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Hüter der Unabhängigkeit (4/5)
Zivile Friedensarbeit in Mitrovica

Der Fluß Ibar teilt Mitrovica in zwei Teile: Im Norden leben die Serben, im Süden fast nur Albaner. Kontakte zwischen beiden Volksgruppen gibt es fast 20 Jahre nach dem Ende des Kosovo-Krieges kaum. Die Versöhnung gestaltet sich schwierig.

Von Christoph Kersting | 26.04.2018
    Brücke über den Fluss Ibar in Mitrovica
    Geteilt zwischen der serbischen Minderheit und Kosovo-Albanern: die Stadt Mitrovica (EPA /Valdrin Hemaj)
    Eine Trainingseinheit der "Urban Dance Crew": satte Hip-Hop-Beats, anspruchsvolle Breakdance-Einlagen, zehn Jugendliche, die hoch konzentriert bei der Sache sind. Die Kommandos gibt hier Benjamin Ibrahim, 24, klein, durchtrainiert, den Schirm seiner Baseball-Cap tief in den Nacken gezogen. Nach der Tanzeinheit steht Benjamin noch mit einigen der jungen Leute herum, geht die Choreografie gemeinsam durch. Benji, wie er von den meisten genannt wird, ist Roma, die anderen Tänzer sind Albaner und Serben.
    Der Norden wird fast nur von Serben bewohnt
    Die Herkunft spiele aber keine Rolle in der Truppe, die Musik, das Tanzen seien ihre gemeinsame Sprache. Dass der Choreograph das so hervorhebt, hat einen guten Grund. Denn die jungen Leute leben eigentlich in einer geteilten Stadt: Der Norden Mitrovicas wird fast ausschließlich von Serben bewohnt, im Süden leben eigentlich nur Albaner – Kontakte zwischen beiden Volksgruppen gibt es bis heute kaum.
    Tänzer im Jugendzentrum der Diakonie in Mitrovica
    Die Herkunft der Tänzer spielt keine Rolle, ihre Sprache sind der Tanz und die Musik (Deutschlandradio / Christoph Kersting)
    Getanzt wird in einem Jugendzentrum der Diakonie, die schon seit Jahren mit Projekten in Mitrovica präsent ist. Wenn die Tänzer und anderen Besucher des Zentrums aus dem Fenster schauen, blicken sie auf den Fluss Ibar und eine moderne Brücke – auf der jedoch kaum jemand zu sehen ist an diesem Nachmittag. Das sei meistens so, erzählt Angela Popovic. Die 17-Jährige trägt Jeans und Sneaker, dazu ein weißes, extra weites T-Shirt mit "Urban-Dance-Crew"-Aufdruck. Angela ist Serbin, wohnt im Nordteil Mitrovicas - und kommt trotzdem regelmäßig ins Jugendzentrum:
    "Das ist der einzige Ort dieser Art in der ganzen Stadt. Meine Eltern haben seit dem Krieg die Brücke in den Süden nicht mehr überquert. Diese Trennung zwischen dem Nord- und Südteil, die ist einfach in den Köpfen drinnen bei den Leuten hier. Am Anfang war es für mich auch komisch, aber ich komme immer mit Freunden gemeinsam ins Jugendzentrum. Angst habe ich keine, aber weiter in den Süden der Stadt gehe ich dann doch nicht."
    Versöhnung durch Begegnung
    Bernd Baumgarten lebt seit über zehn Jahren in Mitrovica. Der 67-Jährige leitet nicht nur das Jugendzentrum, sondern auch andere Diakonie-Projekte vor Ort: einen Kindergarten und ein psychsoziales Zentrum für Kriegstraumatisierte. In einem Trainingszentrum werden junge Leute zu Handwerkern, Schneidern oder Friseuren ausgebildet. Außerhalb von Mitrovica arbeiten behinderte Menschen auf einer Hühnerfarm – so etwas ist bislang einmalig im Kosovo. Mit dem Jugendzentrum sei man vor fünf Jahren in das kulturelle Vakuum der Stadt vorgestoßen, erzählt Baumgarten: Bis heute gibt es weder im Norden noch im Süden Mitrovicas ein Theater oder Kino. Am Ende geht es laut dem Diakonie-Chef aber vor allem um eins: Versöhnung und damit eine Art Friedenssicherung von unten:
    "Militär, ganz wichtig, macht eine andere Friedenssicherung als wir. Die deutschen KFOR-Soldaten ziehen jetzt mehrheitlich ab. Wir machen Friedensarbeit, indem wir in der und mit der Zivilgesellschaft arbeiten. Unsere Versöhnungsarbeit bedeutet, dass junge Serben, junge Kosovo-Albaner, Roma, Ashkali zusammenkommen – und nicht in dem Sinne, dass sie groß über die Vergangenheit reden, sondern die reden mehr über ihre Zukunft. Und wir sehen Versöhnungsarbeit als ein Spin-off, das heißt, wenn die Kicker spielen, Tischtennis, tanzen usw., da passiert Versöhnung, weil Freundschaft entsteht."
    Brückensanierung löst keine Probleme
    Im Jugendzentrum arbeiten multinationale Teams. Es gibt eine serbische Psychologin, und der Projektkoordinator Miradin Bajri ist in Montenegro geboren, gehörte dort zur albanischen Minderheit. Der 37-Jährige ist eigentlich Literaturwissenschaftler und von Beginn an mit dabei im Jugendzentrum. Eigentlich, findet Miradin Bajri, sei es doch Aufgabe der Politik fast 20 Jahre nach Kriegsende etwas zu tun für Versöhnung und Traumabewältigung. Natürlich hätten auch die Regierungen in Pristina und Belgrad ein Interesse an diesen Themen:
    "Aber sie beteiligen nicht die richtigen Leute an diesem Prozess. Sie lassen die Zivilbevölkerung außen vor. Sie fördern nicht den Dialog, so wie wir das hier versuchen, weil es nun mal das Wichtigste ist, dass die Menschen miteinander reden: über Kultur, Religion, die dunkle Vergangenheit im Kosovo. Das ist ein erster Schritt die Probleme hier zu lösen. Es löst aber keine Probleme, Millionen in die Sanierung der Ibar-Brücke zu stecken. Wofür brauchen wir eine Brücke, wenn niemand sie benutzen will? Man muss doch erst die Leute davon überzeugen eine Brücke zu überqueren, bevor man sie wieder aufbaut."
    Projektkoordinator Miradin Bajri (li) und die serbische Psychologin des Jugendzentrums
    Projektkoordinator Miradin Bajri (li) und die serbische Psychologin des Jugendzentrums (Deutschlandradio / Christoph Kersting)
    Während Miradin Bajri und Bernd Baumgarten über die politische Zukunft des Kosovo nachdenken, formiert sich die Tanzgruppe zu einer letzten Übungseinheit.
    Man müsse sich immer vor Augen führen, von welchem Punkt aus man in Mitrovica gestartet sei, auch im Jugendzentrum, gibt Bernd Baumgarten zu bedenken:
    "Als wir angefangen haben hier, hat man unsere Arbeit sehr kritisch gesehen. Viele hatten Angst und sagten: Da wird nicht ein Serbe zu Euch kommen. Ich war ganz optimistisch, habe gesagt: Wir kriegen die zusammen, das braucht Zeit. Wir haben drüben einen Streetworker früher gehabt, der hat geworben. Wir haben auch Leute abgeholt am Anfang. Am Anfang hatten die Angst: Nee, in den Süden kommen wir nicht rüber. Mittlerweile brauchen wir kaum noch jemanden abholen, die Leute kommen hier rüber, das läuft sehr gut."
    Ein erster Brückenschlag. Weitere müssten folgen, auch nach außen, in die EU. Der Weg dahin sei noch weit, doch auch über diese "europäische Brücke" werden die Menschen im Kosovo irgendwann gehen, da ist sich Bernd Baumgarten sicher.