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Hörerwelten
Grundgesetz als Leitkultur

Im Auto hört Tarek Bischay regelmäßig die Dlf-Reihe "Koran erklärt" - und fragt sich angesichts des um sich greifenden Populismus, ob man nicht auch der deutschen Gesellschaft das deutsche Wertgefüge erklären könnte. "Es geht darum, was wir sind. Da fehlt mir bei den Deutschen das Selbstverständnis."

Von Uschi Götz | 18.09.2017
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    Für Dlf-Hörer Tarek Bischay repräsentiert das Grundgesetz den aufgeklärten Humanismus (imago / CHROMORANGE)
    Das Mehrfamilienhaus steht in einer idyllisch-ländlichen Gemeinde nahe der schwäbischen Stadt Herrenberg. Ein gepflegter Garten umgibt das Haus, gleich dahinter Wiesen und Felder. Vor einer Tür im ersten Stock liegt ein Schuhabstreifer, nur noch vage ist darauf Che Guevara zu erkennen. Hier wohnt Tarek Bischay.
    Der mittelgroße, schlanke Mann ist perfekt gekleidet: dunkle Hose, graues Hemd. Er bittet in sein großzügiges Wohnzimmer mit moderner Sitzecke und einer von Büchern eingerahmten Essecke. Saxofon-Noten liegen auf einem Ständer. Auf dem Tisch steht eine Apfel-Sahnetorte. "Selbstgebacken", erklärt der Gastgeber und macht das Radio aus.
    "Ich höre eigentlich, wenn ich Radio höre, nur Deutschlandfunk. Vor allen Dingen die politischen Sendungen - so mit der Musik habe ich manchmal meine Schwierigkeiten, aber prinzipiell die politischen Sendungen, die Wirtschaftssendungen, die höre ich regelmäßig."
    "Grundgesetz erklärt"
    Aus diesem Grund bin ich hier. Tarek Bischay hat dem Sender einen interessanten Vorschlag gemacht, der viel mit seiner Biografie zu tun hat. Beim Kaffeetrinken erzählt er von einem Studium, das er nach über 20 Jahren in der Wirtschaft, die meiste Zeit davon als Projektmanager, wieder aufgenommen hat. Politik und Rhetorik studiert er seit zwei Jahren in Tübingen, nach der schriftlichen und mündlichen Prüfung schreibt er nun seine Magisterarbeit.
    Noch vor einer Weile fuhr er mit dem Auto zur Uni und hat dabei meist die Sendung "Tag für Tag" gehört. Seit Anfang 2015 endet die Sendung freitags kurz vor den Nachrichten um 10 Uhr mit der Serie "Koran erklärt".
    "Und da habe ich das dann gehört und fand das als Konzept ganz interessant. Dann habe ich mir überlegt: Wie sieht das eigentlich aus andersherum? Also wie kann man letztendlich die deutsche Gesellschaft, das deutsche System jemanden näher bringen, das deutsche Wertgefüge jemand näher bringen?"
    Tarek Bischay macht eine kleine Pause beim Erzählen. Seine dunklen Haare sind kurz rasiert, mit 49 Jahren wirkt er wesentlich jünger. Anfang April dieses Jahres schrieb er uns eine E-Mail. Er empfahl angesichts des um sich greifenden Populismus und Debatten zum Thema Meinungs- und Pressefreiheit, eine Reihe "das Grundgesetz erklärt" zu entwickeln.
    Stoff für jeden Integrationskurs
    Heute, fast ein halbes Jahr später, sitze ich im Wohnzimmer von Tarek Bischay, der mittlerweile noch konkretere Vorstellungen über Inhalt und mögliche Autoren für die Serie mit dem Titel "das Grundgesetz erklärt" hat:
    "Es gibt für Deutschland Dinge, die auch wichtig wären, einmal zu erklären, sowohl für die Deutschen, um sich das wieder in Erinnerung zu rufen, als auch für die Neuangekommenen. Und dann wäre es natürlich super, wenn man so etwas macht, indem man Rechtsphilosophen einbindet, Historiker einbindet, vielleicht auch einmal einen Politiker, ein Verfassungsrichter mal einbindet, und das Ganze dann auch idealerweise auch noch in Fremdsprachen machen. Dann wäre es natürlich für jeden Integrationskurs etwas, was mitverwendet werden könnte. Ja, das wäre dann ein Bestandteil der Willkommenskultur."
    Wer ist dieser Mann mit ausländischem Namen, der eine Serie über das Grundgesetz vorschlägt? Tarek Bischay ist in Stuttgart geboren und dort zur Schule gegangen. Politisch geprägt hat ihn nach eigenen Angaben jedoch sein aus Ägypten stammender Vater, "der in den frühen 60er-Jahren aus Ägypten unter Nasser fliehen musste, über Marokko nach Deutschland gekommen ist. Und meine Mutter ist halb Ungarin, halb Deutsche, also ich bin ein klassisches Beispiel für einen Migrationshintergrund."
    Den Wunsch, ein in den 1990er-Jahren begonnenes Studium nun mit einem Abschluss zu beenden, erklärt er unter anderem damit, dass er sich oft an die Haltung seines Vaters erinnere, "der sich auch den Mund hat nicht verbieten lassen und der als Migrant an vielen Stellen gesagt hat: 'Die Deutschen sind an manchen Stellen zu gutmütig'".
    Sein Vater lebt nicht mehr, doch der Sohn scheint die Meinung des Vaters als Auftrag verstanden zu haben. Der Kaffee ist längst getrunken, wir sind wieder beim Grundgesetz:

    "Die Frage ist halt, wie man in einer Gesellschaft einen Zusammenhalt schafft, der über verschiedene Kulturen, verschiedene Religionen hinweg funktionieren kann, verschiedene politische Lager. Aus meiner Sicht repräsentiert das Grundgesetz den aufgeklärten Humanismus. Aus meiner Sicht ist das der Anknüpfungspunkt und der Punkt, an dem man anfangen sollte, wenn man schon über eine Leitkultur redet, eben das vermittelt, was das Grundgesetz zu bieten hat."
    "Es geht nicht darum, was wir nicht sind"
    Bis heute regt er sich sichtbar über einen Vorstoß von Thomas de Maizière auf. Der Bundesinnenminister veröffentlichte Ende April zehn Thesen über eine Leitkultur für Deutschland. Besonders der Satz "Wir sind nicht Burka" sorgte für wochenlange Diskussionen.
    "Da habe ich gesagt: Also Leute, was verrenkt ihr euch mit irgendwelchen Dingen, die negativ besetzt sind? Es geht nicht darum, was wir nicht sind, sondern es geht darum, was wir sind! Und da fehlt mir einfach auch bei den Deutschen so ein bisschen das Selbstverständnis, dass es Dinge gibt, auf die sie stolz sein können."
    Zu der von ihm vorgeschlagenen Serie "Grundgesetz erklärt" gehöre auch ein historischer Rückblick, ist Tarek Bischay überzeugt. Nur so lasse sich erklären, welche Entwicklung Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten gemacht habe:
    "Denn es ist ja letztendlich so, dass viele Menschen nach Deutschland kommen. Darauf sollten die Deutschen stolz sein, dass sie ein Land sind, mittlerweile, das von einem Land, das Angst verbreitet hat bis nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Land geworden ist, was als Zuflucht gesehen wird. Das ist wirklich eine Entwicklung, da können die Deutschen stolz sein."
    Im Dezember will er seine Magisterarbeit abgeben, in der er sich mit Spielarten des Kapitalismus am Beispiel von Autokratien der Golfregion beschäftigt. Was er nach dem Ende seines Studiums macht, weiß er noch nicht. Denkbar sei viel, sagt er lächelnd und packt dabei die halbe Torte als Gruß für die Redaktion ein.