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Hörbare Poesie
"Dichtung als eine Art Allesfresser"

Als Künstlerin bewegt sich Ulrike Almut Sandig in mehreren Welten: Ihre Gedichte führt sie unter Einsatz von Stimme und Körper und mit musikalischer Begleitung auf. "Das Ziel ist, dass sich Musik und Dichtung auf Augenhöhe begegnen", sagte Sandig im DLF. Derzeit erarbeitet sie mit Kölner Studierenden ein Lese-Sprech-Lied-Konzert.

Ulrike Almut Sandig im Gespräch mit Angela Gutzeit | 21.02.2017
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    Die Dichterin Ulrike Almut Sandig: Als Pfarrerstochter in der DDR geboren, studierte sie später Religionswissenschaften und Indologie. (Foto: Tanja Kernweiss)
    Angela Gutzeit: Herzlich willkommen, Frau Sandig!
    Ulrike Almut Sandig: Ja, hallo, Frau Gutzeit!
    Gutzeit: Bevor wir jetzt auf Ihre Wort-Ton-Projekte, besonders auf das derzeitige an der Hochschule Köln zu sprechen kommen, vielleicht ein paar Worte zu Herkunft und Werdegang! Sie sind in der DDR geboren als Pfarrerstochter und Sie haben Religionswissenschaften und – besonders interessant – Indologie studiert und dann am Leipziger Literaturinstitut weiterstudiert.
    Mich würde mal interessieren, welche Spuren das hinterlassen hat, besonders die Indologie, auf Ihr Verständnis Ihrer Poetik. Gibt es da einen Einfluss?
    Sandig: Ja, auf jeden Fall. Es ist tatsächlich auch so, dass ich in der Indologie eigentlich erst zu den Gedichten gekommen bin. Also, ich habe natürlich auch schon vorher so vor mich hin geschrieben, aber ohne großen Ehrgeiz. Und irgendwann um die Zwischenprüfung herum hat mir mein damaliger Hindilehrer eine Audiokassette geben, auf der eine Vertonung von diesem Versepos "Mahabharata" drauf war. Und ich wusste natürlich, dass das oft vertont worden war, und irgendwie ist das dann doch noch mal was anderes, wenn man es hört.
    Und da habe ich, glaube ich, da erinnere ich mich so an ein einschneidendes Erlebnis, wo ich kapiert habe, dass ein Versschema und ein Reimschema und ein Rhythmus und ein Metrum, dass das nicht nur Spielereien sind, sondern dass das akustische Gründe hat, dass das nicht nur hilft irgendwie, dass die sich die Sachen merken konnten, sondern dass die ganze Dichtung, die klassische Dichtung in Indien eigentlich musikalisch ausgerichtet ist. Und das hat mir tatsächlich später auch geholfen, jetzt an eigene Gedichte ranzugehen.
    Eine literarische und musikalische Freundschaft von Anfang an
    Gutzeit: Also hat das schon mal einen Anstoß gegeben. Am Leipziger Literaturinstitut studierte zu Ihrer Zeit, wie ich vermute, wie ich das auch nachgelesen habe, auch die Musikerin und Autorin Marlen Pelny, die in Leipzig die Literaturgruppe Augenpost gründete, der Sie auch angehörten.
    Sandig: Na, die studierte erst später, aber wir waren in der Zeit eng befreundet, das stimmt.
    Gutzeit: Ja, und haben zusammen diese Literaturgruppe offensichtlich gegründet. Mich interessiert … Aus dieser Zeit resultiert ja auch ein gemeinsames musikalisches Hörbuch. Gab das denn dann den entscheidenden Kick, sich mit der Verbindung von Dichtung und Klang zu beschäftigen?
    Sandig: Das hat auf jeden Fall einen großen Einfluss gehabt. Ich habe Marlen kennengelernt genau in der Zeit, als wir beide unsere ersten Schritte gemacht haben, sie auch als Musikerin, als Singer/Songwriterin, und ich in erster Linie als Schriftstellerin. Wir hatten parallel in einem Jugendclub in verschiedenen Räumen einen Auftritt und haben uns dann nachher sozusagen auf der Backstage-Party überhaupt kennengelernt. Und das … Wir haben eigentlich von Anfang an, von Beginn dieser Freundschaft an immer auch literarisch und musikalisch zusammengearbeitet.
    "Im Idealfall entsteht ein Hybrid"
    Gutzeit: Sie performen Ihre eigenen Texte unter Einsatz von Stimme und Körper und mit musikalischer beziehungsweise Klangbegleitung. Das kann man auch sehr schön auf Youtube zum Beispiel verfolgen, wo man verschiedene Auftritte sieht. Aber eventuell ist ja das Wort "Begleitung" gar nicht richtig. In welchem Verhältnis stehen denn für Sie Wort und Klang?
    Sandig: Ja, "Begleitung" würde ich auch nicht sagen. Für mich ist der Anspruch … Das klappt natürlich nicht immer, aber das Ziel ist auf jeden Fall, dass Musik und Dichtung sich auf Augenhöhe begegnen, also, dass die Dichtung nicht zur Begleitung der Musik abfällt, das wäre dann ein reiner Songtext, obwohl es natürlich auch Songtexte gibt, die großartige Dichtungen sind, aber auch dass die Musik nicht zur Begleitung der Dichtung abfällt. Und im Idealfall entsteht natürlich, wenn zwei sich auf Augenhöhe begegnen, was erwachsenes Drittes, ein Hybrid oder so, würde ich mal sagen.
    Gutzeit: Ja, das ist jetzt glaube ich auch der richtige Zeitpunkt, um auf ihren Workshop an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz zu sprechen zu kommen. Da sind ja genau Ihre Kenntnisse und Erfahrung gefragt. Und wenn ich das richtig verstanden habe, dann geht es in der Zusammenarbeit mit den Studierenden um Ideen, wie man einen Text in Musik umsetzt.
    Sandig: Genau, wobei ich natürlich da nicht als Musikerin bin, weil ich in dem Sinne ja auch keine Musikerin bin, das können die alle viel besser als ich, diese Studierenden. Aber es geht … Ich würde … Es geht vielleicht auch in erster Linie darum, neue Wege für das Lied zu finden. Denn das Lied als Kunstform an sich hat so ein bisschen den Anschluss in die Postmoderne verpasst, will ich fast sagen. Die Studierenden da an der Hochschule sind großartige Musiker, schon wenn die da eigentlich in den ersten Jahren sind, um überhaupt angenommen zu werden, muss man schon nicht nur Talent, sondern auch einen sehr unabhängigen Kopf mitbringen. Aber die arbeiten genrebedingt fast ausschließlich mit Dichtung, deren Dichter schon gar nicht mehr leben. Also, die haben überhaupt keine Möglichkeit, mit Dichtung zu arbeiten, die wirklich aus ihrer Gesellschaft herauskommt und vielleicht auch etwas über ihre Gesellschaft aussagt oder wo sie sich mit dem Dichter oder der Dichterin auseinandersetzen können.
    Und da geht es tatsächlich darum, dass mal wirklich alle sich treffen, die an so einer Entstehung eines Liedes beteiligt sein könnten, also der Pianist, der Komponist, der Sänger oder die Sängerin und die Dichterin, und was Neues miteinander versuchen und auch mal gegenseitig in die Rollen des anderen schlüpfen. Es gibt jetzt auch einen Pianisten, der versucht, ein Lied selber zu schreiben, also, man versucht so gegenseitig das zu machen, was man sonst eigentlich nicht macht, mal in die unsicheren Bereiche zu gehen. Denn das ist meine Erfahrung: Wenn ich was mache, was ich nicht gelernt habe, dann habe ich manchmal einen freieren Blick darauf und kann Sachen machen, die die, die es wirklich gut können … auf die die gar nicht kommen.
    Gutzeit: Das heißt, das, was Sie mit den Studierenden erarbeiten, ist etwas, was eigentlich so im Lehrplan nicht vorkommt? Ist es ein besonderer Freiraum, der jetzt geboten wird?
    Sandig: Ja, auf jeden Fall. Das ist was, was ich mir habe sagen lassen von den Professoren, deren Idee das natürlich auch war, dass die das genau deswegen anbieten wollen, weil sie das selber eben mit den Studierenden nicht machen können.
    Geplant ist eine Lese-Sprech-Lied-Konzert
    Gutzeit: Wie geht es jetzt weiter mit dem Workshop und wann wird das Ergebnis präsentiert?
    Sandig: Also, wir treffen uns das nächste Mal im April, dann noch mal im Mai und im Juni. Also, wir treffen uns ein paarmal, immer im monatlichen Abstand, und erarbeiten miteinander neue Kompositionen, wobei ich da jetzt gerade im Moment tatsächlich auf die ersten Entwürfe von den Studierenden warte oder auf die ersten Texte und auf die ersten Ideen. Und am Ende präsentieren wir das, Ende September zweimal, einmal am 25. September und einmal am 29., glaube ich, einmal in der Musikhochschule Köln und einmal im Literaturhaus Köln mit einem Lese-Sprech-Lied-Konzert oder so. Wir sind selber gespannt, was wir machen werden.
    Gutzeit: Frau Sandig, jetzt habe ich noch eine ganz allgemeine Frage zum Abschluss: Ich erinnere mich an die einzigartigen Lyrikdarbietungen des leider früh verstorbenen Thomas Kling, der seine Gedichte ja auch auf der Bühne performt hat. Der steht durchaus in einer langen Tradition, er ist ja auch nicht der Einzige. Aber ist diese Form vielleicht auch, sagen wir mal, überlebenswichtig in der heutigen medialisierten Welt, ist es wichtig, so Lyrik auch zu präsentieren?
    Sandig: Nein, finde ich überhaupt nicht. Ich finde … Ich will jetzt mal hier an dieser Stelle eine Lanze brechen für alle, die einfach weiterhin nur fürs Buch schreiben. Das gibt es auch und das gibt es in Massen und da kommen auch ganz großartige Dichter, die auch Sachen schreiben, die wirklich kaum vorlesbar sind und ihren Reiz wirklich auf der Buchseite entwickeln. Und auch die haben ihren eigenen Wert. Also, ich finde nicht, dass Dichtung sich automatisch öffnen muss für andere Medien. Aber Dichtung bietet das natürlich an, einfach weil Dichtung die älteste Literaturform ist, die wir haben, und da auch eine Art Allesfresser.
    Dichtung ist akustisch und Dichtung ist auch visuell und Dichtung ist performativ, aber sie muss das alles nicht sein. Sie kann es sein. Aber Kling ist ein gutes Beispiel: Ich würde sagen, es muss zu einem passen. Und zu Kling hat es natürlich super gepasst, niemand konnte das so machen, wie Kling das gemacht hat. Und auch jetzt kann es keiner so machen, wie Kling das gemacht hat. Und das Ziel ist natürlich, die Dinge so zu schreiben oder vorzutragen, wie nur man selber das kann, ich denke, dann funktioniert es am besten, wie bei allen Dingen in der Welt.
    Gutzeit: Frau Sandig, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch, und viel Erfolg bei Ihrem Workshop!
    Sandig: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.