Dirk Müller: "Für Deutschland ist das ein katastrophaler Tag", wetterte die Opposition, aber wer will ihr da ernsthaft widersprechen. 5,2 Millionen Menschen ohne Job, ein neuer trauriger Rekord. Und hinter der Hand geben die Arbeitsagenturen zu: in Wirklichkeit sind es bereits 5,7 Millionen. Kein gutes Zeugnis für eine Regierung, die einst angetreten war, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. So spricht die Union vom Versager-Kanzler und schlägt ihrerseits unter anderem vor, die Bürokratie stärker abzubauen. "Wie originell" entgegnen da die anderen.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Guten Morgen!
Dieter Hundt: Guten Morgen Herr Müller!
Müller: Herr Hundt, um es zu Beginn nicht ganz so kompliziert zu machen: braucht Deutschland eine neue Regierung?
Hundt: Deutschland braucht eine Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die dazu angetan sind, dass die deutschen Unternehmen in einem globalisierten internationalen Wettbewerb erfolgreicher sein können und wo es zu mehr Wachstum, zu mehr Wirtschaftswachstum kommt, als dieses im letzten Jahr mit etwa 1,5 Prozent der Fall gewesen ist und als dieses auch für dieses Jahr wieder prognostiziert wird. Nur dann sind die Voraussetzungen geschaffen, dass in Deutschland Beschäftigung gehalten werden kann und wieder neue Arbeitsplätze entstehen.
Müller: Vertrauen Sie noch auf rot-grün?
Hundt: Die rot-grüne Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler persönlich haben mit der Agenda 2010 im letzten Jahr Weichenstellungen in die richtige Richtung vorgenommen. Es sind erste Reformen umgesetzt worden. Bedauerlicherweise hat uns zu Ende des letzten Jahres der Reformwille bereits wieder etwas verlassen. Wir sind eher dabei, Zickzackkurs zu fahren, bereits beschlossene Reformen wieder zu verwässern, teilweise sogar zurückzunehmen oder zu verschieben. Das ist nicht akzeptabel. Wir müssen den im letzten Jahr eingeschlagenen Weg fortsetzen, müssen ihn sogar intensivieren. Beispielsweise steht die Bundesregierung unverändert der Wirtschaft im Wort, die Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen in diesem Jahr oder in dieser Legislaturperiode - eigentlich war es für Ende letztes Jahr schon zugesagt - auf unter 40 Prozent abzusenken. Selbst dies ist ein bescheidenes Ziel, aber wir sind auf dem Weg dorthin keinen Schritt vorangekommen. Wir haben unverändert 42 Prozent Sozialversicherungsbeiträge und damit weltweit die höchsten Lohnzusatzkosten, die uns im Wettbewerb eben gewaltig belasten.
Müller: Das heißt, Herr Hundt: Der Kanzler hat Sie doch im Stich gelassen?
Hundt: Der Kanzler hat einen hoffnungsvollen Weg eingeschlagen und ich kann ihn nur ermutigen und auffordern, diesen Weg fortzusetzen und in diesem Jahr weiter zu intensivieren. Eine Ruhepause bis zur nächsten Bundestagswahl, die sich bedauerlicherweise mehr und mehr abzeichnet, können wir uns nicht leisten, wenn die dramatische Lage auf dem Arbeitsmarkt sich nicht noch verschlechtern soll.
Müller: Herr Hundt, 2005 ist ein Wahljahr, 2006 selbstverständlich auch. Glauben Sie ernsthaft daran, dass sich noch etwas bewegt?
Hundt: Ich verlange als Vertreter der deutschen Wirtschaft, dass sich etwas bewegen muss, weil wir sonst das uns alle bedrückende Problem der enormen Arbeitslosigkeit in unserem Land nicht zurückführen können und werden.
Müller: Was bringt die Merkel-Stoiber-Initiative?
Hundt: Ich sehe darin einen erneuten Ansatzpunkt, die Regierung aufzufordern, weitere Schritte in Richtung einer Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland zu unternehmen, und die Bereitschaft, soweit dieses der Zustimmung der Opposition durch unsere Gegebenheiten in Bundestag und Bundesrat bedarf, es nicht zu blockieren.
Müller: Fangen wir doch einmal an, konkret nach vorne zu gehen. Ihr erster Vorschlag: was muss sich ändern?
Hundt: Ich fordere ganz konkret eine Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge und sehe hierzu in erster Linie sofort die Möglichkeit, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mindestens einen Prozentpunkt abzusenken. Wir haben die unsinnige Regelung des Aussteuerungsbeitrages, den die Beitragszahler, also die Unternehmen und die Beschäftigten, bei Übertritt eines Arbeitslosen vom Arbeitslosengeld in das jetzige Arbeitslosengeld II bezahlen müssen. Allein dieses ist ein Betrag von über sieben Milliarden Euro pro Jahr.
Müller: Herr Hundt, da muss ich Sie doch mal unterbrechen. Sie sagen 1 Prozent, die Union sagt 1,5 Prozent Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Wer soll das finanzieren?
Hundt: Ich sage um mindestens 1 Prozent und schlage vor, dass dieses sofort aus der Abschaffung dieses Aussteuerungsbetrages finanziert wird. Natürlich sind 1,5 oder gar 2 Prozent deutlich besser. Das gleiche gilt für die anderen Sozialversicherungen: Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Wir müssen ganz schnell zu Lösungen kommen, dass Sozialversicherungen teilweise vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden und wir über die paritätisch finanzierten Versicherungen lediglich noch eine Basisversorgung abdecken mit der Verpflichtung unserer Beschäftigten, darüber hinausgehende Versorgungen auf individueller Art und basiskapitalgedeckt selbst abzuschließen. Dieses ist möglich, wenn wir das bei uns ungenügende Verhältnis zwischen Netto- und Bruttoeinkommen verbessern, sprich den Beschäftigten für ihr Bruttoeinkommen auch ein höheres Netto belassen.
Müller: Herr Hundt, es geht ja den Arbeitgebern auch um weniger Unternehmenssteuern. Es geht auch um weniger Kündigungsschutz. Was machen denn die Arbeitgeber?
Hundt: Die Arbeitgeber haben das große Interesse, im weitestmöglichen Umfang Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten und auch Arbeitsplätze neu in Deutschland zu schaffen.
Müller: Auch wenn sie Gewinne machen!
Hundt: Aber dazu müssen die wirtschaftlichen Gegebenheiten, die wirtschaftlichen Voraussetzungen bestehen und dieses ist bedauerlicherweise nicht der Fall. All die Maßnahmen, die derzeit diskutiert werden, sind Beiträge, die in die richtige Richtung führen. Ich sage Ihnen darüber hinaus: in den Unternehmen sind in einer riesigen Zahl von Fällen betriebliche Bündnisvereinbarungen geschlossen, teilweise auch mit Einschränkungen der Beschäftigten, die lediglich zum Ziel haben, die Beschäftigung in den Unternehmen zu erhalten.
Müller: Michael Sommer, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat in dieser Woche hier im Deutschlandfunk an dieser Stelle gesagt, die Unternehmen haben kein soziales Gewissen mehr. Ist da was dran?
Hundt: Ich weise diesen Vorwurf weit zurück. Die Unternehmen und ganz besonders stark der Mittelstand, der ja unverändert das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist, haben ein vorrangiges Interesse, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten und auch zu schaffen. Dieses wird in zigtausenden von Fällen durch betriebliche Regelungen, die vereinbart worden sind, bestätigt und bewiesen. Ich meine mit derartigen Schuldzuweisungen kommen wir insbesondere in der derzeitigen Zeit überhaupt nicht weiter. Wir sollten uns gemeinsam darum bemühen, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, dass eine Besserung hinsichtlich von Wachstum in Deutschland und Beschäftigung in Deutschland eintreten kann.
Müller: Dieter Hundt war das, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Hundt: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören!
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Guten Morgen!
Dieter Hundt: Guten Morgen Herr Müller!
Müller: Herr Hundt, um es zu Beginn nicht ganz so kompliziert zu machen: braucht Deutschland eine neue Regierung?
Hundt: Deutschland braucht eine Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die dazu angetan sind, dass die deutschen Unternehmen in einem globalisierten internationalen Wettbewerb erfolgreicher sein können und wo es zu mehr Wachstum, zu mehr Wirtschaftswachstum kommt, als dieses im letzten Jahr mit etwa 1,5 Prozent der Fall gewesen ist und als dieses auch für dieses Jahr wieder prognostiziert wird. Nur dann sind die Voraussetzungen geschaffen, dass in Deutschland Beschäftigung gehalten werden kann und wieder neue Arbeitsplätze entstehen.
Müller: Vertrauen Sie noch auf rot-grün?
Hundt: Die rot-grüne Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler persönlich haben mit der Agenda 2010 im letzten Jahr Weichenstellungen in die richtige Richtung vorgenommen. Es sind erste Reformen umgesetzt worden. Bedauerlicherweise hat uns zu Ende des letzten Jahres der Reformwille bereits wieder etwas verlassen. Wir sind eher dabei, Zickzackkurs zu fahren, bereits beschlossene Reformen wieder zu verwässern, teilweise sogar zurückzunehmen oder zu verschieben. Das ist nicht akzeptabel. Wir müssen den im letzten Jahr eingeschlagenen Weg fortsetzen, müssen ihn sogar intensivieren. Beispielsweise steht die Bundesregierung unverändert der Wirtschaft im Wort, die Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen in diesem Jahr oder in dieser Legislaturperiode - eigentlich war es für Ende letztes Jahr schon zugesagt - auf unter 40 Prozent abzusenken. Selbst dies ist ein bescheidenes Ziel, aber wir sind auf dem Weg dorthin keinen Schritt vorangekommen. Wir haben unverändert 42 Prozent Sozialversicherungsbeiträge und damit weltweit die höchsten Lohnzusatzkosten, die uns im Wettbewerb eben gewaltig belasten.
Müller: Das heißt, Herr Hundt: Der Kanzler hat Sie doch im Stich gelassen?
Hundt: Der Kanzler hat einen hoffnungsvollen Weg eingeschlagen und ich kann ihn nur ermutigen und auffordern, diesen Weg fortzusetzen und in diesem Jahr weiter zu intensivieren. Eine Ruhepause bis zur nächsten Bundestagswahl, die sich bedauerlicherweise mehr und mehr abzeichnet, können wir uns nicht leisten, wenn die dramatische Lage auf dem Arbeitsmarkt sich nicht noch verschlechtern soll.
Müller: Herr Hundt, 2005 ist ein Wahljahr, 2006 selbstverständlich auch. Glauben Sie ernsthaft daran, dass sich noch etwas bewegt?
Hundt: Ich verlange als Vertreter der deutschen Wirtschaft, dass sich etwas bewegen muss, weil wir sonst das uns alle bedrückende Problem der enormen Arbeitslosigkeit in unserem Land nicht zurückführen können und werden.
Müller: Was bringt die Merkel-Stoiber-Initiative?
Hundt: Ich sehe darin einen erneuten Ansatzpunkt, die Regierung aufzufordern, weitere Schritte in Richtung einer Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland zu unternehmen, und die Bereitschaft, soweit dieses der Zustimmung der Opposition durch unsere Gegebenheiten in Bundestag und Bundesrat bedarf, es nicht zu blockieren.
Müller: Fangen wir doch einmal an, konkret nach vorne zu gehen. Ihr erster Vorschlag: was muss sich ändern?
Hundt: Ich fordere ganz konkret eine Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge und sehe hierzu in erster Linie sofort die Möglichkeit, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mindestens einen Prozentpunkt abzusenken. Wir haben die unsinnige Regelung des Aussteuerungsbeitrages, den die Beitragszahler, also die Unternehmen und die Beschäftigten, bei Übertritt eines Arbeitslosen vom Arbeitslosengeld in das jetzige Arbeitslosengeld II bezahlen müssen. Allein dieses ist ein Betrag von über sieben Milliarden Euro pro Jahr.
Müller: Herr Hundt, da muss ich Sie doch mal unterbrechen. Sie sagen 1 Prozent, die Union sagt 1,5 Prozent Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Wer soll das finanzieren?
Hundt: Ich sage um mindestens 1 Prozent und schlage vor, dass dieses sofort aus der Abschaffung dieses Aussteuerungsbetrages finanziert wird. Natürlich sind 1,5 oder gar 2 Prozent deutlich besser. Das gleiche gilt für die anderen Sozialversicherungen: Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Wir müssen ganz schnell zu Lösungen kommen, dass Sozialversicherungen teilweise vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden und wir über die paritätisch finanzierten Versicherungen lediglich noch eine Basisversorgung abdecken mit der Verpflichtung unserer Beschäftigten, darüber hinausgehende Versorgungen auf individueller Art und basiskapitalgedeckt selbst abzuschließen. Dieses ist möglich, wenn wir das bei uns ungenügende Verhältnis zwischen Netto- und Bruttoeinkommen verbessern, sprich den Beschäftigten für ihr Bruttoeinkommen auch ein höheres Netto belassen.
Müller: Herr Hundt, es geht ja den Arbeitgebern auch um weniger Unternehmenssteuern. Es geht auch um weniger Kündigungsschutz. Was machen denn die Arbeitgeber?
Hundt: Die Arbeitgeber haben das große Interesse, im weitestmöglichen Umfang Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten und auch Arbeitsplätze neu in Deutschland zu schaffen.
Müller: Auch wenn sie Gewinne machen!
Hundt: Aber dazu müssen die wirtschaftlichen Gegebenheiten, die wirtschaftlichen Voraussetzungen bestehen und dieses ist bedauerlicherweise nicht der Fall. All die Maßnahmen, die derzeit diskutiert werden, sind Beiträge, die in die richtige Richtung führen. Ich sage Ihnen darüber hinaus: in den Unternehmen sind in einer riesigen Zahl von Fällen betriebliche Bündnisvereinbarungen geschlossen, teilweise auch mit Einschränkungen der Beschäftigten, die lediglich zum Ziel haben, die Beschäftigung in den Unternehmen zu erhalten.
Müller: Michael Sommer, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat in dieser Woche hier im Deutschlandfunk an dieser Stelle gesagt, die Unternehmen haben kein soziales Gewissen mehr. Ist da was dran?
Hundt: Ich weise diesen Vorwurf weit zurück. Die Unternehmen und ganz besonders stark der Mittelstand, der ja unverändert das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist, haben ein vorrangiges Interesse, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten und auch zu schaffen. Dieses wird in zigtausenden von Fällen durch betriebliche Regelungen, die vereinbart worden sind, bestätigt und bewiesen. Ich meine mit derartigen Schuldzuweisungen kommen wir insbesondere in der derzeitigen Zeit überhaupt nicht weiter. Wir sollten uns gemeinsam darum bemühen, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, dass eine Besserung hinsichtlich von Wachstum in Deutschland und Beschäftigung in Deutschland eintreten kann.
Müller: Dieter Hundt war das, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Hundt: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören!