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Homburger: Koalitionsvertrag enthält alle Kernpunkte der FDP

Die Fraktionsvorsitzende der FDP, Birgit Homburger, hat Zweifel an der Gültigkeit der Koalitionsvereinbarungen zurückgewiesen. Die Steuerstrukturreform komme auf jeden Fall. Lediglich das anvisierte Datum Anfang 2011 könne sich noch ändern.

Birgit Homburger im Gespräch mit Gerwalt Herter |
    Gerwald Herter: Heute Abend wird Bundeskanzlerin Angela Merkel in Paris erwartet. Ihre erste Auslandsreise geht also nach Frankreich. Sie weiß längst, wie wichtig so etwas ist. Es geht um Symbolik. Zuvor muss Merkel aber von den Abgeordneten des Bundestags wiedergewählt werden. Am Nachmittag findet dann die erste Kabinettssitzung statt, bevor die Maschine mit der Kanzlerin Richtung Paris abgeht. Ein fliegender Start in schwierigen Zeiten. Wird es in diesem Tempo weitergehen und in welche Richtung?

    Nun bin ich mit der neuen Fraktionschefin der FDP im Bundestag verbunden, mit Birgit Homburger. Guten Morgen, Frau Homburger.

    Birgit Homburger: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Frau Homburger, Koalitionsverträge sind sozusagen Blaupausen oder neudeutsch Masterpläne der Regierungspolitik. Hätte der Koalitionsvertrag, den auch Sie unterschrieben haben, nicht sehr viel klarer formuliert werden müssen?

    Homburger: Ich finde, dass der Koalitionsvertrag sehr klar formuliert ist, dass wir hier ein gemeinsames Kursbuch für die nächsten vier Jahre geschrieben haben und dass dieser Koalitionsvertrag auch eine klare Richtung vorgibt.

    Herter: Aber Sie sprechen zum Beispiel von einem Systemwechsel in der Gesundheitspolitik., Der neue Gesundheitsminister Rösler davon, dass es beim Gesundheitsfonds nicht bleiben kann. Politiker der Union sprechen davon, dass es beim Gesundheitsfonds bleibt. Diese Dissonanzen hätte man doch vermeiden können durch längere, dann aber wo möglich auch schmerzhaftere Verhandlungen. Warum ist das nicht geschehen?

    Homburger: Wir haben sehr klar verhandelt. Wir haben auch diesen Teil sehr intensiv besprochen und es war ja nicht so, dass es hier keine Diskussionen gegeben hätte. Der Koalitionsvertrag sieht in diesem Bereich ganz klar vor, dass das bestehende System überführt wird in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, mit regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden sollen. Das bedeutet, das ist ganz klar ein Neuanfang in der Gesundheitspolitik, eine wirkliche Strukturreform, und das werden wir natürlich auch entsprechend umsetzen.

    Herter: Aber dieser Koalitionsvertrag bietet doch den Koalitionspartnern Möglichkeiten, sich zu bedienen wie aus einem Selbstbedienungsladen.

    Homburger: Nein. Es geht hier überhaupt nicht darum, sich in irgendeiner Form zu bedienen, sondern es geht uns mit diesem Koalitionsvertrag und mit den Inhalten, die wir hier für die nächsten vier Jahre festgelegt haben, darum, dass wir einen Aufbruch für Deutschland erreichen wollen, dass wir wollen, dass es einen Neuanfang gibt, dass wieder mehr Menschen Chancen auf Arbeit in Deutschland haben, und deshalb haben wir klar festgelegt, dass es eine neue Richtung geben wird in der Gesundheitspolitik, dass der Gesundheitsfonds definitiv so nicht bleiben wird. Wir haben klar festgelegt, dass es bereits zum 1. Januar 2010 Entlastungen geben wird insbesondere bei den Familien, aber auch bei der Mittelschicht. Wir werden die Unternehmenssteuerreform und die Erbschaftssteuerreform überarbeiten. Das sind Dinge, die eindeutig festgelegt sind im Koalitionsvertrag, und deswegen zeigt sich daran auch, dass wir einen Aufbruch wollen, dass wir ein Signal wollen an die Bürgerinnen und Bürger, dass wir mit einem neuen Denken an diese Dinge herangehen, und ich bin überzeugt davon, dass wir das auch gemeinsam umsetzen.

    Herter: Die Zeiten sind ohne Zweifel schwierig, aber gerade da geht es doch um Sicherheit und mehr als ein Dutzend Arbeitsgruppen sollen noch weiter verhandeln. Arbeitsgruppen gab es ja während der Koalitionsverhandlungen auch. Ist das wirklich ein Zeichen von Sicherheit? Wissen die Menschen wirklich, wo es langgeht?

    Homburger: Es ist, sage ich noch mal, ganz klar festgelegt und wer den Koalitionsvertrag liest, der wird sehen, dass da sehr vieles drinsteht. Es stehen vor allen Dingen all die Kernpunkte drin, die die FDP vor der Bundestagswahl versprochen hat. Wir hatten in einem Wahlaufruf unsere Kernforderungen festgehalten; diese finden sich alle in diesem Koalitionsvertrag wieder. Wir wollen einen neuen Aufbruch, wir werden auch einen neuen Aufbruch schaffen. Und was die Arbeitsgruppen angeht, ist es ganz einfach: Man schreibt ja nun mit einem solchen Koalitionsvertrag nicht ein Gesetz, sondern man schreibt ein Kursbuch. An dieser Stelle möchte ich auch noch mal ganz deutlich sagen: Das ist ja nicht etwa eine Wunschliste, sondern ist ein solide erarbeiteter, verbindlicher Vertrag und ein gemeinsamer Beschluss, der ausdrücklich die Zustimmung auch aller Parteitage, von CDU/CSU und FDP, erhalten hat, und deswegen bin ich zuversichtlich, dass das jetzt auch gemeinsam umgesetzt wird.

    Herter: Ihr Parteivorsitzender Westerwelle sagt, die FDP habe alle wesentlichen Punkte durchgesetzt. CSU-Chef Seehofer spricht davon, dass viele Kernforderungen der FDP, mehr als ein Dutzend, zurückgewiesen worden sind. Was soll man denn davon halten?

    Homburger: Wir können nur sagen, dass wir als FDP diesem Vertrag eine liberale Handschrift gegeben haben, und das können wir auch nachweisen. Wenn man unseren Wahlaufruf nimmt und wenn man dann die Formulierungen des Koalitionsvertrages daneben sieht – und wir haben das ja auch einmal aufgeschrieben -, dann wird man merken, dass das teilweise wortgleich so ist, dass unsere Kernpunkte ganz eindeutig festgelegt sind. Unsere Kernpunkte waren Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere der unteren und mittleren Einkommen, eine Entlastung der Familien, eine Reduzierung der Steuerlast auch im Bereich der Unternehmen, eine Revidierung der Erbschaftssteuerreform, mehr Konzentration auf Bildung und Forschung, wir wollen die Bildungsrepublik Deutschland, eine Korrektur bei den Bürgerrechten. Das waren alles Kernforderungen der FDP und all diese Forderungen finden sich in diesem Koalitionsvertrag wieder. Dass sich da natürlich nicht 100 Prozent unseres Programms wiederfinden, ist auch klar, aber wir haben dem Vertrag eine klare liberale Handschrift gegeben und diese große Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag mit 93 Bundestagsabgeordneten, wir sind der Garant dafür, dass diese liberale Handschrift dann auch umgesetzt wird.

    Herter: Ihr FDP-Sparbuch, von dem ja im Bundestagswahlkampf viel die Rede war, gehört nicht zu den Kernforderungen?

    Homburger: Wir haben auch, was die Haushaltsfrage angeht, klare Regeln in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wir haben deutlich gemacht, dass Steuerentlastung und Haushaltskonsolidierung Hand in Hand geht. Das Sparbuch gehörte in der Tat nicht zu den Kernpunkten, weil das Sparbuch waren Vorschläge der FDP-Bundestagsfraktion zum letzten Bundeshaushalt. Aber wir haben deutlich gemacht, dass selbstverständlich im Haushalt auch gespart werden muss. Wir haben bewiesen als FDP, sowohl in der Vergangenheit im Deutschen Bundestag, dass wir hier Vorschläge haben. Auch in den Ländern, in denen wir mitregieren, haben wir immer wieder deutlich gemacht, dass die FDP auch bei der Frage der Haushaltskonsolidierung Kurs hält, und ich bin überzeugt davon, dass wir auch das gemeinsam schaffen werden.

    Herter: Hat es Sie überrascht, dass Wolfgang Schäuble das Amt des Finanzministers übernehmen wird?

    Homburger: Es war sicherlich eine überraschende Entscheidung, aber ich denke, dass er sehr viel Erfahrung in der Politik mitbringt und jetzt werden wir gemeinsam natürlich den Bereich der Haushalts- und Finanzpolitik dann auch gestalten.

    Herter: Schäuble hat gesagt, Steuersenkungen ja, wenn das möglich ist. Steht im Koalitionsvertrag. Interpretieren Sie den Vertrag anders?

    Homburger: Nein, das steht nicht im Koalitionsvertrag. Es steht drin, dass die Steuerstrukturreform, die die FDP immer gefordert hat, das Stufenmodell, möglichst zum 1. Januar 2011 kommen soll. Allerdings bezieht sich dieses Wort "möglichst" nicht etwa darauf, ob die Steuerreform kommen soll oder nicht, sondern es bezieht sich ausschließlich auf das Datum und genauso ist das da besprochen worden und genauso ist es auch gemeint. Deswegen: Auch diese Steuerstrukturreform, die die FDP immer gefordert hat, ein einfacheres, niedrigeres, gerechteres Steuersystem, genau das ist in diesem Koalitionsvertrag aufgeschrieben. Die Bundeskanzlerin selbst hat das ja auf der Pressekonferenz noch mal genau so gesagt und deswegen bin ich auch an diesem Punkt ganz sicher, dass wir das gemeinsam hinkriegen.

    Herter: Die Ministerpräsidenten sind aber nicht alle damit einverstanden. Auch viele der CDU haben Bedenken angemeldet. Was würden Sie sagen, wenn sich die Pläne im Bundesrat nicht durchsetzen lassen?

    Homburger: Auch die Ministerpräsidenten haben ein Interesse daran, dass es in diesem Land wieder vorwärts geht, dass es ein Aufbruchsignal gibt. Das ist ja das Ziel dieser Koalition. Wir wollen eine Koalition des Aufbruchs sein. Die Ministerpräsidenten waren an dieser Stelle auch eingebunden und ich kann nur sagen, ich komme selbst aus Baden-Württemberg, auch in Baden-Württemberg gab es hier Diskussionen. Ich habe jetzt wieder gehört, dass der Finanzminister aus Baden-Württemberg, Herr Stächele, auch gesagt hat, er wolle keine Steuersenkungen. Aber gerade auch hier wird sehr deutlich, dass wir sie da brauchen, und deswegen bin ich überzeugt, dass auch diese Finanzminister und Ministerpräsidenten das verstehen werden.

    Herter: Birgit Homburger, die Fraktionschefin der FDP im Bundestag, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank!