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Humanitäre Korridore nach Italien
Flugzeuge statt Flüchtlingsboote

Es geht auch ohne tausende Tote auf dem Mittelmeer: Per Flugzeug, finanziert mit Spendengeldern, werden Flüchtlinge auf legalem Weg nach Italien gebracht. Die humanitären Korridore sind eine kirchliche Initiative - und die Regierung spielt mit. Das Modell soll europaweit Schule machen.

Von Jan-Christoph Kitzler | 07.02.2018
    Eine Gruppe syrischer Flüchtlinge aus Lagern im Libanon kommt am 29.02.2016 auf dem Flughafen in Rom, Italien, an.
    Kirchliche Organisationen haben einer Gruppe syrischer Flüchtlinge aus Lagern im Libanon die legale Einreise nach Italien ermöglicht. (picture-alliance/ dpa / Alvise Armellini)
    Der 3. Oktober 2013 war der Tag, der das Fass zum Überlaufen brachte. An dem Tag war vor der Mittelmeerinsel Lampedusa wieder mal ein Flüchtlingsboot gesunken. Rund 390 Menschen fanden damals den Tod. Und bei der katholischen Laienbewegung Sant’Egidio beschlossen sie, dass sich etwas ändern muss.
    Humanitäre Korridore retten Menschenleben
    Zusammen mit der Union der evangelischen Kirchen in Italien entschied man, humanitäre Korridore einzurichten. Seit 2016 sind sie Wirklichkeit. Seitdem wurden mehr als 1.000 Flüchtlinge sicher nach Italien gebracht. Aus dem Libanon, aus Libyen und auch aus Äthiopien. Per Flugzeug, finanziert mit Spendengeldern. Kein Einfacher Weg, sagt Daniele Albanese von der Caritas:
    "Wir haben das Verfahren neu ausgedacht. Wir, die Botschaft, die Regierung Äthiopiens. Wir haben ein bürokratisches Verfahren geschaffen, das in Zukunft funktionieren kann. Für die Auswahl führen wir viele Gespräche. Hauptkriterium ist, wie verletzlich die Menschen sind. Zuerst haben wir die ausgewählt, die in Italien medizinische Behandlung brauchten, Menschen mit Kindern, die in Sicherheit gebracht werden müssen."
    Tropfen auf den heißen Stein
    Auch dieses Jahr ist schon die erste Gruppe in Rom gelandet: 30 Syrer, darunter auch 13 Kinder. Manche sagen: Die humanitären Korridore, die Sant’Egidio und die evangelischen Kirchen eingerichtet haben, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zum Beispiel Erasmo Palazzotto, der für die Partei Sinistra Italiana im italienischen Parlament saß:
    "Das ist ein Feigenblatt angesichts dessen, was passiert. Die Vorstellung, dass wir mit einem humanitären Korridor für ein paar hundert Personen unsere Gewissen beruhigen, soll nur davon ablenken. Aber gleichzeitig ist das auch interessant, denn es bedeutet, dass es möglich ist, humanitäre Korridore einzurichten, dass man den Menschenhandel stoppen kann, indem man legale Wege sucht."
    Legale Einreise ermöglichen
    Darum geht es vor allem: zu zeigen, dass es auch anders funktioniert. Ohne die Tausenden Toten auf dem Mittelmeer. Ohne das große Geschäft der Schleuser, ohne dass Menschen zu Illegalen werden, die eigentlich ein Recht auf Asyl oder auf Schutz hätten:
    "Wer in Lebensgefahr ist, muss sein Leben noch mehr aufs Spiel setzen, indem er illegal in unser Land einreist, anstatt auf legalem Weg. Zum Beispiel, indem man in irgendeine Botschaft der 27 EU-Länder geht und ein humanitäres Visum beantragt. Indem man für zwei-, dreihundert Euro ein Flugticket kauft, statt den Schleuserbanden fünf- bis sechstausend Dollar zu zahlen. Denn so viel kostet die Reise aus der Heimat bis an unsere Küsten."
    Italiens Regierung spielt mit
    Die humanitären Korridore nach Italien funktionieren auch, weil die Regierung in Rom mitspielt. So hat das Außenministerium, nachdem schon 1.000 Flüchtlinge auf diesem Weg gekommen sind, einem weiteren Kontingent von 1.000 zugestimmt. Sie bekommen nach ihrer Ankunft sogenannte humanitäre Visa und können dann einen Asylantrag stellen. Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni kritisiert, dass Europa bei der Verteilung der Migranten nicht solidarisch ist, aber er ist auch stolz auf den italienischen Alleingang:
    "Wir haben gezeigt, dass es einen ernsthaften Weg gibt, der funktioniert. Nicht, um so zu tun, als ob es das Problem nicht gäbe, sondern um es auf humane Weise anzugehen. Und sicher für unsere Mitbürger. Wir machen da weiter und ich glaube, das verdient allgemeine Unterstützung."
    Modell soll Schule machen
    So hoffen alle Beteiligten, dass das Modell der humanitären Korridore eine Zukunft hat, dass immer mehr Flüchtlinge auf diesem sicheren Weg nach Europa kommen können. Maria Quinto, die für die Gemeinschaft Sant’Egidio das Programm leitet, ist jedenfalls entschlossen, weiter zu machen:
    "In Europa wird das Thema der Migration und der Aufnahme von Flüchtlingen oft instrumentalisiert, um Angst zu schüren. Tatsächlich aber zeigen die humanitären Korridore, dass es auch anders geht. Hoffen wir also, dass das eine Erfahrung ist, die immer mehr ausgeweitet wird."
    Auch Menschenrechtsorganisationen halten das für den richtigen Ansatz. Schließlich hat es im diesem kurzen Jahr 2018 schon rund 390 tote Migranten auf dem Mittelmeer gegeben. Wären sich über einen humanitären Korridor nach Europa gekommen, wären sie noch am Leben.