Sonntag, 05. Mai 2024

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Hörster: Deutsche Außenpolitik sollte zur Mäßigung raten

Die Lage in Tunesien sei unübersichtlich, sagt der CDU-Außenpolitiker Joachim Hörster. Seit den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung sei der Graben zwischen islamistischen und westlich orientierten Strömungen tiefer geworden. Ein Einbezug der säkularen Gruppen könne helfen, die Lage zu entspannen.

Moderation: Silvia Engels | 08.08.2013
    Silvia Engels: In Ägypten sind gestern die internationalen Vermittlungsbemühungen gescheitert, die Militär und Übergangsregierung einerseits und die Opposition der Muslimbrüder zu Gesprächen über die Zukunft bringen sollten. Im weiter westlich gelegenen Staat Tunesien ist die Lage nicht ganz so dramatisch, doch auch dort entladen sich seit Wochen Spannungen zwischen der dortigen islamistischen Regierung und der säkularen Opposition. Ein langjähriger Kenner Tunesiens und der gesamten Region ist Joachim Hörster, für die CDU im Auswärtigen Ausschuss und im Präsidium der deutsch-tunesischen Gesellschaft. guten Morgen, Herr Hörster.

    Joachim Hörster: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: In Tunesien soll es ja im Dezember Neuwahlen geben, aber die Verfassungsgebende Versammlung hat ihre Arbeit vorläufig gestoppt. Die Regierung will nicht vorab zurücktreten und es wird demonstriert. Droht Tunesien, mit dem eingeleiteten Wandel nicht fertig zu werden?

    Hörster: Das kann durchaus passieren. Die Lage ist jedenfalls unübersichtlich. Das, was sich herausarbeiten lässt, ist, dass es im Grunde genommen zwei große Richtungen gibt. Das eine ist die Richtung El Nahda, mehr islamistischer Staat und mehr religiös orientierter Staat, und das andere ist die mehr säkulare Richtung, der die meisten Oppositionsparteien angehören und die einen liberalen Staat haben wollen nach westlichem Vorbild.

    Engels: Ist denn dieser Graben zwischen islamistischen Kräften einerseits und säkularen Strömungen andererseits tiefer geworden, oder fällt er einfach mehr auf?

    Hörster: Ich glaube, dass dieser Graben tiefer geworden ist, weil nämlich diejenigen, die bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung die Mehrheit bekommen haben, nämlich die El-Nahda-Partei, die Islamisten, dass die nicht verstanden haben, dass sie trotz ihrer erdrückenden Mehrheit nun auch den Minderheiten Raum lassen müssen, ihre politischen Ziele in der Verfassung festschreiben zu können. Das hat man bisher verhindert und deswegen kommt es zu diesem Bruch.

    Engels: Da drängen sich ja Vergleiche zur Entwicklung in Ägypten auf. Da hat ja nach dem Sturz der Regierung auch ein Wandel stattgefunden. Gehen die Parallelen so weit, dass auch in Tunesien ein Machtwechsel durch das Militär drohen könnte?

    Hörster: Nein, das auf keinen Fall, weil das Militär in Tunesien eine völlig andere Rolle spielt als in Ägypten. Das tunesische Militär war nie ein Machtfaktor des früheren Systems gewesen, ist auch kein Machtfaktor in dem jetzigen System, und das tunesische Militär hat sich auch nicht instrumentalisieren lassen gegen die Revolution in Tunesien. Also man kann das nicht vergleichen. Die Armee ist in Ägypten weitaus politischer und weitaus mehr in der Macht vernetzt, als das in Tunesien der Fall ist.

    Engels: Muss man denn fürchten, dass auch in Tunesien Gewalt ausbrechen könnte?

    Hörster: Sie sehen ja, dass in Tunesien die beiden politischen Morde, die stattgefunden haben, der an Brahimi jetzt im Juli und der früher im Februar an Belaid, dass diese beiden Morde schon ausgereicht haben, um die Straße zum Kochen zu bringen. Wenn Sie das mit Ägypten vergleichen, wo allein in einer Nacht mehr als 70 Tote zustande kommen, ohne dass die im Einzelnen referiert werden, in Tunesien aber zwei politische Morde schon dazu führen, dass die Bevölkerung sich erhebt und gegen die Regierung Front macht, dann stellt man fest, dass hier doch ganz andere Maßstäbe zur Geltung kommen.

    Engels: Was kann die deutsche Außenpolitik tun, um Tunesien in dieser schwierigen Phase zu helfen?

    Hörster: Die deutsche Außenpolitik kann eigentlich nur zur Mäßigung raten. Die deutsche Außenpolitik kann die Tunesier immer wieder darauf hinweisen, dass sie geordnete Verhältnisse in ihrer Neuorganisation des Staates einbringen müssen, damit es auch wirtschaftlich wieder läuft, weil die entscheidende Größe bei all diesen Auseinandersetzungen ist, dass die Leute derzeit keine wirtschaftliche Perspektive sehen, dass sie eine hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere hohe Jugendarbeitslosigkeit jeden Tag verspüren, ohne dass sie einen Ausweg finden, und wir haben uns von der deutschen Seite ja immer darauf konzentriert zu sagen, die Wirtschaft muss ins Laufen kommen, sie muss wieder an Stabilität gewinnen, damit es im Land insgesamt besser wird. Aber wenn die Verhältnisse so andauern, wie das jetzt der Fall ist, dann wird der Tourismus, der ein wesentliches Standbein der tunesischen Wirtschaft ist, sehr leiden und darüber hinaus wird es auch sehr schwierig werden, Neuinvestitionen in diesem Land zu ermöglichen, denn man muss ja immerhin sagen, dass die im Land verbliebenen deutschen Unternehmen nach wie vor dort produktiv sind, keine Investitionen zurückgenommen haben und immer noch darauf hoffen, dass es ein gutes Ende in Tunesien gibt.

    Engels: Hoffen Sie das auch?

    Hörster: Ich hoffe das auch, weil die Tunesier sind diejenigen, die auf der einen Seite die arabische Kultur mit der europäischen Kultur verbinden können. Sie sind die am weitesten Europa angenäherte Bevölkerung, auch was den Bildungsgrad anbetrifft, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, jedenfalls nach dem bisherigen System, und deswegen wäre es wirklich schade und eine mittlere Katastrophe, wenn der Weg zur Demokratie dort verschüttet würde.

    Engels: Beenden wir das Gespräch noch mit einem kurzen Blick auf Ägypten, wo ja die Zeichen schon länger auf Eskalation stehen. Nach dem Scheitern der internationalen Vermittlungsgespräche warnt nun mancher Beobachter, dass nach dem Ende des Ramadan es wieder blutig werden könnte. Was erwarten Sie?

    Hörster: Ja, ich halte das nicht für ausgeschlossen, denn hier geht es wirklich um einen harten Machtkampf. Die Muslimbrüder haben die Wahlen gewonnen, was manch einen überrascht hat, zu meiner eigenen Verwunderung, denn die Muslimbrüder waren die einzigen sozusagen, die man wählen konnte, wenn man das korrupte System von Mubarak ablehnen wollte. Aber die Muslimbrüder haben ebenso wenig wie die El Nahda in Tunesien verstanden, dass man auch Minderheiten zur Geltung kommen lassen muss, selbst wenn man auf demokratische Weise Mehrheiten gewonnen hat, und die Muslimbrüder haben ihre demokratisch gewonnenen Mehrheiten missbraucht, indem sie einfach ihre Macht in die falsche Richtung angewendet haben und die kleineren, die anderen politischen Gruppierungen nicht haben zur Geltung kommen lassen, und jetzt geht es um die Macht und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Militärs auch nur einen Millimeter nachgeben, bis sie die Macht wieder in der Hand haben.

    Engels: Joachim Hörster, Mitglied für die CDU im Auswärtigen Ausschuss. Wir sprachen mit ihm über Ägypten, aber zuvor ausführlich über die Lage in Tunesien. Vielen Dank für Ihre Zeit.

    Hörster: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der ermordete tunesische Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi wird in Tunis zu Grabe getragen.
    Der ermordete tunesische Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi wird in Tunis zu Grabe getragen. (picture alliance / dpa / Amine Landoulsi)