Jasper Barenberg: Im Laufe des Tages wird Bundeskanzlerin Angela Merkel zurück erwartet in Berlin. Etwas früher als geplant musste sie ihre Reise nach Afghanistan abbrechen. Politische Gespräche standen dort nicht auf der Agenda; im Mittelpunkt vielmehr die Situation und die Arbeit der Bundeswehrsoldaten im Norden des Landes. Deutschland versteht seinen Einsatz in Afghanistan als Aufbaueinsatz. Schon seit Jahren hält sich die Bundesregierung zugute, in ihrem Vorgehen militärische Sicherung und zivilen Aufbau zu verbinden, und nimmt für sich in Anspruch, diese Strategie der sogenannten "vernetzten Sicherheit" auch in der NATO als neue Richtschnur durchgesetzt zu haben. Darüber wollen wir jetzt mit einem sprechen, der vor allem den zivilen Aufbau in Afghanistan im Auge und im Blick hat. Am Telefon ist Jürgen Lieser vom Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, kurz VENRO. Einen schönen guten Tag, Herr Lieser.
Jürgen Lieser: Guten Tag, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Lieser, die Bundesregierung hält ja große Stücke auf ihren Ansatz, militärische Sicherheit und Wiederaufbau miteinander zu verknüpfen. Was halten Sie von dieser Strategie?
Lieser: Wir sind nicht davon überzeugt, dass das ein richtiger und guter Ansatz ist, weil aus der Sicht von zivilen Hilfsorganisationen, die in Afghanistan tätig sind - es gibt ja einige deutsche Organisationen, die auch dort sind; aber die Einschätzung wird im Übrigen auch von vielen anderen Organisationen geteilt -, besteht das Problem darin, wenn man militärisches Mandat und zivile Aufgaben zu sehr miteinander verquickt und verknüpft, dass dann die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Mandaten nicht mehr deutlich sind. Wir sind der Meinung, die Bundeswehr hat einen durchaus sehr schwierigen und riskanten Einsatz und Auftrag in Afghanistan, aber das primäre Mandat muss sein, für Sicherheit zu sorgen. Der Wiederaufbau, die Entwicklungshilfe und die humanitäre Hilfe ist Aufgabe und Mandat von zivilen Hilfsorganisationen und wir glauben, dass es durchaus sinnvoll und notwendig ist, diese Grenze klar zu ziehen.
Barenberg: Wie wäre es denn möglich, diese Grenze klar zu ziehen, oder mit anderen Worten: Wo liegt die fatale Vermischung dieser beiden Aufgaben? Wie macht sich das beispielsweise bei der Bundeswehr vor Ort bemerkbar?
Lieser: Das macht sich zum Beispiel darin bemerkbar, dass ja in dem Konzept dieser Wiederaufbauteams, was die Bundesregierung ja auch als Erfolgsmodell propagiert, beide Aufgaben sozusagen institutionell verknüpft sind, und das Problem dabei ist, dass die Bundeswehr unter anderem auch zivile Aufbauprojekte selber durchführt und damit zum Beispiel für oppositionelle Kräfte, die das natürlich mit großem Argwohn sehen und auch Anschläge auf die stationierten Streitkräfte verüben, nicht mehr deutlich wird, wer macht jetzt eigentlich was. Wenn die Bundeswehr als Helfer in Uniform auftritt oder manchmal sogar Streitkräfte die Uniform ausziehen und gar nicht mehr erkennbar sind als Soldaten im zivilen Wiederaufbau, dann wird das ja zu einem Sicherheitsrisiko für beide Seiten. Auch zivile Hilfsorganisationen werden angegriffen und wir glauben, das hat unter anderem damit zu tun, dass die Angreifer nicht mehr unterscheiden zwischen neutralen, unabhängigen Hilfsorganisationen und Streitkräften der NATO zum Beispiel.
Barenberg: Auf der anderen Seite, Herr Lieser, irgendwie muss es Sicherheit geben, damit zivile Organisationen dort ihrer Tätigkeit nachgehen können. Wie soll das zu schaffen sein?
Lieser: Richtig, es muss Sicherheit geben. Der Zusammenhang zwischen Sicherheit und Entwicklung ist unbestritten und ich denke auch, für die Sicherheit müssen die entsprechenden staatlichen Kräfte zuständig sein. Die Bundeskanzlerin sagt ja auch, langfristig müssen das die afghanischen Streitkräfte und muss das die afghanische Polizei tun. Dafür wird ja auch was getan, um die auszubilden. Im Augenblick versteht sich die NATO dort noch mit dem Mandat versehen, für Sicherheit zu sorgen. Aber sie tut ja nicht nur das; sie bekämpft ja auch den internationalen Terrorismus, nach unserem Geschmack mit abnehmendem Erfolg. Die Sicherheitslage hat sich ja verschlechtert in Afghanistan in den letzten Jahren, und das, obwohl ja immer mehr Truppen nach Afghanistan geschickt werden. Das ist der eine Einwand. Der zweite Einwand ist: wenn hier von Sicherheit gesprochen wird, haben wir den Eindruck, dass immer sehr stark die eigene Perspektive, also unsere eigene Sicherheit gedacht wird, so wie das Struck ja vor einiger Zeit gesagt hat, als er sagte, unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt. Damit ist deutlich geworden, gemeint ist also die Sicherheit hier auch in der Bundesrepublik Deutschland. Wir meinen aber, Sicherheit muss unbedingt auch die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung im Blick haben, und das ist, glaube ich, dann noch mal ein ganz anderes Verständnis von Sicherheit.
Barenberg: Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul von der SPD hat gerade gesagt, dass nach ihrem Eindruck dort, wo die Deutschen alleine die Verantwortung tragen - wir reden also über den Norden des Landes -, die Bevölkerung mit der Arbeit auch dieser Wiederaufbauteams sehr zufrieden ist. Ist das auch Ihr Eindruck?
Lieser: Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Wir haben von Seiten der Hilfsorganisationen eine Studie vor kurzem gemacht und da wurde eben festgestellt, dass die Bevölkerung zunehmend unzufrieden ist, also auch selbst aus ihrer Wahrnehmung die Sicherheitslage sich verschlechtert hat. Das heißt, die Frustration und Unzufriedenheit wächst unter der afghanischen Bevölkerung und das hat auch damit zu tun, dass die militärischen Operationen, die teilweise durchgeführt werden und die mit Opfern unter der Zivilbevölkerung verbunden sind, natürlich sehr kritisch wahrgenommen werden und im Grunde genommen kontraproduktiv wirken, so dass im Ergebnis - und das bestätigen uns auch viele afghanische Partner - die ausländischen Truppen nicht mehr wie am Anfang als Befreier, sondern mehr und mehr als Besatzer angesehen werden.
Barenberg: Jetzt wird es noch weitere Truppen geben, weitere Truppenverstärkungen in Afghanistan, gleichzeitig das Bemühen, den zivilen Aufbau auch auszubauen, diplomatische Initiativen zu ergreifen. Wie schauen Sie in die Zukunft mit Blick auf die Arbeit ziviler Organisationen in Afghanistan?
Lieser: Wir fordern seit langem einen grundlegenden Strategiewechsel - nicht nur der Bundesregierung, sondern des Westens überhaupt. Wir halten es für fragwürdig, auf verstärkte Sicherheitsproblematik in Afghanistan mit mehr Truppen zu reagieren. Auch Obama hat ja jetzt in seiner neuen Strategie gesagt, ja, wir müssen mehr für den zivilen Wiederaufbau tun. Gleichzeitig hören wir aber, dass weitere Truppen nach Afghanistan entsandt werden. Im Augenblick gibt es mehr als 60.000 NATO-Truppen im Land und es sollen 17.000 oder 21.000 zusätzlich entsandt werden. Das ist unseres Erachtens nicht die richtige Antwort darauf, wenn man sagt, man muss aber eigentlich mehr für den zivilen Wiederaufbau tun. Die Gewichte stimmen oder das Verhältnis zwischen dem, was militärisches Engagement ist, und was im zivilen Bereich getan wird, stimmen nach unserer Auffassung nicht.
Barenberg: Die Einschätzung von Jürgen Lieser vom Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Vielen Dank für das Gespräch.
Jürgen Lieser: Guten Tag, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Lieser, die Bundesregierung hält ja große Stücke auf ihren Ansatz, militärische Sicherheit und Wiederaufbau miteinander zu verknüpfen. Was halten Sie von dieser Strategie?
Lieser: Wir sind nicht davon überzeugt, dass das ein richtiger und guter Ansatz ist, weil aus der Sicht von zivilen Hilfsorganisationen, die in Afghanistan tätig sind - es gibt ja einige deutsche Organisationen, die auch dort sind; aber die Einschätzung wird im Übrigen auch von vielen anderen Organisationen geteilt -, besteht das Problem darin, wenn man militärisches Mandat und zivile Aufgaben zu sehr miteinander verquickt und verknüpft, dass dann die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Mandaten nicht mehr deutlich sind. Wir sind der Meinung, die Bundeswehr hat einen durchaus sehr schwierigen und riskanten Einsatz und Auftrag in Afghanistan, aber das primäre Mandat muss sein, für Sicherheit zu sorgen. Der Wiederaufbau, die Entwicklungshilfe und die humanitäre Hilfe ist Aufgabe und Mandat von zivilen Hilfsorganisationen und wir glauben, dass es durchaus sinnvoll und notwendig ist, diese Grenze klar zu ziehen.
Barenberg: Wie wäre es denn möglich, diese Grenze klar zu ziehen, oder mit anderen Worten: Wo liegt die fatale Vermischung dieser beiden Aufgaben? Wie macht sich das beispielsweise bei der Bundeswehr vor Ort bemerkbar?
Lieser: Das macht sich zum Beispiel darin bemerkbar, dass ja in dem Konzept dieser Wiederaufbauteams, was die Bundesregierung ja auch als Erfolgsmodell propagiert, beide Aufgaben sozusagen institutionell verknüpft sind, und das Problem dabei ist, dass die Bundeswehr unter anderem auch zivile Aufbauprojekte selber durchführt und damit zum Beispiel für oppositionelle Kräfte, die das natürlich mit großem Argwohn sehen und auch Anschläge auf die stationierten Streitkräfte verüben, nicht mehr deutlich wird, wer macht jetzt eigentlich was. Wenn die Bundeswehr als Helfer in Uniform auftritt oder manchmal sogar Streitkräfte die Uniform ausziehen und gar nicht mehr erkennbar sind als Soldaten im zivilen Wiederaufbau, dann wird das ja zu einem Sicherheitsrisiko für beide Seiten. Auch zivile Hilfsorganisationen werden angegriffen und wir glauben, das hat unter anderem damit zu tun, dass die Angreifer nicht mehr unterscheiden zwischen neutralen, unabhängigen Hilfsorganisationen und Streitkräften der NATO zum Beispiel.
Barenberg: Auf der anderen Seite, Herr Lieser, irgendwie muss es Sicherheit geben, damit zivile Organisationen dort ihrer Tätigkeit nachgehen können. Wie soll das zu schaffen sein?
Lieser: Richtig, es muss Sicherheit geben. Der Zusammenhang zwischen Sicherheit und Entwicklung ist unbestritten und ich denke auch, für die Sicherheit müssen die entsprechenden staatlichen Kräfte zuständig sein. Die Bundeskanzlerin sagt ja auch, langfristig müssen das die afghanischen Streitkräfte und muss das die afghanische Polizei tun. Dafür wird ja auch was getan, um die auszubilden. Im Augenblick versteht sich die NATO dort noch mit dem Mandat versehen, für Sicherheit zu sorgen. Aber sie tut ja nicht nur das; sie bekämpft ja auch den internationalen Terrorismus, nach unserem Geschmack mit abnehmendem Erfolg. Die Sicherheitslage hat sich ja verschlechtert in Afghanistan in den letzten Jahren, und das, obwohl ja immer mehr Truppen nach Afghanistan geschickt werden. Das ist der eine Einwand. Der zweite Einwand ist: wenn hier von Sicherheit gesprochen wird, haben wir den Eindruck, dass immer sehr stark die eigene Perspektive, also unsere eigene Sicherheit gedacht wird, so wie das Struck ja vor einiger Zeit gesagt hat, als er sagte, unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt. Damit ist deutlich geworden, gemeint ist also die Sicherheit hier auch in der Bundesrepublik Deutschland. Wir meinen aber, Sicherheit muss unbedingt auch die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung im Blick haben, und das ist, glaube ich, dann noch mal ein ganz anderes Verständnis von Sicherheit.
Barenberg: Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul von der SPD hat gerade gesagt, dass nach ihrem Eindruck dort, wo die Deutschen alleine die Verantwortung tragen - wir reden also über den Norden des Landes -, die Bevölkerung mit der Arbeit auch dieser Wiederaufbauteams sehr zufrieden ist. Ist das auch Ihr Eindruck?
Lieser: Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Wir haben von Seiten der Hilfsorganisationen eine Studie vor kurzem gemacht und da wurde eben festgestellt, dass die Bevölkerung zunehmend unzufrieden ist, also auch selbst aus ihrer Wahrnehmung die Sicherheitslage sich verschlechtert hat. Das heißt, die Frustration und Unzufriedenheit wächst unter der afghanischen Bevölkerung und das hat auch damit zu tun, dass die militärischen Operationen, die teilweise durchgeführt werden und die mit Opfern unter der Zivilbevölkerung verbunden sind, natürlich sehr kritisch wahrgenommen werden und im Grunde genommen kontraproduktiv wirken, so dass im Ergebnis - und das bestätigen uns auch viele afghanische Partner - die ausländischen Truppen nicht mehr wie am Anfang als Befreier, sondern mehr und mehr als Besatzer angesehen werden.
Barenberg: Jetzt wird es noch weitere Truppen geben, weitere Truppenverstärkungen in Afghanistan, gleichzeitig das Bemühen, den zivilen Aufbau auch auszubauen, diplomatische Initiativen zu ergreifen. Wie schauen Sie in die Zukunft mit Blick auf die Arbeit ziviler Organisationen in Afghanistan?
Lieser: Wir fordern seit langem einen grundlegenden Strategiewechsel - nicht nur der Bundesregierung, sondern des Westens überhaupt. Wir halten es für fragwürdig, auf verstärkte Sicherheitsproblematik in Afghanistan mit mehr Truppen zu reagieren. Auch Obama hat ja jetzt in seiner neuen Strategie gesagt, ja, wir müssen mehr für den zivilen Wiederaufbau tun. Gleichzeitig hören wir aber, dass weitere Truppen nach Afghanistan entsandt werden. Im Augenblick gibt es mehr als 60.000 NATO-Truppen im Land und es sollen 17.000 oder 21.000 zusätzlich entsandt werden. Das ist unseres Erachtens nicht die richtige Antwort darauf, wenn man sagt, man muss aber eigentlich mehr für den zivilen Wiederaufbau tun. Die Gewichte stimmen oder das Verhältnis zwischen dem, was militärisches Engagement ist, und was im zivilen Bereich getan wird, stimmen nach unserer Auffassung nicht.
Barenberg: Die Einschätzung von Jürgen Lieser vom Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Vielen Dank für das Gespräch.