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Holocaust-Prozess
Mit-Organisator der Deportation

Vor einem israelischen Gericht beteuerte der Leiter des "Judenreferats" im Dritten Reich, Adolf Eichmann, nach Kriegsende seine Unschuld - in Ungarn organisierte er allerdings vor 70 Jahren die Deportation von fast 400.000 Juden nach Auschwitz. Dank engagierter Diplomaten überlebten fast 120.000 ungarische Juden durch Schutzpässe und geheime Quartiere.

von Matthias Bertsch | 15.05.2014
    Adolf Eichmann nach seinem Prozess in seiner Zelle
    Adolf Eichmann nach seinem Prozess in seiner Zelle (picture alliance / dpa )
    "Die Dokumente beweisen es ja, dass ich selbst mit der Fahrplanstellung nur am Rande beteiligt gewesen war, nachdem die hohen Vorgesetzten Winkelmann und Veesemayer diese Sache in Ungarn persönlich regelten, und so verblieb mir für den Anfang tatsächlich nichts anderes als wie für eine laufende Berichterstattung und Unterrichtung meiner Vorgesetzten zu sorgen"
    Als Adolf Eichmann im Frühjahr 1961 in Jerusalem vor Gericht stand, beschrieb der ehemalige Leiter des so genannten "Judenreferates" im Reichssicherheitshauptamt seine eigene Rolle bei der Umsetzung des Holocaust als die eines subalteren Beamten. Eine reine Schutzbehauptung, betont die Literaturwissenschaftlerin Constanze Jaiser, die seit über 20 Jahren zu den ermordeten Juden Europas forscht.
    "Eichmann hatte entscheidenden Einfluss auf den Massenmord an den Juden Europas. Nicht nur, dass er die Schätzungen vorgenommen hat, wie viele Juden es zu ermorden gilt, sondern auch, wie er dann die einzelnen Deportationen organisiert hat aus den einzelnen Ländern, und ganz besonders in Ungarn, wo er persönlich auch vor Ort war und mit seinen 100 Angestellten dieses tödliche Unternehmen organisiert und geleitet hat."
    Ungarn hatte sich im Krieg zunächst den Achsenmächten angeschlossen, doch die immer deutlicher werdende Niederlage Deutschlands ließ die Regierung um den rechtsnationalen Admiral Miklos Horthy umschwenken. Und so beschloss Hitler im Februar 1944, das Land zu besetzen. Als Eichmann einen Monat später in Ungarn eintraf, hatte er einen klaren Auftrag: die Durchführung der so genannten Endlösung. Die im Land lebenden über 700.000 Juden waren bislang von Deportationen verschont geblieben, doch Eichmann konnte auf antijüdische Gesetze zurückgreifen, so der in Berlin lebende ungarische Schriftsteller György Dalos.
    "Die Gesetze waren vorher und die Gesetze waren ungarisch und die Gesetze wurden von den beiden großen christlichen Kirchen initiiert. Allerdings waren diese Antisemiten nicht unbedingt barbarische Massenmörder, sondern der ungarische Adel, die wollten die Juden eigentlich nur verdrängen."
    Beginn der Deportation im Mai 1944
    Nach Eichmanns Ankunft ging alles sehr schnell. Mit Hilfe der ungarischen Polizei wurden die jüdischen Gemeinden in Synagogen und Gemeindezentren befohlen, von dort in Ghettos oder stillgelegte Fabriken gebracht und ab dem 15. Mai 1944 in Güterzügen nach Auschwitz deportiert. Innerhalb von sieben Wochen wurden dort fast 440 000 ungarische Juden vergast. Obwohl es inzwischen Berichte über das Vernichtungslager gab, konnten oder wollten sich die Opfer die grausame Realität nicht vorstellen.
    "Grob gesagt kann man sagen, dass die ungarischen Juden immer gedacht haben, dass sie anders behandelt würden als z. B. die polnischen Juden. Sie haben davon gehört, dass in Polen schon sehr viele Juden deportiert worden sind, dass es Massenmord gab, aber sie selbst haben sich so ungarisch gefühlt und so gut integriert in die ungarische Gesellschaft, die haben nicht wirklich damit gerechnet, dass ihnen dasselbe Schicksal blüht."
    Nachdem die Alliierten Horthy drohten, ihn nach dem Krieg für die Vernichtung der ungarischen Juden verantwortlich zu machen, stoppte dieser die Deportationen Anfang Juli. Für die in Budapest noch lebenden 200.000 Juden folgten drei Monate relativer Sicherheit, bis im Oktober die nationalsozialistische Pfeilkreuzler-Partei mit Hilfe der Deutschen die Macht übernahm und die Deportationen fortsetzte. In Todesmärschen wurden die Juden zu Zehntausenden in Richtung Österreich getrieben, andere fielen Pogromen und den Lebensbedingungen im Ghetto zum Opfer. Als die Rote Armee Budapest im Februar 1945 einnahm, hatten dennoch fast 120.000 Juden überlebt. Dies verdankten viele dem unermüdlichen Engagement einiger weniger Diplomaten, allen voran Raoul Wallenberg. Der schwedische Gesandte besorgte mehreren tausend Juden Schutzpässe oder eine Unterkunft in so genannten „Schwedenhäusern", die unter dem Schutz der schwedischen Regierung standen. Die Erinnerung an Wallenberg ist für viele der überlebenden Juden bis heute ungebrochen, so zum Beispiel für den 70-jährigen Andras Varga.
    "Dass unsere Familie lebt, ja, also mindestens meine Mutter, ich hab 54 Angehörige verloren, die ich nur von Bildern kennen gelernt habe, dass wir leben, das war die Anwesenheit von Raoul Wallenberg. Kein anderer Mensch konnte so viele Menschenleben retten wie er."