Finthammer: Da macht aber die IG Metall eine ganz andere Rechnung auf. Die sagt, die Entwicklung, die wirtschaftliche Entwicklung in unserer Branche - in der Metall- und Elektroindustrie - hat sich in den letzten Jahren sehr viel besser gezeigt als etwa in anderen Bereichen, die Produktivität ist stärker gestiegen als in anderen Bereichen, und der konjunkturelle Aufschwung, der unmittelbar bevorsteht, sei ein guter Hinweis dafür, dass die Branche einen Zuwachs um die vier Prozent verkraften könne.
Hundt: Dieses ist mit der tatsächlichen Situation des Großteils der Firmen in der Metall- und Elektroindustrie nicht in Einklang zu bringen. Die Metall- und Elektroindustrie hat im letzten Jahr deutliche Rückgänge in Auftragseingang und Produktion zu verzeichnen gehabt. Wir haben auch jetzt in den ersten beiden Monaten dieses Jahres erneut ein Produktionsminus von etwa 2,5 Prozent - im Vergleich zu einem Produktionsanstieg in der chemischen Industrie von 8 Prozent. Wir haben in der Tat in den letzten Jahren, und dieses insbesondere aufgrund eines vernünftigen, der Situation angemessenen Tarifabschluss im Frühjahr 2000, einen Beschäftigungsaufbau erreichen können - in der Metall- und Elektroindustrie über 100.000, und ich hätte mir sehr gewünscht und habe mich darum auch sehr bemüht, dass wir den Weg des Frühjahrs 2000 fortgesetzt hätten. Was die IG Metall jetzt anstrebt, wird mit Sicherheit beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden in Deutschland zur Folge haben.
Finthammer: Die IG Metall, Herr Hundt, versucht, die Auseinandersetzung ja auch mit einer gesellschaftspolitischen Argumentation zu führen. Da üben sich die Arbeitnehmer seit Jahren - Sie haben den Tarifabschluss 2000 schon erwähnt - in Lohnzurückhaltung. Gleichzeitig aber haben sich zahlreiche Unternehmensvorstände und Manager ob der zum Teil wirklich sprudelnden Gewinne zweistellige Einkommenszuwächse genehmigt, die aus Arbeitnehmersicht natürlich unverfroren sind. Da ist doch eine Nachschlagsforderung, die aus dem Bauch kommt, verständlich.
Hundt: Ich halte es für unvertretbar, die Tarifforderungen für die Hunderttausende von Beschäftigten in einzelnen Industriebranchen oder Wirtschaftszweigen in Relation zu setzen zur Entwicklung von Managergehältern. Dieses sind zwei völlig voneinander unabhängige Entwicklungen. Wir müssen mit den Tarifabschlüssen sicherstellen, dass wir durch eine Orientierung an der Produktivitätssteigerung unsere Position im internationalen Wettbewerb halten. Dieses ist die Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und damit im Endeffekt für neue Arbeitsplätze. Und dieses sollte das gemeinsame Ziel beider Tarifvertragsparteien sein. Wir können nicht Tarifabschlüsse nur an den Interessen der Beschäftigten orientieren, sondern wir haben insbesondere auch die riesige Zahl von Arbeitslosen in unserem Land zu berücksichtigen. Und dagegen verstößt die IG Metall im Moment dramatisch.
Finthammer: Nach den am Freitag gescheiterten Gesprächen kann man ja den Eindruck bekommen, dass die Arbeitgeber jetzt bei ihrer Strategie auch auf den Druck der Öffentlichkeit setzen; nämlich dass der Kanzler keine langwierigen Arbeitsniederlegungen im Wahljahr haben will, ist bekannt. Und so sehr auch aus Regierungskreisen - etwa Wirtschaftsminister Werner Müller - der Chemieabschluss gelobt wurde: Der Druck auf die IG Metall wird doch zunehmen, sich bescheidener zu geben.
Hundt: Wir werden uns mit allen Mitteln gegenüber diesem unverantwortlichen Verhalten der IG Metall zur Wehr setzen. Ich kann nur vorschlagen und die IG Metall auffordern, so schnell wie möglich mit den Arbeitgebern zusammen einen anderen Weg zu suchen als der, der sich jetzt als scheinbar unabwendbar abzeichnet.
Finthammer: Herr Hundt, Sie haben bereits mögliche Aussperrungen angedroht. Das fördert ja auch die Eskalation der Auseinandersetzung. Sehen Sie keinen anderen Weg - etwa über ein neues Angebot der Arbeitgeber -, mögliche Streiks zu verhindern?
Hundt: Ich sehe zu jeder Zeit die Möglichkeit, die Verhandlungen am Verhandlungstisch wieder aufzunehmen oder fortzusetzen. Dieses setzt aber voraus, dass auch die IG Metall mit einem realitätsnahen Verhalten sich an diesen Tisch setzt. Und wenn dies geschähe, bin ich der Meinung, besteht zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, eine angemessene, eine situationsgerechte Einigung doch noch ohne Arbeitskampf zu erzielen.
Finthammer: Sind denn die 3,3 Prozent das letzte Wort?
Hundt: Ich bin kein Verhandlungsführer der Metall- und Elektroindustrie, ich kann nur sagen: Der chemische Abschluss kann auf gar keinen Fall auf die gesamte deutsche Wirtschaft übertragen werden. Wir müssen uns bemühen, in den einzelnen Branchen Lösungen zu finden, die der jeweiligen Situation gerecht werden.
Finthammer: Herr Hundt, da wir den Tarifstreit jetzt nicht werden lösen können - Sie haben's erwähnt -, lassen Sie uns noch auf andere Politikfelder schauen. Man kann ja nicht gerade sagen, dass Sie die rot-grüne Bundesregierung in den vergangenen Jahren mit Lob überhäuft hätten. Das ist ja auch nicht Ihre Aufgabe. Dennoch: Hat diese Koalition nicht doch den Reformstau aufgelöst, gegen den Sie im Jahr 97/98 noch so heftig angegangen sind?
Hundt: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat die Interessen der deutschen Wirtschaft gegenüber dem Sozialpartner - den Gewerkschaften - und der Bundesregierung zu vertreten. Und was die rot-grüne Regierungspolitik der letzten dreieinhalb Jahre betrifft, ist eben vieles, was an Verbesserung, an Veränderung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen notwendig gewesen wäre, nicht erfolgt, und bedauerlicher weise darüber hinaus vieles sogar in die falsche Richtung vorangetrieben worden. Und dieses kritisiere ich.
Finthammer: Was sind denn da Ihre Beispiele? Mit der Steuerreform konnte sich die Wirtschaft ja sehr zufrieden zeigen.
Hundt: Fangen wir mal mit dem Positiven an. Die Steuerreform und auch die Rentenreform sind zumindest Entwicklungen in die richtige Richtung. Die Reformen selbst weisen allerdings beträchtliche Mängel auf und benachteiligen insbesondere die mittelständischen Unternehmen, die kleinen und mittleren Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. Eine Vielzahl von Themen sind nicht angegangenen worden; beispielsweise hat die Bundesregierung ihre Zusage nicht erfüllen können, die Beitragssumme in den Sozialversicherungen auf unter 40 Prozent abzusenken. Dieses wirkt sich nachteilig für die deutsche Wirtschaft aus, indem unsere Arbeitskosten nicht abgesenkt werden - im Gegenteil, wir haben momentan sogar die Tendenz von Beitragserhöhungen, die die Arbeitskosten belasten und unsere Wettbewerbsfähigkeit verschlechtern. Und zu bemängeln ist insbesondere die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Anstatt in die richtige Richtung zu gehen, das heißt, die Deregulierung, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes vorzunehmen, haben wir eine Vielzahl von Gesetzen zu beklagen, die weitere Bürokratie - Bürokratisierung - darstellen und die eben mit dafür verantwortlich sind, dass wir eine sehr ungenügende Entwicklung des Arbeitsmarktes haben - und auch hier die Zusage des Bundeskanzlers nicht erreicht wird, in diesem Jahr auf durchschnittlich 3,5 Millionen Arbeitslose zu kommen.
Finthammer: Letztlich geht es aber in der Politik darum eine Balance herzustellen, eine Balance zwischen den verschiedenen Interessen, die da formuliert werden. Reformen zu fordern, das ist ja schnell gesagt und im Einzelfall natürlich auch schnell und gut begründet. Aber die langwierigen Auseinandersetzungen - etwa bei der Steuerreform oder bei der Rentenreform - zeigen doch, dass die Handlungsmöglichkeiten einer jeden Regierungskoalition in einer Legislaturperiode ziemlich begrenzt sind, wenn sie - das können wir bei Rot-Grün erleben - mit ihren Reformen einfach nicht ihr eigenes Grab graben will.
Hundt: Zunächst mal kann ich beim besten Willen keine Balance erkennen, wenn ich mir die Entwicklung der Sozialversicherungssysteme vorstelle. Ich erkenne auch keine Balance, wenn ich die einzelnen Regelungen des novellierten Betriebsverfassungsgesetzes mir anschaue. Ich weiß nicht, wo es im Interesse der Beschäftigten ist, dass Einschränkungen bei der Möglichkeit, befristete Beschäftigungsverhältnisse abschließen zu können, verabschiedet worden sind. Dieses sind alles Gesetze, die zum Gefallen der Gewerkschaften verabschiedet worden sind - und darüber hinaus eben die Wirtschaft und die Unternehmen zusätzlich belasten und den internationalen Wettbewerb benachteiligen.
Finthammer: Wo wir beim Gefallen der Gewerkschaften sind: Die IG Metall hat sich jüngst zur SPD-geführten Bundesregierung bekannt und will Schröder im Wahlkampf aktiv unterstützen, auch wenn man der Koalition zuvor eine übertriebene Sparpolitik vorgeworfen hat. Werden Sie sich auch öffentlich erklären und da auf eine Seite schlagen?
Hundt: Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft werden sich - wie auch in der Vergangenheit - parteipolitisch neutral halten. Wir werden klare Wünsche äußern, Forderungen stellen, was in der kommenden Legislaturperiode erfüllt werden muss. Und hier steht im Vordergrund die dringend notwendige und durchgreifende Reform des Arbeitsmarktes - genau so wie eine durchgreifende Reform unserer Sozialversicherungssysteme. Und was ja auch von anderen Ländern von uns erwartet wird: Deutschland hat eine gewisse Lokomotivfunktion in der europäischen Wirtschaft, und dazu passt überhaupt nicht, dass wir in der EU-Tabelle auf dem letzten Platz liegen.
Finthammer: Deutschland das Schlusslicht - das ist ja auch der Vorwurf, den die Union gegenüber der Regierungskoalition erhebt. Aus Sympathie dürfte ja Ihren Ausführungen zur Folge die Ankündigung Edmund Stoibers stoßen, nach einem Regierungswechsel etwa den Kündigungsschutz wieder zurückzunehmen oder auch das Betriebsverfassungsgesetz wieder zu ändern, diesmal zugunsten der Arbeitgeber, also ganz in Ihrem Interesse. Auf der anderen Seite muss man feststellen, dass Stoiber ja bislang bei seinen Ausführungen nicht sonderlich konkret geworden ist. Reicht Ihnen die Ankündigung, oder wollen Sie da noch mehr wissen?
Hundt: Mir reichen die Ankündigungen beider großen Volksparteien nicht, was die Reformen in der kommenden Legislaturperiode betrifft. Hier ist eine klare Positionierung erforderlich, und zwar auf der vollen Fläche. Und ich wiederhole: Die Forderungen, die die Wirtschaft stellt, sind Reformen in dem Sozialversicherungssystem mit der Zielsetzung einer deutlichen Beitragsabsenkung und Reformen in der Arbeitsmarktpolitik und auch im Arbeitsrecht, um unseren Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten. Wir werden dazu ja auch von internationalen Organisationen aufgefordert - EU-Kommission und anderen. Hier sind dringend konkrete Schritte erforderlich, und diese Konkretisierung fehlt mir in der Tat noch von beiden Kanzlerkandidaten.
Finthammer: Der Druck von außen ist da, Sie haben's erwähnt. Die EU-Kommission schreit immer wieder, Deutschland müsse in der Arbeitsmarktpolitik etwa ändern, auch die OECD fordert das schon seit Jahren - etwa klare Reformen bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Auch da gibt es Ankündigungen. Aber auch das ist ja leichter gesagt als getan, weil damit ja eine Reform der föderalen Finanzverfassung verbunden wäre. Und das scheint aber im föderalen System Deutschlands ein großes Problem zu sein - also doch ein langwieriger Prozess, auf den Sie sich da einstellen müssen.
Hundt: Der Reformprozess, der erforderlich ist und der umgesetzt werden muss, ist sicherlich ein Prozess, der nicht innerhalb eines Jahres abgehakt werden kann. Aber wir sollten endlich dazu kommen, überhaupt mal in die richtige Richtung den Einstieg zu finden. Und hier bemängele ich, dass im Verlauf der letzten Legislaturperiode, im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahre, wir uns sogar weiter in die falsche Richtung bewegt haben.
Finthammer: Die Reform der BA wäre doch ein Beispiel. Die kam für viele ungewollt, kam ziemlich schnell, wird jetzt ziemlich konsequent umgesetzt. Mit Florian Gerster sitzt da ein Vertreter an der Spitze, der durchaus in Ihren Interessen handeln dürfte, und die Reformkommission unter der Leitung von Peter Harz, die in der Mehrheit mit Unternehmern besetzt ist, dürfte ja auch ein Konzept vorlegen, das radikaler ist, als sich das möglicherweise so mancher Sozialdemokrat vorstellen mag. Da ist doch ungewollt etwas in Bewegung gekommen, was möglicherweise zu einem positiven Ende kommt, nämlich die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Das käme ja auch den Sozialbeiträgen entgegen.
Hundt: Der Skandal bei der Erstellung der Vermittlungsstatistiken durch die Bundesanstalt für Arbeit kommt uns tatsächlich entgegen, im Rahmen des Bemühens zu wirklichen Reformen auf dem Arbeitsmarkt zu kommen. Die Maßnahmen und Konsequenzen, die der Bundeskanzler zu Beginn der Reform und Umstrukturierung dargelegt hat, habe ich auch einschränkungslos befürwortet. Ich bin allerdings in Sorge, dass im derzeit laufenden Prozess der Umsetzung dieser angekündigten Reformen zunehmend Abschwächungen erfolgen . . .
Finthammer: . . . Beispiel? . . .
Hundt: . . . Ich halte die Position von Herrn Gerster für gut. Ich bin auch der Meinung, dass er ein durchsetzungsfähiger Mann an der Spitze der BA sein wird. Aber es müssen jetzt auch die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Ich vertraue hier ebenfalls auf die Arbeit der Harz-Kommission, die ihre Vorschläge im August dieses Jahres einreichen soll., und wünsche, dass wir diesen stringenten Kurs auch fortsetzen. Sie fragen nach Beispielen: Zusammenführung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe. Ich bin hier in Sorge, dass die deutlichen Ankündigungen des Bundeskanzlers und von Herrn Gerster schon wieder aufgeweicht werden. Ich halte auch die Organisationsstruktur nicht für konsequent, wenn der Verwaltungsrat zwar den dreiköpfigen Vorstand kontrollieren soll, ihn aber nicht be- und abberufen kann. Hier müssten Regelungen der freien Wirtschaft übertragen werden. Und in dieser letzten Konsequenz liegen eben meine Zweifel.
Finthammer: 'Girlsday' heißt eine bundesweite Veranstaltung in der kommenden Woche, die das Ziel hat, mehr qualifizierte Frauen in die Unternehmen in Deutschland zu gewinnen. Hat man da in der Beschäftigungspolitik auch in den Unternehmen - konkret bei Ihnen - in den letzten Jahren etwas verschlafen, oder wieso starten Sie jetzt diese Aktion?
Hundt: Die deutsche Wirtschaft steht der zunehmenden Beschäftigung von Frauen sehr positiv gegenüber. Die Entwicklung der letzten Jahre dieser Richtung ist durchaus auch als erfolgreich zu bezeichnen. Es wird aufgrund der demografischen Entwicklung in den vor uns liegenden Jahren noch wichtiger, Frauen verstärkt in Berufstätigkeit zu bringen als dieses in der Vergangenheit geschehen ist. Wir wehren uns dagegen, dass hier über Gesetze ein natürlicher Prozess behindert oder sogar gehemmt wird. Wir haben im letzten Jahr einvernehmlich - Politik, deutsche Wirtschaft und Gewerkschaften - beim Bundeskanzler in einem Spitzengespräch vereinbart, dass wir die Bemühungen um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf intensivieren wollen, und der Girlsday, der jetzt im April durchgeführt wird, ist eine Maßnahme, die aus dieser übereinstimmenden Positionierung realisiert wird.
Finthammer: Aber Sie haben das Problem schon angesprochen: Es fehlt in den meisten Fällen an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, es fehlt an Betreuungsplätzen, damit die Frauen relativ früh wieder ins Berufsleben - oder überhaupt ins Berufsleben einsteigen können. Was müsste denn da geschehen, was können denn da die Unternehmer tun?
Hundt: Ganz aktuell überbieten sich die politischen Parteien ja in ihren Zugeständnissen im Rahmen der Familienpolitik. Ich bin der Meinung, wir sollten nicht nur auf eine materielle Verbesserung und Erhöhung des Kindergeldes schauen, sondern wir sollten auch qualitative Verbesserungen, gerade mit Blick auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auf der Prioritätenliste ganz vorne ansetzen. Ich denke beispielsweise an Kinderkrippen - Kinder bis zum dritten Lebensjahr -, an vermehrte Bereitstellung von Kindergartenplätzen. Wir benötigen dringend verstärkt Ganztagsschulen. Dieses sind ganz wichtige Voraussetzungen, und hier ist die Politik gefordert. Und die vereinzelt jetzt zu hörenden Rufe, dass die Wirtschaft die Finanzierung übernehmen sollte, weise ich scharf zurück. Dieses ist Aufgabe der Politik. Die Wirtschaft bezahlt Steuer und Abgaben. Und diese Voraussetzungen zu schaffen, um Frauen verstärkt in die Berufstätigkeit zu integrieren, ist Aufgabe des Staates.
Finthammer: Aber im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitsplätze könnte ja schon die Idee hilfreich sein, dass Unternehmen auch Betreuungsplätze für Kinder anbieten. Ob das nun eigene - etwa auf dem Werksgelände - oder in Patenschaften mit städtischen Kindergärten sind, das wäre ja eine ganz andere Frage. Dennoch könnte das ein Zugang sein, wo die Unternehmen quasi das als Sozialleistung anbieten - im Kampf oder im Wettbewerb um die besten Köpfe.
Hundt: Derartige soziale Leistungen vor dem Hintergrund des Wettbewerbs um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zu bejahen. Sie sind im übrigen auch in einem beträchtlichen Umfang realisiert. Aber dieses muss auf freiwilliger Basis Angelegenheit der entsprechenden Firmen sein. Und wovor ich Sorge habe ist, dass die Politik hier eine zusätzliche Finanzierungsquelle bei der Wirtschaft ganz allgemein feststellt und damit insbesondere dann wieder kleine und mittlere Unternehmen, nämlich der Mittelstand, der das Rückgrat unserer Wirtschaft darstellt, zusätzlich belastet wird. Und dieses darf nicht eintreten.
Finthammer: Um noch mal auf den Girlsday zurückzukommen: Warum eigentlich verdient eine Frau heute noch bei gleicher Qualifikation oft genug weniger als ihr männlicher Kollege? Damit werden die Frauen ja doppelt bestraft; zum einen fehlen die Kinderbetreuungsplätze, sie können schwer in den Beruf zurückkehren. Wenn sie in den Beruf zurückkehren, werden sie auch noch finanziell - in Anführungsstrichen - 'abgestraft'.
Hundt: Ich vertrete eindeutig die Position, dass die Tätigkeit von Frauen gleich honoriert werden soll - sogar muss -, wie die ihrer männlichen Kollegen. Ich bin auch nicht überzeugt, dass insbesondere in den Firmen, in denen die Beschäftigung von Frauen substantiell ist, dieses nicht erfolgt.
Finthammer: Aber trotzdem - der Appell muss immer wieder an die Öffentlichkeit gerichtet werden. Auch Sie müssen immer wieder appellieren. Freiwillig - ein Begriff, auf den Sie viel Wert legen - geschieht ja bislang sehr wenig.
Hundt: Ich nutze die Gelegenheit gerne, an alle Unternehmerkollegen, die jetzt zuhören, zu appellieren, dieses Prinzip 'gleiche Bezahlung von gleicher Tätigkeit' zu realisieren.
Finthammer: Sie haben zu Beginn dieses Abschnitts gesagt, dass ob der demografischen Entwicklung es wichtig wird, dass Frauen verstärkt ins Berufsleben hereingeholt werden, auch ob ihrer Qualifikation, die Sie bieten. Nun steht ja die Zuwanderung ins Haus, die Zuwanderungsregelung. Verbirgt sich dahinter nicht auch die Gefahr, dass die qualifizierten Zuwanderer irgendwann auch einmal wieder die Konkurrenten der Frauen auf dem Arbeitsmarkt werden?
Hundt: Ich sehe die Gefahr nicht. Ich bin der Meinung, wir müssen unsere inländischen Potentiale an Arbeitskräften, insbesondere qualifizierten Arbeitskräften, voll ausschöpfen. Ich plädiere beispielsweise sehr stark für eine verstärkte Ausbildung von jungen Frauen auch in gewerblich-technischen Berufen. Hier ist ein Defizit bei uns vorhanden, das auf gar keinen Fall auf das Verhalten der Unternehmen zurückzuführen ist, sondern auf immer noch nicht ausreichendes Interesse an derartigen Berufen bei Frauen zurückzuführen ist. Wir müssen wegkommen von der eindeutigen Priorität der Verkäuferin und der Frisörin und Frauen mehr - und zwar schon vom sehr frühen Alter an - auch für gewerblich-technische Berufe interessieren, beispielsweise für den Ingenieurberuf. Darüber hinaus benötigen wir aber - und dieses insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung - Zuwanderung an Arbeitskräften, zunächst von qualifizierten, teilweise aber auch von Arbeitskräften in weniger qualifizierten Tätigkeiten, wenn wir unsere Position im Weltmarkt halten wollen und wenn wir unser Lebensstandardniveau in der Zukunft sichern wollen.
Finthammer: Sie haben sich ja eifrig für das Zuwanderungsgesetz eingesetzt und in den letzten Tagen vor der umstrittenen Abstimmung im Bundesrat die Union ja auch aufgefordert, dem Gesetz zuzustimmen. Jetzt hängt alles ob der Verfahrensweise im Bundesrat von der Unterschrift von Bundespräsident Johannes Rau ab. Wollen Sie, dass er das Gesetz unterzeichnet?
Hundt: Ich bedaure sehr, dass wir diese Unsicherheit geschaffen haben, die jetzt besteht. Die unterschiedlichen Positionen der großen demokratischen Parteien in dieser Frage der Zuwanderung waren so gering - um nicht zu sagen marginal -, dass bei einigem guten Willen auf allen Seiten eine einvernehmliche, eine Kompromisslösung durchaus denkbar gewesen wäre. Und gerade vor diesem Hintergrund der relativen Übereinstimmung bemängele ich nachdrücklich, das der jetzige Zustand eingetreten ist.