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Höhenforschung
Atmen und leben in La Paz

La Paz gilt als der am höchsten gelegene Regierungssitz der Welt. Welche Risiken ein Leben zwischen 3200 und 4100 Metern haben kann, untersucht das Höhenforschungsinstitut der bolivianischen Stadt. Bei Embryos beobachten die Forscher immer wieder ein unregelmäßiges Wachstum der Hauptschlagader.

    Neu angekommene Besucher erkennt man in La Paz sofort: Sie schnappen heftig nach Luft, wenn sie die steilen Straßen hinaufgehen. Das Zentrum der bolivianischen Hauptstadt liegt auf 3600 Metern Höhe und an die dünne Luft muss sich der Körper erst einmal gewöhnen. Aber auch Einwohner, die in der Höhe geboren wurden, können Probleme bekommen.
    "Unter den Menschen, die hier geboren wurden, findet sich eine Krankheit, die wir als chronische Nichtgewöhnung an die Höhe bezeichnen. Auch bekannt unter dem Begriff Hyperglobulie, die erhöhte Anzahl der roten Blutkörperchen, die zu chronischen Herzgefäßerkrankungen führt. Zehn Prozent der erwachsenen Männer leiden darunter."
    Mercedes Villena, die Direktorin des bolivianischen Höheninstituts IBBA, beschreibt ein nationales Gesundheitsproblem. In der kleinen und sehr einfach gehaltenen Forschungseinrichtung werden seit 1963 diverse Krankheiten und ihr Zusammenhang mit dem Leben in der Höhe erforscht. Welche Rolle spielt bei Herzkrankheiten etwa der Aufenthaltsort der Mutter während der Schwangerschaft? Um darauf eine Antwort zu finden, brachte Doktor Carlos Salinas befruchtete Hühnereier vom Tiefland in die Höhe. An der Wand hängt eine Tafel mit seinen Studienergebnissen: Fotos, auf denen die Hauptschlagadern verschiedener Küken zu sehen sind.
    "Hier sehen sie den normalen Durchmesser bei einem Hühnchen aus der Höhe und dieses Bild zeigt die Aorta eines Kükens auf Meeresniveau. Die Aorta aus der Höhe hat einen wesentlichen größeren Durchmesser als die aus dem Tiefland."
    Beide Bilder zeigen kreisrunde Blutgefäße, das aus der Höhe ist mindestens doppelt so breit wie das aus der Tiefe. Auf einem dritten Foto ist ein ovales, fast schon flaches Gebilde zu sehen: Die Aorta eines Kükens, das während der Inkubationszeit aus dem Tiefland nach La Paz gebracht wurde.
    "Wenn ein Embryo aus dem Tiefland in die Höhe gebracht wird, verläuft das Wachstum sehr unregelmäßig. Ein Mensch mit so einer Aorta wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Herzprobleme bekommen."
    Ein weiterer Befund seiner über neun Jahre andauernden Studie ist, dass aus Eiern, die von unten in die Höhe gebracht wurden, kleine und schwache Küken schlüpften. Kamen die Eier hingegen aus La Paz ins Tiefland, entwickelten sich die Hühnchen besonders gut. Daraus leitet Carlos Salinas eine klare Empfehlung an alle Frauen ab:
    "Wenn Du vom Meeresniveau kommst und schwanger wirst, dann bleib, wo Du bist. Kommst Du aus der Höhe, dann ist es vorteilhaft, wenn Du etwas tiefer gehst."
    Der Grund dafür ist der in der Höhe abnehmende Sauerstoffgehalt der Luft. Die Mutter und in der Folge auch ihr Kind sind unterversorgt, bis sich der Körper daran gewöhnt hat, mit weniger Sauerstoff auszukommen. Doch was genau das unregelmäßige Wachstum der Hauptschlagader auslöst, weiß Doktor Salinas noch nicht. Überhaupt ist bislang wenig darüber bekannt, welche Faktoren dazu führen, dass auch Menschen, die in der Höhe geboren wurden, dort mit gesundheitlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Die Frage betrifft rund 250 Millionen Menschen, die weltweit auf einer Höhe von mehr als 3000 Metern leben. Deshalb ist das Höhenforschungsinstitut auch für Forscher aus Europa und den USA interessant. Für die sind La Paz und seine Bevölkerung fast ein natürliches Labor.
    "Dort, wo sie herkommen, können sie so niedrigen Sauerstoffgehalt im Blut, wie wir ihn hier haben, gar nicht beobachten. Wir haben hier Patienten, die unter diesen Umständen noch arbeiten!"
    Mercedes Villena ist erkennbar stolz auf die außergewöhnlichen Forschungsbedingungen, die sie Wissenschaftlern aus aller Welt bieten kann. Trotz der Bescheidenheit ihres kleinen Institutes.