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Humanitäre Arbeit in Afghanistan geht trotz Kämpfen weiter

Klaus Remme: Telefonverbindungen sind mitunter keine einfache Sache. Wir wollen jetzt sprechen mit Stefan Titze. Er ist Projektleiter der Johanniter-Unfall-Hilfe. Er arbeitet in Afghanistan und war dort Zeuge der Kämpfe, die am Wochenende im Westen Afghanistans in der Stadt Herat 40 bis 50 Menschen das Leben gekostet haben, so die offizielle Lesart. Guten Morgen Herr Titze!

    Titze: Schönen guten Morgen.

    Remme: Herr Titze, wie haben Sie diese Kämpfe erlebt?

    Stefan Titze: Wir waren am Anfang mehr oder weniger hautnah dran. Herat selbst galt bisher eigentlich als ruhige Stadt. Wir wollten um vier Uhr zur deutschen Botschaft, die halt in näherer Gegend der Kämpfe war, und wurden glücklicherweise noch von den Polizisten aufgehalten, um die Straße nicht zu passieren.
    Da wir es für einen üblichen Kampf hielten, haben wir es um sechs Uhr noch mal versucht. Leider waren die Kämpfe immer noch zu Gange und daraufhin beschlossen wir dann, in unsere Unterkunft zurückzukehren und haben halt der Dinge geharrt, die da passierten.

    Remme: Herr Titze, zeigen diese Ereignisse, dass humanitäre Hilfe außerhalb von Kabul eigentlich nicht möglich ist?

    Titze: Eigentlich nicht. Die humanitäre Hilfe außerhalb von Kabul findet ja schon seit langem statt, hat auch schon vor dem Einzug der Truppen in Afghanistan, also vor drei, vier Jahren stattgefunden. Es sind halt immer besondere Ereignisse, die die humanitäre Hilfe außerhalb Kabuls in Frage stellen. Im Grunde genommen können die humanitären Helfer aber mehr oder weniger selbst auf sich aufpassen, bedürfen mitunter dann ab und zu mal eines Schutzes, aber es ist eigentlich mehr die Ausnahme als die Regel.

    Remme: Werden denn die humanitären Organisationen als Partei wahrgenommen oder als wahrlich objektive humanitäre Helfer?

    Titze: In der Regel schon als parteilos, also als nicht irgendeiner Fraktion zugehörend. Wir unterliegen natürlich der Gefahr, dass wir missbraucht werden als Schutzschilde, um Erpressungen durchzuführen.

    Remme: Worum geht es bei diesen Kämpfen? Da kämpfen ja offenbar verschiedene Milizen gegeneinander. Geht es da um politische Macht oder haben Sie den Eindruck vorrangig um wirtschaftliche Interessen?

    Titze: Ich würde politische und wirtschaftliche Interessen nicht trennen, weil beides sehr eng miteinander verkoppelt ist. Meine persönliche Einschätzung ist es, dass es mehr oder weniger ein Vorspiel auf die demnächst stattfindenden Wahlen ist. Es ist für uns zumindest noch nicht klar, inwieweit die Regierung eine Rolle in diesen Kämpfen spielt, weil Ismael Khan ja am vorigen Tage mit seinem Sohn erst aus Kabul von Gesprächen zurückgekommen ist und der Anschlag scheinbar sogar Ismael Khan galt und nicht seinem Sohn.

    Remme: Sie meinen den Anschlag auf den Luftfahrtminister, der Auslöser war für die Kämpfe am Wochenende. - Herr Titze, in wenigen Tagen beginnt in Deutschland die dritte große Afghanistan-Konferenz. Was wäre denn Ihrer Meinung nach die dringlichste Aufgabe für diese Konferenz?

    Titze: Erst mal Klarheit zu schaffen in Bezug der weiteren Entwicklung, Druck auszuüben auch auf die Regierung, dass sie bestimmte Forderungen, also diese finanziellen Forderungen, die von der afghanischen Regierung gestellt werden, mit konkreten Fordernissen zu verbinden. Bisher wurde von großen Gönnern sehr viel Geld nach Afghanistan gebracht, aber es erfolgte auch von den Regierungen sehr viel Missbrauch. Also es ist einfach sehr viel Geld verschwunden. Das was wir sehen ist, dass viele Leute viel reicher werden, aber die Armen immer noch arm bleiben. Da sehen wir uns eigentlich als diejenigen, die dort unterstützend eingreifen.

    Remme: Wie wichtig ist dabei der Kampf gegen die Drogen oder den Drogenanbau?

    Titze: Es ist sehr wichtig, aber Sie müssen sehen, dass der Drogenanbau zur Zeit für die Bauern eigentlich das beste Einkommen liefert. Wenn wir zum Beispiel sehen, dass versucht wird, Bauern, die Drogen anbauen, zu anderen Gütern umzulernen, sprich dass sie Weizen anbauen, aber gleichzeitig zum Beispiel von den Vereinigten Staaten Tausende von Tonnen an Getreide und Hilfsgütern ins Land gebracht wird und somit der Marktpreis eigentlich zerstört wird, ist es irgendwo ein bisschen Kontrast und widersprüchlich.

    Remme: Herr Titze Sie haben eben gesagt, es ist viel Geld ins Land geflossen. Jetzt sagen Sie gerade jawohl, auch viel Getreide, viel Weizen ist gekommen. Woran fehlt es am meisten mit Blick auf die humanitäre Arbeit?

    Titze: Mit Blick auf die humanitäre Arbeit ist es Know-how und Bildung, was am meisten im Lande fehlt. Wir sind aus der Phase heraus, wo wirklich Hilfsgüter ins Land gebracht werden müssen. Es müssen Strukturen in dem Land geschaffen werden, wo Bildung gewährleistet werden kann und wo eine Entwicklung des Landes an sich erfolgen kann. Gelder sind eigentlich genug da; sie müssen nur gewinnbringend angelegt werden. Das heißt, dass irgendwann unsere Hilfe nicht mehr notwendig ist.

    Remme: Und sind wir da auch in einer Phase, wo zusätzliche Soldaten - Deutschland hat dort ja eine Ankündigung gemacht und auch Spanien möchte das Engagement verstärken - dieser friedlichen Entwicklung immer noch dienen?

    Titze: Meine persönliche Meinung ist: ich glaube es nicht. Mehr Soldaten heißt nicht gleich mehr Sicherheit. Um Kabul herum sind jede Menge Soldaten stationiert. Die PRTs in den einzelnen Provinzstädten -

    Remme: Entschuldigung, Sie hatten gerade eine Abkürzung benutzt. Was war das?

    Titze: PRTs. Das sind im Grunde genommen Zentren, die gebildet werden, unter anderem auch Deutschland in Kundus, die offiziell die Unterstützung der humanitären Entwicklung begleiten sollen und die militärisch gesichert werden sollen. In diesen PRTs sitzen aber mehr oder weniger 200 Soldaten und wenn wirklich irgend etwas los ist, kann dies maximal ein Fluchtpunkt sein für humanitäre Helfer, aber mehr auch nicht.

    Remme: Vielen Dank! - Stefan Titze war das von der Johanniter-Unfall-Hilfe aus Kabul.