Höfken: Das Beharren von Indien meinen Sie jetzt?

    Klein: Ja, Sie sagen, die Bundesregierung soll weiter auch die indische Position unterstützen, an der genau das Treffen jetzt gescheitert ist.

    Höfken: Nun ja, das ist Einflussnahme auf die Industrieländer, auf die G8-Staaten, und darum verweise ich ja die ganze Zeit auf diesen G8-Gipfel, die sich ja selber zum Ziel gesetzt haben, Ernährungssicherheit nach vorne zu stellen. Dann muss es auch möglich sein, dass wir hier diese, ich sage mal, nur geringen Bewegungen in Richtung der Schwellen, die Indien gefordert hat, auch vollziehen können.

    Klein: EU-Kommissar Mandelson vertritt die EU in der Runde. Er selbst stammt aus Großbritannien und beklagt sich jetzt über die Franzosen und die Haltung der französischen Ratspräsidentschaft. Europa spricht also in der Frage auch wieder einmal nicht mit einer Stimme?

    Höfken: Ja, das ist wohl richtig. Wobei es den Franzosen möglicherweise um andere Aspekte geht. Ich weiß, dass um Bananen ja lange verhandelt wurde, und hier auch europäische Länder, wie zum Beispiel Spanien, auch Interessen hat, Frankreich in Verbindung mit den AKP-Ländern, also seinen früheren Kolonialverbindungen. Tatsächlich geht Frankreich stärker protektionistisch unter seiner neuen Regierung Sarkozy an die ganze Frage heran, aber ich denke, da ist es auch wichtig, innerhalb der EU eine Positionierung zu finden. Das muss aber nicht heißen, dass daran die Verhandlungen scheitern müssten. Allerdings ist natürlich klar, auch ich habe das Patentrezept nicht.

    Klein: Aber man kann schon sagen, die EU im Augenblick vertreten durch Mandelson, vertritt schon eher die Haltung der Industriestaaten, die Sie beklagen, Frankreich hingegen unterstützt eher Indien und China.

    Höfken: Würde ich unterstützen, Ihre Aussage. Allerdings ist das glaube ich innerhalb der EU noch nicht wirklich diskutiert. Grundsätzlich gilt aber, dass die EU bislang eigentlich sehr stark auf die Interessen der Entwicklungsländer auch eingegangen ist und eine solche Strategie muss weiter fortgeführt werden und wirklich konsequent sein. Da muss es tatsächlich um den vollständigen Abbau aller handelsverzerrenden Subventionen gehen und es muss eben dazu kommen, diese Schutzklauseln wirklich zu akzeptieren, die dann greifen müssen, wenn die Existenz der Millionen von Kleinbauern bedroht ist.

    Klein: Frau Höfken, wenn wir über Agrarsubventionen reden, dann müssen wir kurz auch noch über die Situation der Milchbauern hierzulande vielleicht reden und ihrer Furcht vor Preisverfall auf der einen Seite, der Frage nach dem Sinn hoher Subventionen auf der anderen. Stellen Sie einen Zusammenhang her zwischen dem Milchgipfel in Deutschland gestern und dem erneuten Scheitern der WTO-Runde fast zur selben Stunde?

    Höfken: Nein. Das kann man nun nicht sagen, also nicht in der konkreten Auswirkung. Allerdings hat natürlich diese Milchfrage, verdeutlich sie, dass es eben mit den reinen Liberalisierungswegen durchaus problematisch ist. Auch die Milchbauern sagen ja inzwischen "Es kann nicht sein, dass wir auf Teufel raus produzieren, selbst eigentlich keinen vernünftigen Preis mehr bekommen für unser Produkt und gleichzeitig aber auch sich die Entwicklungsländer beschweren, dass ihre Märkte dann nicht mehr sich entwickeln können". Also, es ist auf jeden Fall sinnvoll, die Märkte und einen fairen Interessensausgleich immer mit im Blick zu haben, die sozialen und eben auch ökologischen Auswirkungen mit zu beachten. Und ich glaube, diese Haltung muss sich in der WTO noch viel stärker durchsetzen, da ist sie nämlich noch nicht angekommen.

    Klein: Die Einschätzungen von Ulrike Höfken. Sie ist die Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag. Danke Ihnen für das Gespräch, Frau Höfken.

    Höfken: Bitte.