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Högl: Im NSU-Ausschuss stehen alle demokratischen Kräfte zusammen

Die Zusammenarbeit aller Fraktionen im NSU-Untersuchungsausschuss war positiv, resümiert die SPD-Obfrau Eva Högl. Der Parteienstreit habe nicht an erster Stelle gestanden. Enttäuscht zeigte sich die Politikerin über die Zeugen, die überwiegend keine Fehler eingestehen wollten.

Eva Högl im Gespräch mit Peter Kapern | 21.08.2013
    Peter Kapern: Morgen wird in Berlin der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses vorgelegt. Der Ausschuss hatte eine Frage zu klären, die eigentlich simpel klingt, aber ein unfassbares Geschehen betrifft: Wie kann es sein, dass ausgerechnet in Deutschland eine rechtsextreme Mörderbande zehn Jahre lang eine blutige Mordspur durch das Land zieht, ohne dabei entdeckt zu werden. Schon bald stellte sich heraus, dass sich dieser Untersuchungsausschuss von anderen unterschied. Diesmal stand nicht die parteipolitische Profilierung im Vordergrund, sondern der gemeinsame Wille zur Aufklärung. Gleichwohl geben die einzelnen Fraktionen zusätzlich zum gemeinsamen Abschlussbericht jeweils Einzelvoten ab. Katharina Hamberger über den Abschluss einer gelungenen Ausschussarbeit.

    NSU-Untersuchungsaussschuss geht zu Ende, Beitrag von Katarina Hamberger (MP3-Audio)

    Kapern: Katharina Hamberger war das aus unserem Hauptstadtstudio, und bei uns am Telefon ist nun Eva Högl, die Obfrau der SPD in diesem Ausschuss. Guten Morgen!

    Eva Högl: Guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Frau Högl, da klingt ja eine Menge Lob auch, Eigenlob der Mitglieder des Ausschusses durch, für diesen Untersuchungsausschuss, der sich eben nicht, wie so viele andere im Parteienstreit erschöpft hat. Warum ist das eigentlich so schwer?

    Högl: Was ist so schwer? Eigenlob oder irgendwie – das habe ich jetzt nicht …

    Kapern: Nein, den Parteienstreit aus einer solchen Untersuchungsausschussarbeit herauszuhalten.

    Högl: Ach so. Entschuldigen Sie bitte, genau. Das ist normalerweise schwer, weil bei einem Untersuchungsausschuss – wir nennen ihn ja auch das Kampfinstrument der Opposition – in der Regel darum geht, der Regierung Fehlverhalten im besten Fall nachzuweisen, aus Sicht der Opposition aber jedenfalls thematisieren. Und wir haben bei diesem Untersuchungsausschuss gleich zu Beginn gesagt, hier steht Parteienstreit nicht an erster Stelle, sondern hier stehen alle Fraktionen, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, alle demokratischen Kräfte zusammen. Unsere Aufgabe ist es, das Fehlverhalten, die Versäumnisse der Sicherheitsbehörden aufzudecken und dann Vorschläge zu machen, was wir besser machen müssen, damit es so weit nie mehr kommen darf, damit so was nie mehr passieren darf. Das war ja auch der Grund, warum am Anfang sogar einige skeptisch waren, ob ein Untersuchungsausschuss das richtige Gremium ist. Aber unsere Arbeit hat, glaube ich, gezeigt, dass diese Entscheidung richtig war, dass wir es im Deutschen Bundestag in einem Untersuchungsausschuss behandeln.

    Kapern: 107 Zeugen und Sachverständige sind angehört worden. Ist Ihnen da eine Aussage ganz besonders erinnerlich, die sich gewissermaßen eingebrannt hat?

    Högl: Also ich fand besonders erschreckend den Auftritt des Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern, Herr Fritsche, der der Auffassung war, wir im Untersuchungsausschuss dürften gar nicht so viele Fragen stellen, sondern das sei alles Angelegenheit der Regierung, das sei alles Quellenschutz und wir würden damit quasi auch ein Sicherheitsrisiko für die öffentliche Sicherheit in Deutschland darstellen. Das hat uns alle empört im Untersuchungsausschuss.

    Kapern: Wie repräsentativ war er mit dieser Auffassung?

    Högl: Na ja, es gab schon einige, die uns nicht so unterstützt haben, wie das notwendig gewesen wäre. Die Bundeskanzlerin hatte zugesichert, dass die Bundesregierung alles tut, um den Untersuchungsausschuss bei seiner Arbeit zu unterstützen, und das haben einige, insbesondere im Bundesinnenminister, auch leider der Bundesminister der Verteidigung, nicht so ernst genommen, dieses Versprechen, sodass wir ganz schön kämpfen mussten, an Akten zu kommen, Zeugen befragen zu dürfen, insbesondere aus dem Bereich des Verfassungsschutzes. Und da hat uns sehr geholfen, dass wir zusammengestanden haben, von CDU/CSU bis Linkspartei, mit allen Abgeordneten im Untersuchungsausschuss mit allen Fraktionen. Das hat diesen Untersuchungsausschuss starkgemacht.

    Kapern: Der Untersuchungsausschuss hat das Urteil gewonnen, dass es bei der Verhinderung und bei der Aufklärung der NSU-Mordserie ein Komplettversagen aller deutschen Sicherheitsbehörden gegeben hat. Haben Sie bei den Vernehmungen im Ausschuss den Eindruck gewonnen, dass die Sicherheitsbehörden selbst das auch so sehen? Hat es dort ein ausreichend deutliches Mea culpa gegeben?

    Högl: Leider nicht. Die Zeugen haben überwiegend nicht die Fähigkeit gehabt, die Möglichkeit gesehen, eigene Fehler im Nachhinein, also mit dem Blick von heute auf die Arbeit damals einzuräumen und uns auch dabei zu helfen, diese Fehler herauszuarbeiten, zu erkennen und daraus zu lernen. Die meisten Zeugen waren der Auffassung, sie selbst, aber auch ihre Behörde, die sie vertreten haben, hätten keine Fehler gemacht, man habe alles richtig gemacht. Und das fand ich sehr enttäuschend, denn es wäre ja mit dem zeitlichen Abstand möglich gewesen, zu sagen, ja, wenn ich das heute betrachte, wie ich damals gearbeitet habe – und das gilt für Polizei, Verfassungsschutz, Justiz, gilt aber auch für die politisch Verantwortlichen, die wir als Zeugen hatten –, dann wäre das, glaube ich, auch angemessen gewesen vor dem Hintergrund der Opfer und der Angehörigen. Denn für die haben wir die Arbeit ja auch gemacht. Wir können geschehenes Unrecht natürlich nicht wiedergutmachen, aber um für sie auch Fragen zu beantworten, die sie sich stellen logischerweise, die wir uns alle stellen, und da wäre es hilfreich gewesen, wenn die Zeugen einsichtsfähiger gewesen wären.

    Kapern: Nun hat aber selbst in diesem Ausschuss die parteiübergreifende Harmonie ihre Grenzen. Jede Fraktion gibt jetzt zusätzlich zum gemeinsam verfassten Abschlussbericht noch ein Einzelvotum ab. Warum?

    Högl: Ja, das ist völlig klar, dass wir – was sehr schön ist, wir bleiben bis zum Schluss zusammen mit unserer gemeinsamen Bewertung, das stellen wir morgen vor – aber es ist trotzdem klar, dass wir unterschiedliche Akzente haben, dass die Parteien in bestimmten Bereichen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

    Kapern: Beispielsweise bei den V-Leuten, Frau Högl, wenn ich da kurz eingreifen darf. Die SPD will den Einsatz von V-Leuten auch weiterhin ermöglichen, die Grünen sagen dazu eindeutig Nein. Warum sind V-Leute Ihrer Meinung nach weiter notwendig?

    Högl: V-Leute sind natürlich keine netten Menschen. V-Leute kommen aus der jeweiligen Szene, ich nehme jetzt mal die rechtsextreme Szene, sind also scheußliche Personen. Auf deren Informationen wir allerdings angewiesen sind. Wenn wir Erkenntnisse aus dem Rechtsextremismus gewinnen wollen, dann brauchen wir auch das Gespräch mit den Leuten, die dort in der Szene verankert sind, und ihre Informationen. Wir haben uns das lange überlegt, weil wir viel gefunden haben, was schief gelaufen ist. Und die Neigung, zu sagen, wir verzichten auf V-Leute, war durchaus vorhanden. Wir können diese Informationsquellen nicht ersetzen, weder durch verdeckte Ermittler des Verfassungsschutzes noch durch akustische Überwachung, also durch Abhörmaßnahmen. Und deswegen sagen wir, die SPD, wir behalten selbstverständlich den Verfassungsschutz bei, wir behalten auch die V-Leute bei, aber wir reformieren ganz gründlich. Wir müssen sie anders auswählen, wir müssen die besser führen, wir müssen den Einsatz der V-Leute besser kontrollieren insgesamt. Wir wollen das durch die GC-Kommission machen. Und wir müssen auch über die Bezahlung sprechen. Information und Bezahlung müssen im richtigen Verhältnis stehen. Und der gesamte Verfassungsschutz muss insgesamt, das zeigt ja auch die aktuelle Debatte über Nachrichtendienste, viel besser parlamentarisch kontrolliert werden.

    Kapern: Wenn die Schlussfolgerungen dieser Ausschussarbeit, Frau Högl, jetzt umgesetzt sind. Die Sicherheitsbehörden eine neue Architektur erhalten und anders arbeiten, als das vorher der Fall war, ist dann sichergestellt, dass so eine rechte Mordserie nicht noch einmal eine Dekade lang unentdeckt bleibt in Deutschland?

    Högl: Natürlich hoffen wir das alle. Das kann natürlich niemand wirklich sicherstellen. Aber wir haben jetzt so viele Fehler und Versäumnisse gefunden, die dazu geführt haben, dass niemand erkannt hat, dass es das NSU-Terrortrio gab und sie verantwortlich waren für Mord- und Sprengstoffanschläge, sodass ich natürlich mit meiner Arbeit im Untersuchungsausschuss und der künftigen im nächsten Deutschen Bundestag hoffentlich die Hoffnung verbinde, dass so etwas nie wieder passiert in Deutschland. Aber Herr Kapern, dafür brauchen wir ganz viel Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, von allen Bürgerinnen und Bürgern, und deswegen müssen wir alle sehr wachsam sein, nicht nur die Sicherheitsbehörden reformieren, sondern diese Sache zu einer Aufgabe für uns alle in unserer Demokratie machen.

    Kapern: Eva Högl war das, die Obfrau der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss. Frau Högl, danke für das Gespräch, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, und auf Wiederhören!

    Högl: Danke schön, Ihnen auch! Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.