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Homophobie in Russland
Wo Schwulen-Hetze salonfähig ist

In Russland können Homosexuelle weder eine Ehe noch eine eingetragene Partnerschaft schließen. Nun ist einem Moskauer Paar zumindest die Registrierung der Ehe gelungen. Doch nach massiven Anfeindungen haben die Männer ihrer Heimat den Rücken gekehrt.

Von Thielko Grieß | 26.02.2018
    Menschen in Moskau protestieren gegen Homophobie
    Proteste gegen Homophobie in Moskau im Juli 2013. Längst ist Hetze gegen Schwule in Russland salonfähig geworden. (Fredrik von Erichsen/dpa)
    Die beiden Männer haben bei Facebook Fotos hochgeladen. Zu sehen sind Pawel Stozko und Jewgenij Wojzechowskij in einem prächtigen Standesamt. Sie lächeln einander zu, küssen sich, tauschen ihre Eheringe aus. Das hätten sie in dem Land, dessen Staatsbürger sie sind, in Russland, nicht tun können - das Standesamt befindet sich in Kopenhagen. Was aber möglich war: diese Ehe in Russland eintragen zu lassen. Wenige Stunden nach dem Vollzug dieses Rechtsakts in einer Moskauer Behörde sitzt Stozko mit seinem Mann Wojzechowskij im Studio des unabhängigen Kanals Doschd und berichtet:
    "Das ist ein verbreiteter Mythos, dass dies angeblich nicht möglich ist. Wir haben uns mit der Gesetzeslage, dem Familienrecht auseinander gesetzt und es zeigte sich, dass Ehen, die im Ausland registriert wurden, in Russland anerkannt werden. Sie werden anerkannt, wenn sie dort rechtmäßig geschlossen worden sind und ihnen nichts entgegensteht, wie etwa bei einer Ehe zwischen nahen Verwandten oder unmündigen Personen. Über den Schluss einer gleichgeschlechtlichen Ehe sagen die Bestimmungen nichts aus."
    Gezwungen, sich zu verstecken
    Das junge Paar, Stozko ist Arzt, Wojzechowskij Medizinstudent, ist durch einen Hinweis eines russischen Netzwerks auf diese Möglichkeit aufmerksam geworden, das sich für die Belange Schwuler, Lesben, Bisexueller und Transgender einsetzt. Die amtliche Eintragung in Moskau - die in Russland erste öffentlich bekannt gewordene - sei problemlos und ohne bohrende Fragen verlaufen. Dieser Schritt, begründet Stozko, sei für beide wichtig gewesen.
    "Es hat keinen Sinn, ins Ausland zu fahren und dort die Ehe zu schließen, ohne sie in Russland anerkennen zu lassen, wenn Du bis auf weiteres in Russland zu bleiben planst. Wir haben das nicht allein für uns getan, wir haben das für alle getan. Für unsere Community, die gezwungen ist, sich zu verstecken, in Angst vor dieser wirklich homophoben russischen Gesellschaft."
    Was zunächst nach einem Schritt in Richtung Gleichberechtigung klang, sollte sich ab dem folgenden Tag als Bumerang erweisen. Das Staatsfernsehen "Rossija 24" griff den Fall zu später Stunde auf und ließ erklären, das Standesamt habe einen Fehler begangen. Die Verantwortlichen würden entlassen.
    Der Staatsduma-Abgeordnete Michail Jemeljanow, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion von "Gerechtes Russland", kündigte an: "Diese Entscheidung ist natürlich aufzuheben. Und ganz klar ist, dass wir als Gesetzgeber an das Gesetz heranmüssen und es ändern müssen."
    Der Beitrag des Staatsfernsehens steht auf Youtube. Auf der Seite fordern Nutzer den Kopf der Verheirateten. Oder man solle sie erschießen, aber im Fernsehen nicht weiter über Homosexuelle sprechen, lautet ein anderer Kommentar.
    Vor der Tür der Wohnung der frisch Verheirateten erschien bald darauf die Polizei und forderte die Herausgabe der Pässe mit den umstrittenen Stempeln. Stozko und Wojzechowskij schrieben daraufhin auf Facebook, noch nie hätten sie einen solchen gegen sie gerichteten Hass erlebt. Hetze gegen Schwule ist in Russland längst salonfähig.
    Flucht aus der Heimat
    Auf dem Moskauer Prachtboulevard Twerskaja zum Beispiel verkauft ein überschaubarer Laden Lebensmittel direkt vom Erzeuger. Angeboten werden Brot, Honig und Milchprodukte. Das Besondere an diesem Laden, der zu einer kleinen Kette gehört: Er verlangt nicht nur außerordentlich stolze Preise, sondern gehört außerdem einem strenggläubigen Orthodoxen, German Sterligow. In einem Regal, neben einem Dreiliter-Glas Honig, stapeln sich Holzschilder mit der Aufschrift: "Kein Zutritt für Sodomiten". Es gibt auch die Variante "Kein Zutritt für Päderasten". In der Sprache der Gläubigen sind Schwule gemeint. Die günstigsten und kleinsten Schilder kosten umgerechnet rund 14 Euro, die großen deutlich mehr.
    Am Tresen steht eine Verkäuferin, die als Zeichen ihres Glaubens ein Kopftuch trägt. Sie berichtet, die Schilder würden häufig gekauft. Ein besonders großes steht im Schaufenster des Geschäfts. In einer anderen Filiale, in Rostow-am-Don, hatte die Polizei versucht, der Schilder habhaft zu werden. Der Besitzer weigerte sich, und die Staatsmacht zog unverrichteter Dinge von dannen.
    Dieselbe Staatsmacht hatte Pawel Stozko und Jewgenij Wojzechowskij im Verein mit homophoben Aktivisten derart unter Druck gesetzt, dass sie Russland inzwischen verlassen haben. Wohin, ist nicht öffentlich.