Archiv


Huber: Die Daimler-Belegschaft weiß sich zu wehren

Meurer: Erst drohte Siemens zwei Handywerke zu schließen, wenn nicht wieder 40 Stunden in der Woche gearbeitet wird, die IG Metall lenkte ein, jetzt folgt Mercedes, als nächstes könnte Volkswagen folgen und andere mehr. Am Telefon begrüße ich nun Berthold Huber, den stellvertretenden Vorsitzenden der IG Metall. Herr Huber, zunächst ein Blick nach Sindelfingen: grassiert dort tatsächlich die baden-württembergische Krankheit, wie Mercedes-Chef Hubbert meint?

Moderation: Friedbert Meurer |
    Huber: Ich halte das für eine nicht hilfreiche Bezeichnung einer Situation, dass wir in Baden-Württemberg - und da sind wir ja ganz stolz drauf - ganz ordentliche Tarife mit unseren und für unsere Leute durchgesetzt haben. Das ist keine Krankheit, das ist demagogisch, das so zu bezeichnen. Sindelfingen ist das produktivste Werk in, genauso wie Untertürkheim. Die baden-württembergischen Werke stehen an der Spitze der Produktivität von ganz Daimler und von ganz Mercedes.

    Meurer: Wie kann man es aber rechtfertigen, dass zum Beispiel in Sindelfingen Zeitzuschläge bezahlt werden von 20 Prozent schon für eine Schicht, die um 12 Uhr mittags beginnt?

    Huber: Weil die Leute schlicht und ergreifend im Drei-Schicht-System drin sind. Sie dürfen ja nicht nur eine Schicht betrachten. Diese Schicht beginnt ja morgens sehr früh. Die zweite Schicht hört dann nachts um halb elf auf, je nach dem und dann beginnt die Nachtschicht, und es muss sich die Leute doch wenigstens lohnen, dass sie ihre Gesundheit auch mit aufs Spiel setzten. Das ist doch alles kein Zuckerlecken.

    Meurer: Das können die Kollegen in Bremen aber auch sagen und haben nicht diese Vorteile.

    Huber: Das sagen die ja auch! Wir haben das nur nie geschafft in den 70er und 80er Jahren, dieses Schichtsystem, das wir in Baden-Württemberg haben, woanders auch hinzukriegen.

    Meurer: Wie erklären Sie sich, dass bei Mercedes, wo ja bisher ein kooperativer Stil gepflegt wurde ausgerechnet jetzt ein solcher Vorstoß kommt, 500 Millionen einsparen zu wollen?

    Huber: Na gut, Daimler steht in gewisser Weise unter Druck, aber das hat mit Mercedes nichts zu tun, sondern das ist ja auch in Ihrer Berichterstattung vorher zum Ausdruck gekommen: Milliarden sind ja verbrannt worden für Neuerwerbungen und das eigentliche Unternehmen, das Herzstück von DaimlerChrysler, nämlich Mercedes muss das alles tragen. Und jetzt kommt man heute und sagt: Bitte schön, das ist noch wenig genug. Wobei klar sein muss, es geht uns und der IG Metall um eine längerfristige Sicherung von Standorten und Werken und es geht gar nicht allein um die C-Klasse.

    Meurer: Würden Sie den Kollegen empfehlen in Sindelfingen, sozusagen auf Biegen und Brechen zu sagen: "Wir machen da nicht mit, kein Entgegenkommen."?

    Huber: Ach, wissen Sie, in diesen Dingen hat man immer geschaut, wo ist Luft drin, was kann man tun, um produktiver zu werden, aber die 500 Millionen sind ja natürlich längstens überzogen. Und ich will auch noch einen Punkt hinzufügen und zwar nicht nur, weil er mir gerade in den Kram passt: Der Vorstand von DaimlerChrysler hat bisher selber noch kein einziges Opfer gebracht. Das haben immer die Leute bringen müssen. Und wir sprechen über Millioneneinkommen an Vorstandsgehältern. Dass die Leute nicht nur in Sindelfingen, das war ja gestern in ganz Baden-Württemberg, in Bremen, in Düsseldorf, das nicht akzeptieren, das dürfte doch klar sein.

    Meurer: Ändert das etwas daran, dass die Weltmarktsituation sich verändert, dass Mercedes eben die Konkurrenz zum Beispiel aus Japan fürchtet?

    Huber: Die Konkurrenz aus Japan ist wohl nicht das Problem. Es beginnt im Moment der Poker um das Modell C-Klasse, aber der geht ja weiter. Es geht ja weiter bei den Nutzfahrzeugen, bei den Motoren. Also das ist ein größerer Konflikt, der allein mit der Weltmarktsituation im Automobilsektor gar nicht zu erklären ist.

    Meurer: Wie wird dieser Konflikt Ihrer Meinung nach ausgehen?

    Huber: Der geht wie üblich mit einem Ergebnis aus. Und die Sindelfinger - es geht ja insgesamt um die Belegschaft bei Daimler, die weiß sich zu wehren und ich werte die Aussagen von Herrn Schrempp schon so, dass die Unternehmensführung das nicht überspitzen will und überspitzen wird. Wollen wir mal schauen, die Auseinandersetzung ist auf jeden Fall noch nicht zu Ende.

    Meurer: Es fällt ja auf, erst die Drohung von Siemens, Beschäftigte zu entlassen, Werke zu schließen, jetzt Mercedes. Macht das Schule in der deutschen Industrie?

    Huber: Also das sind ja nur die bekannten Beispiele. Wir sind ja jeden Tag mit diesem Unter-Druck-Setzen bis Erpressen konfrontiert. Das ist doch teilweise unanständig, was hier passiert. Man hat den Eindruck, und das war vor Siemens auch schon so, zu mindestens seit einem oder anderthalb Jahren ist das so, das ist so wie eine anschwellende Brunst und jeder möchte dabei sein und das alles zu Lasten der Leute, die jeden Tag in die Maloche gehen oder in die Entwicklungsabteilungen und erst den guten Standard und produktive Produkte erarbeiten. Es ist ein unglaublicher Vorgang.

    Meurer: War es denn ein Fehler, bei Siemens einzulenken?

    Huber: Aber man kann Daimler und Siemens und die Beispiele, die Sie genannt haben überhaupt nicht miteinander vergleichen. Siemens in Kamp-Lintfort und Bocholt, das ist ja nicht gesamt Siemens, gesamt Siemens hat in Deutschland über 160.000 Beschäftigte. Wir sprechen über zwei Standorte mit 4000 Beschäftigten, die existentiell bedroht waren. Der Vorstand von Siemens hatte ja den Beschluss schon gefasst, die gesamte Handyfertigung in dem Fall nach Ungarn zu verlagern. Und das ist der Versuch, zu extrem hohen Preisen für die Betroffenen, die Handyfertigung überhaupt noch in Deutschland möglich zu machen. Daimler ist nicht zu vergleichen mit diesem existentiellen Fall Siemens in Kamp-Lintfort und Bocholt.

    Meurer: Das heißt, Sie werden von Fall zu Fall entscheiden?

    Huber: Das haben wir immer gemacht, und wenn einige Leute jetzt versuchen, daraus einen generellen Trend zu machen, dann werden wir uns so wie bei Daimler auch woanders aufstellen. Aber wir lassen uns auch nicht vorwerfen, dass wir nicht dort wo wirklich Probleme vorhanden sind, dass wir die im Einzelfall und konkret lösen, das lassen wir uns ja nicht zum Vorwurf machen. Ich glaube, dass ist ein richtiger Weg.