Dienstag, 19. März 2024

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Holocaust-Gedenken
"Konferenz in Yad Vashem soll Feierlichkeit in Auschwitz den Glanz nehmen"

Der alte Streit zwischen Russland und Polen über die Rolle der beiden Staaten im Zweiten Weltkrieg überschattet das diesjährige Gedenken an die Schoah. Der polnische Journalist Adam Krzeminski warf Russlands Präsident Wladimir Putin im Dlf Einflussnahme auf das Holocaust-Forum in Yad Vashem vor.

Adam Krzeminski im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 23.01.2020
Der polnische Journalist Adam Krzeminski 2017 in der Nikolaikirche in Leipzig (Sachsen)
Der polnische Journalist Adam Krzeminski übt scharfe Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin (picture alliance/ dpa/ Hendrik Schmidt)
Seit vielen Jahren wird die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im besetzten Polen am 27. Januar 1945 als Holocaust-Gedenktag begangen. Schon heute sind rund 50 Staats- und Regierungschefs in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel zusammengekommen, um der Opfer zu gedenken und sich zum Kampf gegen Antisemitismus zu bekennen. Unter den Rednern ist mit Frank-Walter Steinmeier erstmals ein deutscher Bundespräsident. Der polnische Journalist und Publizist Adam Krzeminski erläutert im Interview, was der polnisch-russische Geschichtsstreit aus seiner Sicht mit der Gedenkveranstaltung zu tun hat.
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Krzeminski, die Welt gedenkt der Opfer der Shoa in Yad Vashem. Wie stark wird das in Polen verfolgt?
'Adam Krzeminski: Traditionell wird dieser Tag, das heißt der 27. und nicht der 23. Januar, in Auschwitz gefeiert. Das ist der Tag des Gedenkens an den Holocaust und an die Opfer des nazistischen Völkermordes. Und die Feierlichkeiten wird es auch in diesem Jahr geben. Es ist eindeutig, dass diese Initiative, jetzt in Yad Vashem eine Konferenz zum Holocaust und Antisemitismus zu veranstalten, eine Initiative ist, diesem Jahrestag am 27. Januar, dieser Feierlichkeit in Auschwitz den Glanz abzunehmen. Es ist nicht der israelische Staat, der das in Bewegung setzte, sondern der Vorsitzende des Europäischen Jüdischen Kongresses - und das ist ein enger Mitarbeiter von Wladimir Putin: Wjatscheslaw Mosche Kantor. Und das ist der alte polnisch-russische Streit. Es geht hier um die Isolierung Polens in der Vergangenheitspolitik. Die Entscheidung des polnischen Präsidenten kann man verstehen.
"Kein Ausweg aus dieser Sackgasse" für Polens Präsident Duda
Heckmann: Ich wollte gerade fragen: Sie sagen, diese Veranstaltung soll den Glanz nehmen von der eigentlich eingeführten Veranstaltung in Auschwitz.
Krzeminski: Ja!
Heckmann: Jetzt hat Präsident Duda ja gesagt, er kommt nicht, weil er kein Rederecht hat.
Krzeminski: Ja, so ist es.
Heckmann: Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?
Krzeminski: Ich kann sie nachvollziehen. Er hatte keinen guten Ausweg aus dieser Sackgasse. Wäre er dort hingegangen und hätte er sich das anhören müssen, was Putin sagen würde – wahrscheinlich wird er das wiederholen, was er vor Kurzem sagte -, dann wäre es peinlich. Und natürlich ist seine Entscheidung, nicht hinzufahren, genauso peinlich, aber verständlich, und das wird meistens so in Polen gesehen, auch von der Opposition, die weitgehend der gesamten polnischen Vergangenheitspolitik der letzten fünf Jahre die Schuld für diese Isolierung Polens gibt. Die national-katholische Ausrichtung hat tatsächlich Polen isoliert unter seinen Nachbarn. Das ist nicht nur Russland - aus verständlichen Gründen. Das ist die Ukraine, das ist die völkerrechtlich widerrechtliche Annexion der Krim. Aber das ist auch die Europäische Union wegen der falsch gedachten Reform des Justizsystems. Das ist Frankreich. Das ist auch zum Teil Deutschland, weil wir immer wieder auch die längst vergangene, vergessene Rhetorik immer wieder hören von den rechten Politikern. Vor kurzem sagte ein Ex-Vizejustizminister in Brüssel, er warf dem polnischen Ex-Außenminister Sikorski vor, er klammere sich an das deutsche Hosenbein. In einem Europäischen Parlament so etwas zu sagen, das zeigt, dass die Nationalen im eigenen Saft schmoren.
"Natürlich gab es in Polen Antisemitismus"
Heckmann: Herr Krzeminski, lassen Sie uns noch einen Moment bei dem Geschichtsstreit bleiben, der ja nach wie vor an der Oberfläche ist und immer wieder hochkommt, jetzt ganz aktuell auch. Es gibt ja erhebliche Differenzen zwischen Moskau und Warschau, was den Blick auf den Zweiten Weltkrieg und die Schoah angeht. Der russische Präsident Putin wirft den Polen vor, den Holocaust zustimmend zur Kenntnis genommen zu haben, und verweist auf den stark verbreiteten Antisemitismus auch in Polen damals. Wieviel ist davon dran? Wieviel ist Geschichtsklitterung?
Krzeminski: Das hat ein Körnchen von Wahrheit. Natürlich gab es in Polen Antisemitismus. Aber es ist eine Lüge, die sich mit kleinen Wahrheiten stützt. Erstens: Es ist der polnische Staat und es ist die polnische Exilregierung, die die Dokumentation über den Holocaust an die Westmächte, an die Briten und an die Amerikaner zustellte.
Heckmann: Die die Weltöffentlichkeit informiert hatte.
Krzeminski: Im Krieg. Zweitens: Immerhin sind die meisten Bäumchen in Yad Vashem den Polen gewidmet, die Juden im Krieg gerettet hatten. Und es ist hanebüchen, Polen für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu beschuldigen, nur um den Hitler-Stalin-Pakt und faktisch die Komplizenschaft Stalins bei Vorbereitung und Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu kaschieren. Das ist eigentlich der Hauptsinn des polnisch-russischen Streites. Übrigens: Es gab eine polnisch-russische Kommission der Historiker, die eindeutig diese Lügen von Putin widerlegt hatten, und das waren russische Historiker. Derselbe Putin, der heute das sagt, hat 2009 auf der Westerplatte in Danzig den Hitler-Stalin-Pakt als moralisch verwerflich abgelehnt.
"Stalinistische Geschichtslüge und alte zaristische Ideologie"
Heckmann: Da sind sich auch die Historiker im Prinzip einig, was diesen Punkt angeht. Der Hitler-Stalin-Pakt ist ja auch ein wichtiges Ereignis gewesen.
Krzeminski: Aber nicht für Putin! Aber nicht für Putin, weil jetzt sagt er, es sei ein Meisterstück der sowjetischen Diplomatie. Das heißt, es ist zurzeit eine Verbindung vor dem Hintergrund Ukraine und Krim, eine Verbindung der alten zaristischen Ideologie, wo das Opfer selbst Schuld ist an seinem Schicksal, und eine stalinistische Geschichtslüge. Und das ist ziemlich unannehmbar, egal ob man ein Oppositioneller in Polen ist oder ein Regierungssprecher.
Heckmann: Kurze Abschlussfrage. Denken Sie, dass er damit auch die Menschen überzeugen kann?
Krzeminski: In Polen auf keinen Fall. In Russland ja. Im Westen: Es kommt darauf an, wie die westlichen Politiker auf diese Lügen reagieren. Die Tatsache, dass nicht Trump nach Jerusalem gefahren ist, sondern der Vizepräsident, zeigt, dass die Amerikaner das polnische Dilemma wahrgenommen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.