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Höheres Kindergeld geplant

Capellan: Eigentlich, so hatte man ja bisher den Eindruck, hat Bundesfinanzminister Hans Eichel keinen Pfennig mehr zu verschenken. Doch jetzt greift der Sozialdemokrat wiedererwartend tief in seine Taschen. Eine, vielleicht sogar anderthalb Milliarden Mark will Eichel locker machen, Geld, das der Bund für die Neuordnung des Länderfinanzausgleiches bereit stellt. Damit scheint auch die Kindergelderhöhung um 30 Mark zu Beginn des kommenden Jahres gesichert. Kanzler Gerhard Schröder hat offensichtlich dem Druck einiger SPD-Kollegen nachgegeben. Einer, der mit Blick auf die Belastungen für die Länder, die ja zweifelsohne zu erwarten sind, besonders laut gemurrt hatte war Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Sigmar Gabriel. Mit ihm sind wir nun verbunden. Guten Morgen Herr Gabriel!

    Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Capellan: Herr Gabriel, Eichel musste sich also die Zustimmung zur Kindergelderhöhung regelrecht erkaufen. Wie sieht denn der Deal aus? Wie viel Belastung wird am Ende noch für die Länder bleiben?

    Gabriel: Ich finde, dass der Begriff Deal nicht angebracht ist, sondern es geht eigentlich um zwei Dinge. Der Bund will - und das sicher zurecht - die materielle Situation von Familien mit Kindern verbessern, sowohl durch eine Kindergelderhöhung - wir kommen ja von sehr geringen Kindergeldzahlungen von 70 Mark 1996 und wollen jetzt auf 300 Mark - als auch durch steuerliche Freibeträge. Das ist in Ordnung, aber wir haben als Länder gesagt, wir müssen selbst auch ausreichend finanziellen Handlungsspielraum haben, um das größte Problem anzugehen, das Familien in der Regel haben, nämlich dass Kindererziehung und Berufstätigkeit für viele nicht vereinbar ist. Deshalb brauchen wir mehr Ganztagsangebote oder Ganztagsbetreuungen sowie Betreuungsangebote allgemein. Dafür sind die Länder zuständig und das kostet natürlich auch Geld. Das bedeutet, dass wir über Finanzierungsfragen reden müssen. Der Bund hatte bisher die Position, dass es bei den Zahlungsmodalitäten der letzten Jahre bleiben sollte, nämlich dass Länder und Gemeinden über 57 Prozent dieser Kindergelderhöhung hätten selbst tragen sollen. Dagegen habe ich mich gemeinsam mit ein paar anderen Kollegen gewehrt, weil wir gesagt haben, dann fehlen uns die Finanzmittel für solche Ganztagsangebote.

    Capellan: Und jetzt bekommen sie zusätzliches Geld für den Länderfinanzausgleich. Hat Sie das dann zum Einlenken bewogen?

    Gabriel: Erst einmal haben wir den Bund dazu bekommen, dass er abgerückt ist von dieser Aufteilungsquote, sondern bereit ist, mit den Ländern über eine andere Finanzierung zu sprechen. Die Länder haben ja vorgeschlagen, zu der verfassungsrechtlich gebotenen Verteilung von 26 Prozent Länder und Gemeinden und 74 Prozent Bundesanteil bei der Kindergeldfinanzierung zu kommen. Darauf bewegen wir uns zu. Das ist schon mal der erste Schritt. Der zweite ist der, den Sie geschildert haben. Der Bund ist bereit, den Ländern entgegenzukommen bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleiches durch einen Finanzanteil von einer bis 1,5 Milliarden zusätzlich. Beides gemeinsam hilft uns natürlich ganz erheblich, diese Reformschritte auch in der Familienförderung zu finanzieren.

    Capellan: Warum war denn Hans Eichel plötzlich so großzügig?

    Gabriel: Der Bundesfinanzminister ist nicht großzügig, sondern er weiß, dass die Handlungsfähigkeit des Bundes sicher ein Thema ist, auf das wir achten müssen, aber dass es dem Bund ja auch nichts hilft, wenn er seine Verschuldung senkt, aber die Länder ihre Verschuldung erhöhen müssen. Das ist ja volkswirtschaftlich auch nicht besonders klug. Darüber haben wir lange geredet und er hat einen Weg gefunden, wo eins bis 1,5 Milliarden Mark eben nicht neu aufgebracht werden müssen, sondern der Bund in dieser Größenordnung Zins und Tilgung den Ländern abnimmt für den "Fonds deutsche Einheit". Dort entlastet er uns in dieser Größenordnung und er selbst hat vielfältige Möglichkeiten, das in seinem Haushalt zu organisieren. Das ist eigentlich der wichtige Beitrag, den er bringt.

    Capellan: Vielfältige Möglichkeiten sagen Sie. Das deutet auch auf eine relativ positive, wiedererwartend positive Steuerschätzung hin?

    Gabriel: Nein. Es geht im wesentlichen um sein Schuldenmanagement. Er hat völlig andere Möglichkeiten als die Länder. Er hat ein besseres Rating bei der Schuldenaufnahme. Er kann Tilgungen strecken. Das ist alles seine Angelegenheit. Wir können das alles nicht, so dass er mit dieser Größenordnung in seinem Haushalt natürlich viel besser zurecht kommt als die Länder in ihren viel kleineren Haushalten.

    Capellan: Wir haben es eben in der "Presseschau" gehört. Viele Kommentatoren sagen ja wohl nicht ganz zu Unrecht, 30 Mark mehr Kindergeld das ist im Grunde ein Tropfen auf den heißen Stein. Das meinen ja auch die Grünen. Sie wollen noch mehr. 200 Mark zusätzliches Kindergeld fordern sie für einkommensschwache Familien zumindest, denn die profitieren ja nicht von Steuerfreibeträgen, weil sie ohnehin kaum Steuern zahlen. Da ist die Rede von zusätzlich vier Milliarden Mark, die noch aufgebracht werden müssten. Ist da noch was drin? Würden Sie da noch mitziehen können?

    Gabriel: Wir liegen jetzt bei den Vorschlägen des Bundesfinanzministers bereits bei Belastungen von vier Milliarden Mark. Wenn da draufgesattelt werden soll, dann müssen die Grünen einen Finanzierungsvorschlag machen, der den Bund angeht. Es macht doch keinen Sinn, öffentlich vorzumachen, als könnten wir das Geld drucken. Wir werden ja auch schauen müssen, wie gehen wir mit der Verschuldung um. Die Kinder und Jugendlichen, die heranwachsen, haben auch nichts davon, dass die Staatsquote und die Verschuldung so riesig ist, dass sie in ihrem Erwachsenendasein Zins und Tilgung bezahlen müssen. Ich finde, dass wir uns Schritt für Schritt einer besseren materiellen Situation annähern, keine Frage. 300 Mark wird auch nicht das Ende der Entwicklung in den nächsten Jahren sein. Aber die Familien geraten viel mehr dadurch in finanzielle Bedrängnis, dass Elternteile aus dem Beruf heraus müssen, weil sie Kindererziehung und Berufstätigkeit mangels Betreuungsangeboten nicht bezahlen order organisieren können. Da müssen die Länder heran. Der Armutsbericht der Bundesregierung hat im übrigen gezeigt, dass hier das Problem der Familienarmut liegt. Wenn über soziale Transferleistungen wie Kindergeld, meinetwegen jetzt noch mehr als 300 Mark, den Ländern die Finanzkraft entzogen wird, um hier mehr zu tun, mehr Ganztagsangebote zu schaffen, mehr Betreuungsangebote, mehr Horte zu schaffen, dann helfen wir den Familien mit Trippelschritten beim Kindergeld, aber bringen überhaupt nichts zu Stande bei richtig realem Einkommen, weil die Mütter und Väter nicht arbeiten gehen können.

    Capellan: Herr Gabriel, nach dem Kompromiss vom Wochenende glauben Sie, dass nun auch die unionsregierten Länder mitziehen werden? Glauben Sie, dass man möglicherweise auch in Sachen Rente nun im Vermittlungsausschuss zu einem Kompromiss wird kommen können?

    Gabriel: Nun ja, leider ist die Politik so strukturiert, dass im wesentlichen erst mal geguckt wird, wie kann man gegen irgend etwas sein, was der eine oder andere beschlossen und verabredet hat. Ich habe jedenfalls die Hoffnung, dass wir in den Diskussionen der nächsten Wochen nach und nach auch die Union ins Boot bekommen werden. Das ist ein ganz faires Angebot des Bundes an die Länder. Wir haben uns hier bemüht, auch die Interessen der Südländer mit zu vertreten. Es wäre eigentlich ein Gebot der Fairness, wenn sie insbesondere beim Länderfinanzausgleich jetzt mitmachen würde. Bei der Altersvorsorge müssen sich die CDU-geführten Länder wirklich fragen, ob sie es sich zutrauen, im Bundesrat die steuerlichen Vorteile scheitern zu lassen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekommen sollen beim Aufbau einer privaten Altersvorsorge. Wer das will muss wissen, dass er den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern real Einkommen wegnimmt. Da wird die CDU schon erklären müssen, ob sie das wirklich durchhalten will.

    Capellan: Letzte Frage, Herr

    Gabriel: Wie geht es weiter mit dem Solidarpakt II, den weiteren Hilfen für Ost-Deutschland, denn auch darüber haben Sie am Wochenende gesprochen?

    Gabriel: Für mich ist völlig klar, dass wir den Solidarpakt II durchsetzen müssen, und zwar gemeinsam mit dem Länderfinanzausgleich vor der Bundestagswahl. Die Situation in den neuen Ländern ist weiterhin schwierig. Wir werden sicher über die einzelnen Instrumente sprechen müssen, aber es gibt für mich überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Solidarpakt II durchgesetzt werden muss. Der Aufbau Ost ist weiterhin notwendig. Es gibt ein Gefälle zwischen den westdeutschen und den ostdeutschen Bundesländern und das war überhaupt nicht in Frage.

    Capellan: Sigmar Gabriel war das, sozialdemokratischer Regierungschef in Hannover. - Danke Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio