Montag, 06. Mai 2024

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Humme: Die Kita-Pflicht ist nirgendwo Thema in der SPD

Christel Humme, stellvertretende Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, fordert einen bedarfsgerechten Ausbau der Kita-Plätze. Über das Betreuungsgeld sagt die SPD-Politikerin, dass Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, bereits steuerliche Vorzüge genießen.

Christel Humme im Gespräch mit Christoph Heinemann | 30.04.2012
    Christoph Heinemann: "Dann müssen wir sicherstellen, dass alle Kinder da sind." Diesen Satz hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin und oberste SPD-Wahlkämpferin Hannelore Kraft der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gesagt. Mit "da" sind Kindertagesstätten gemeint, und deshalb ist der Eindruck entstanden, Frau Kraft fordere, dass alle Kinder in die Kita gehen müssen. So war das aber nicht gemeint, hat Frau Kraft inzwischen klargestellt.

    Die Reaktionen kommen dennoch prompt. "Eine Zwangs-Kita werden wir unter keinen Umständen zulassen", das sagt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt in der "Süddeutschen Zeitung" laut Vorabbericht, und das sei ein "Anschlag auf die Freiheit der Familien." Dobrindt sprach gar von "DDR light". Cem Özdemir, der Vorsitzende der Grünen, sprach sich dafür aus, eine Kita-Pflicht sachlich zu diskutieren, und das wollen wir jetzt tun mit Christel Humme von der SPD, der stellvertretenden Vorsitzenden des Bundestags-Familienausschusses. Guten Tag.

    Christel Humme: Ja guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Frau Humme, sind Sie für eine Kita-Pflicht?

    Humme: Die Kita-Pflicht ist nirgendwo Thema in der SPD und ich glaube auch, das ist zwar eine Diskussion wert, aber wir fordern diese Kita-Pflicht auf keinen Fall. Ich betrachte das, die Diskussion darüber, als ein, ich würde mal sagen, durchsichtiges Ablenkungsmanöver der falschen Familienpolitik des Bundes, denn niemand will das Betreuungsgeld, das der Bund vorschlägt, und ich glaube, um abzulenken von dieser Maßnahme hat man diese etwas scheinheilige Empörung aufgebaut, denn auch Hannelore Kraft - das weiß ich ganz genau - ist nicht für eine Kita-Pflicht. Im Gegenteil! Wir wollen aber, dass jeder, der will und der möchte, einen Kita-Platz haben kann, und ich glaube, davon sind wir noch weit entfernt. Ich wünschte mir vom Bund weniger Empörung, sondern mehr Handeln - Handeln für die Kommunen, damit die endlich den Rechtsanspruch für die Kinder unter drei durchsetzen können bis 2013. - Kristina Schröder hat vorgeworfen, ...

    Heinemann: Die Bundesfamilienministerin!

    Humme: ... , wir hätten ein verqueres Bild von Menschen. Ich glaube, da ist so ein bisschen was schief gelaufen. Sie hat eher, glaube ich, ein verqueres Bild von Freiheit, denn Kindergärten und Kitas - das wissen wir doch alle - sind die Grundlage für mehr Bildung und auch für Spracherwerb, und zwar für mehr Bildung, unabhängig vom privaten Geldbeutel. Das bedeutet Teilhabe und das bedeutet doch eigentlich Freiheit. Und Kinder und Kitas, das sind auch die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gerade für Alleinerziehende. Das bedeutet doch die Wahlfreiheit und das ist das, wofür wir als SPD stehen, wofür auch Hannelore Kraft steht. Das weiß ich ganz genau. Darüber haben wir häufig gesprochen.

    Heinemann: Wenn Sie nicht für eine Kita-Pflicht sind, warum sollte man dann darüber diskutieren?

    Humme: Langfristig, wenn es mal zu der Situation kommen sollte in Deutschland, dass das Ziel erreicht wird, dass der Bildungsstrang von der frühen Förderung bis zur Hochschule kostenlos ist, das heißt Bildung anerkannt ein öffentliches Gut ist, dann könnte man sich auch überlegen, die Kita-Pflicht genauso wie die Schulpflicht zu diskutieren. Aber ich glaube, das ist Zukunftsmusik, das gehört jetzt nicht in den Wahlkampf. Wir wollen mehr Kita-Plätze, damit bedarfsgerechter Ausbau möglich ist, und das ist das prioritäre Ziel, nichts anderes, und da wünschen wir uns auch die Unterstützung der Familienministerin im Bund, denn zwei Milliarden kostet das Betreuungsgeld, zwei Milliarden, die uns fehlen für den Ausbau der Kinderbetreuung, und zwar zwei Milliarden jährlich.

    Heinemann: Frau Humme, um es mal ganz klar zu machen: Eines Tages könnten Sie sich eine Kita-Pflicht vorstellen?

    Humme: Das wage ich jetzt nicht zu kommentieren. Ich denke mir, wir sollten den Müttern und Vätern, die heute einen Kindergarten- und Kindertagesstättenplatz suchen, endlich unter die Arme greifen. Das tut Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen, das ist ein gutes Programm, eine Aufholjagd, um die Fehler, die unter der schwarz-gelben Regierung gemacht worden sind, endlich auszugleichen.

    Heinemann: Sie sprachen gerade von Freiheit. Warum sollte man die eine Betreuungsart subventionieren, nämlich die Kita, die andere, die Erziehung in der Familie, aber nicht?

    Humme: Also das tun wir ja schon. Die Erziehung in der Familie wird schon genug subventioniert über steuerliche Maßnahmen.

    Heinemann: Aber doch nicht im Vergleich zur Kita!

    Humme: Aber was wirklich zur Wahlfreiheit gehört, Herr Heinemann, das muss man doch zur Kenntnis nehmen. Ich habe zwei Töchter, die eine ist 27, die andere ist 30. Sie sind mitten im Beruf. Das, was jetzt ansteht, ist die Familienphase. Was glauben Sie wohl, was die mich fragen? Sie fragen mich, warum gibt es nicht genug Kita-Plätze, ich habe gar keine Wahl, entweder muss ich meinen Beruf aufgeben und zuhause bleiben, oder gar keine Kinder bekommen. Das ist für mich nicht die Wahlfreiheit. Von daher ist das, was wir in der Vergangenheit versäumt haben, nämlich die Kinderbetreuung auszubauen, die Maßnahme, die wir in Nordrhein-Westfalen brauchen, nicht nur dort, sondern in ganz Deutschland, um endlich mal das europäische Defizit auszugleichen. In Europa sind alle Länder, Frankreich, Dänemark, Finnland, bildungsmäßig besser aufgestellt und die haben eine Betreuung von Anfang an besser organisiert als wir.

    Heinemann: Frau Humme, Ihre Töchter sollten doch jedem Vater, jeder Mutter dankbar sein, die ihr Kind dann nicht in die Kita schickt und sie zuhause erzieht und keinen Platz wegnimmt.

    Humme: Das wäre ja "Beggar my Neighbour Policy", ich ruhe mich auf Kosten der anderen aus. Ich glaube, das ist nicht der Stil meiner Töchter.

    Heinemann: Sondern?

    Humme: Ich denke, sie wollen genauso wie alle anderen auch die Wahlfreiheit haben, nämlich Beruf und Familie miteinander vereinbaren zu können. Davon sind wir leider hier in Deutschland noch weit entfernt.

    Heinemann: Aber staatlich gelenkt wäre es doch trotzdem so, dass im Augenblick die Betreuung in der Kita stark subventioniert wird, und nach SPD-Position zumindest ...

    Humme: Ach wissen Sie, wir haben die ...

    Heinemann: Darf ich kurz die Frage bitte noch formulieren? - ... , dass die andere Art, nämlich der Verzicht aufs Betreuungsgeld, die Erziehung zuhause benachteiligen würde gegenüber Familien, die ihre Kinder in die Kita schicken.

    Humme: Wir haben aber eine Menge steuerlicher Vorzüge für Familien, die sich entscheiden, dass die Frau zuhause bleibt. Wir haben das im Steuerrecht mit dem Ehegattensplitting, wir haben das mit der Hinterbliebenenversorgung und wir finanzieren das gesellschaftlich-steuerlich mit der Mitversicherung in der Krankenversicherung. Das ist gut angelegtes Geld. Das sind zum Beispiel alleine im Steuerrecht 22 Milliarden, die wir uns es kosten lassen, damit Frauen zuhause bleiben können. Ich glaube, da ist die Subvention der Kindertagesstätten mit vier Milliarden einmalig des Bundes lächerlich.

    Heinemann: ... , sagt Christel Humme von der SPD, die stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Familienausschusses. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Humme: Danke Ihnen! Auf Wiederhören, Herr Heinemann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.