Schillmöller: Können Sie diese Krise in der Krise genauer beschreiben. Was ist das Problem? Wer trägt die Verantwortung?
Baum: Die Verantwortung trägt natürlich die sudanesische Regierung. Sie kämpft gegen die eigene Bevölkerung, behauptet sie wüsste von nichts. Sie unterschreibt einen Waffenstillstand und kämpft weiter, sie sagt Zugang zu den Helfern zu und lässt die Helfer nicht zu, obwohl es jetzt wieder eine Erklärung gegeben hat, dass das in den nächsten Tagen geschehen würde. Verantwortlich sind auch natürlich die Rebellen, aber auch die internationale Gemeinschaft. Es fehlt einfach der nötige Druck, es fehlt auch die internationale Einigkeit. Die internationale Gemeinschaft muss einig sein, das ist meine Erfahrung im Sudan. Sie erreichen sehr viel, wenn Sie Druck ausüben, Druck mit Sanktionen, mit Drohungen, aber auch mit Anreizen. Der Sudan muss wieder aufgebaut werden. Es herrscht seit 20 Jahren ein Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd. Dieser Bürgerkrieg ist gerade beendet, soll beendet werden durch Verhandlungen, die seit zwei Jahren laufen. Da ist eine Zukunftsperspektive gewesen. Allerdings habe ich schon vor zwei Jahren gewarnt: Wenn man die anderen Regionen des Landes ausklammert, ist dieser Friedensprozess ohne Bedeutung, er wird keinen Bestand haben. Die Amerikaner, zum Beispiel, die einen großen Anteil am Zustandekommen dieses Friedensprozesses haben, haben die Augen verschlossen, lange Monate vor der Krise in Darfur. Das heißt, wir stehen vor einer Destabilisierung des ganzen Landes. Sie haben mit Recht gesagt, die Afrikaner erheben sich. Es sind in Darfur übrigens Moslems, es ist also kein Religionskrieg. Es besteht die Gefahr, dass eine Allianz aller benachteiligter Regionen, aller benachteiligter Afrikaner jetzt das ganze Land in Flammen versetzt. Ich sage das so dramatisch, weil ich das immer schon gesagt habe und jetzt befürchte, dass die Warnungen wieder nicht gehört werden.
Schillmöller: Da drängt sich doch der Vergleich auf zu Ruanda. Ziemlich genau vor zehn Jahren haben dort gewaltbereite Hutus die Tutsi-Bevölkerung quasi zu Hunderttausenden getötet, ausgerottet. Ist der Vergleich berechtigt?
Baum: Er ist berechtigt, wenn auch nicht in der Dimension, aber er ist insofern berechtigt, als seit Januar, die vielen Warnungen in den Wind geschlagen worden sind. Ich habe schon im Januar gefordert, der Sicherheitsrat müsse sich mit der Situation befassen. Der Sicherheitsrat hat sich jetzt erst im April damit befasst. Die Deutschen haben sich immer darum bemüht. Jetzt soll am Montag Morgen ein erneuter Versuch gemacht werden, dass der Sicherheitsrat nicht nur Berichte über die Katastrophe entgegen nimmt, sondern auch eine Entschließung fasst, also Schlussfolgerungen aus diesen Berichten zieht. Das ist bisher durch den Widerstand etwa der Russen oder der Chinesen oder anderer im Sicherheitsrat nicht gelungen. Hier versagt also auch die Völkergemeinschaft UNO und verlängert dadurch das Leiden unzähliger Menschen. Was aber jetzt ganz entscheidend ist, und was ausgeblendet wird und das macht mich wütend: Es ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern die humanitäre Katastrophe hat politische Wurzeln. Dieses Gebiet, wie andere Gebiete im Sudan, fühlt sich benachteiligt. Es sind etwa 25 Prozent des gesamten Landes, die dort wohnen. Sie sind jahrzehntelang wirtschaftlich und politisch benachteiligt worden...
Schillmöller: Geht es dabei zum Beispiel um Ressourcen?
Baum: Es geht um Hilfe, es geht um Aufbau, es geht um Teilhabe am Öleinkommen, es geht um Teilhabe an der politischen Macht in Katum. Das ist ihnen verweigert worden. Wir haben alle gewarnt, dass das nicht gut geht. Das heißt also, ohne politische Verhandlungen über eine politische Lösung des Konfliktes wird es auf Dauer auch keine Lösung der humanitären Krise geben. Und ich höre und sehe nichts, dass die internationale Gemeinschaft jetzt diese politischen Verhandlungen mit Druck auf Rebellen und Regierung herbeiführt. Wenn das nicht geschieht, besteht die Gefahr, ich wiederhole das, dass das ganze Land destabilisiert wird.
Schillmöller: Ist der Sudan, wie man so öfter lesen kann, auf Dauer ein gespaltenes Land? Steht vielleicht eine Art von Abspaltung von einigen Regionen als Lösung bevor?
Baum: Große Teile des Südens, der zur Zeit nicht kämpft, aber doch Sympathien hat für die Menschen in Darfur, möchte einen eigenen Staat gründen. Das soll aber erst in sechs Jahren entschieden werden, durch eine Volksabstimmung. Die Menschen im Norden, die jetzt kämpfen, die afrikanischen Muslime in Darfur und andere Gebiete, die möchten, bisher jedenfalls, keine Selbstständigkeit. Sie möchten eine größere politische Autonomie und sie wird ihnen verweigert. Ich war in Darfur und habe das alles schon gespürt, was die Menschen da umtreibt. Es sind also nicht irgendwelche Räuberbanden, sondern Leute, die sich politisch behaupten wollen, gegen den Druck, gegen die Dominanz der Araber in Katum.
Schillmöller: Was könnten internationale Truppen leisten? Wäre es sinnvoll dort zum Beispiel ein UNO-Mandat für den Sudan auf die Beine zu bringen und dann Soldaten hinzuschicken?
Baum: Das würde ich im äußersten Falle tun. Kofi Annan hat ja Blauhelme angeboten. Die Erfahrung bisher ist, dass wenn sie eine Waffenstillstandsvereinbarung international überwachen und die Parteien des Waffenstillstandes sofort mit Verstößen gegen den Waffenstillstand konfrontieren, also diesen politischen Druck, von dem ich vorhin gesprochen habe, ausüben, dann erreichen Sie sehr viel. Aber noch nicht einmal das geschieht. Und es kommt noch etwas hinzu: Die neuesten Nachrichten sagen, die Kämpfe im Süden, also im Nord-Süd-Konflikt, flammen auch wieder auf. Und das alles hat eine Wirkung auf die gesamte Region, auf die Nachbarstaaten des Sudan. Wir reden ja nicht nur über den Sudan allein, wir reden über Tschad, wir reden über Uganda, Eritrea, Kenia. Die Völkergemeinschaft ist gut beraten, jetzt alle Kraftanstrengungen zu machen und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. Da gibt es auch in der Europäischen Union Kräfte, Staaten, die nicht so nachdrücklich Katum bezüglich seiner Pflichten ermahnen. Auch diese Einigkeit ist notwendig. Es gibt zwar gerade eine neue Entschließung der Europäischen Union, sie bezieht sich auf die humanitäre Situation, aber es gibt unterschiedliche Sichtweisen der Europäer, etwa der Franzosen oder Engländer.
Schillmöller: Zum Schluss vielleicht noch ein Ausblick. Was geschieht mit den Flüchtlingen, die sich jetzt in Tschad zu Hunderttausenden aufhalten? Man hat gelesen, dass ihre Dörfer in Darfur, im Sudan, in ihrer Heimat teilweise vermint wurden, um ihnen die Rückkehr zu erschweren. Was muss jetzt passieren mit diesen Menschen?
Baum: Zunächst einmal müssen Sie ernährt werden. Sie müssen Wasser bekommen, Sie müssen Nahrungsmittel bekommen. Es steht die Regenzeit bevor. Wenn die Regenzeit eintritt, dann sind die Straßen nicht mehr passierbar. Sie können nicht zurück. Viele werden jetzt überhaupt nicht zurück können. Sie können ihre Felder nicht bestellen, sie werden auf mindestens eineinhalb Jahre angewiesen sein auf fremde Hilfe. Übrigens gibt es noch eine Komponente, die auch verfolgt werden muss: Es sind ja massive Kriegsverbrechen dort begangen worden. Wer untersucht, wer ahndet diese Kriegsverbrechen? Das ist aber keine Frage, die man jetzt in Angriff nehmen muss. Jetzt muss man den Menschen wirklich ganz schnell helfen und nicht nur reden. Die deutsche Regierung unternimmt sehr viel, sie ist nicht zu kritisieren, aber die internationale Gemeinschaft ist viel zu zögerlich.