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Hygiene-Museum Dresden
Rassismus als Werkzeug der Unterdrückung

Rassentheorien haben die Ausbeutung von Menschen begleitet und erst ermöglicht. Das zeigt die neue Ausstellung "Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen" im Dresdner Hygiene-Museum. Sie nimmt auch das eigene Haus in den Blick und erinnert an rassistische Ausstellungen, die dort in der NS-Zeit zu sehen waren.

Von Bastian Brandau | 24.05.2018
    Die Rassismus - Ausstellung in Deutsches Hygiene-Museum am 18.05.2018 in Dresden . Foto: Oliver Killig
    Rassismus - Schau im DHMD (Oliver Killig )
    1492, das Jahr in dem Kolumbus nach Amerika segelte und in dem christliche Königshäuser die iberische Halbinsel endgültig zurückeroberten. Mit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit werden zum ersten Mal Menschen in Rassen eingeteilt. Weil den neuen spanischen Herrschern das christliche Glaubensbekenntnis nicht mehr reichte, führten sie den Begriff der "Reinheit des Blutes" ein. Insbesondere, um muslimische und jüdische Konvertiten zu kategorisieren, schreibt der Koblenzer Historiker Christian Geulen in der Einführung des Ausstellungskatalogs von "Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen". Rassentheorien und der daraus resultierende Rassismus begleiteten die Ausbreitung europäischer Mächte bei der Kolonialisierung großer Teile der Welt im 18. Jahrhundert. Hier setzt auch die historisch aufgebaute Dresdner Ausstellung ein. Mit den Natur-Klassifizierungen Carl Linnés, die auf Menschen übertragen wurden. Mit auf den Beobachtungen des Anatomen Johann Friedrich Blumenbachs beruhenden Büsten, der für jeden Kontinent einen seiner Meinung nach "typischen" Bewohner ausgemacht haben wollte. Kuratorin Susanne Wernsing:
    "Was wir im ersten Raum machen, ist zu zeigen, dass die Wissenschaften einen glauben machen können, mit dem Konstrukt der Rasse würde nur Unterschiedlichkeit beschrieben. Was Rassentheorien aber tatsächlich machen: Sie stellen Menschengruppen in eine unterschiedliche Hierarchie. Das heißt, dass Rassismus eine Ideologie ist, dass damit eine Macht ausgeübt wird, was ja im 18. Jahrhundert besonders relevant war, weil man durch die Expeditionen und die beginnende Kolonisierung ein Argument haben musste, Menschen in den Kolonien auszubeuten, sich das Land anzueignen und Versklavung zu rechtfertigen."
    Zugehörigkeiten anhand von Schädelmessungen
    Ausbeutung, die bis heute aktuell ist, denkt man an seltene Erden in Elektronik-Geräten. Ein Mobiltelefon steht in der Ausstellung am Ende einer Reihe von aus Kolonien geraubten Gegenständen. Die Ursprünge des vermeintlich wissenschaftlichen Rassismus veranschaulichen sogenannte Bestimmungssets. Mit ihnen wollten Kolonialisten Zugehörigkeiten zu bestimmten Rassen nachweisen. Anhand von Schädelmessungen oder der Kategorisierung, beispielsweise in 36 Hautfarbentöne. Ein Zirkelschluss, der aber, so Susanne Wernsing bis heute nachwirke.
    "Und diese unterschiedlichen Merkmale sind natürlich komplett willkürlich gewählt, also so etwas wie Hautfarbe, Augenfarbe, Haarstruktur; erscheinen uns aber heute plausibel weil wir in dieser Denktradition stehen. Also dass wir denken, die Menschen sind unterschiedlich, und das erkenne ich an der Hautfarbe, verbinden wir schnell mit der Vorstellung, vielleicht gibt es Rassen doch."
    Längst widerlegt, ist dies eine Diskussion, die auch in der Wissenschaft immer wieder aufkommt, wie zuletzt im März mit dem Aufsatz des Harvard-Genetikers David Reich in der "New York Times". Die Berliner Migrationsforscherin Naika Foroutan, Professorin an der HU Berlin, hat die Dresdner Ausstellung im wissenschaftlichen Beirat begleitet.
    "Die Vorstellung der Sozialwissenschaften ist, dass es auch einen 'Racism without race' gibt. Also die Vorstellung, dass man das genetisch/genomisch wie auch immer codieren muss, überhaupt irrelevant ist, weil selbst wenn man nachgewiesen hat, dass es dieses Konzept nicht gibt, weitet sich der Begriff aus auf: 'Die sind eben anders, weil ihre Kultur so ist. Oder weil ihre Religion so ist." Das heißt, die Homogenisierung und danach Abwertung, in dem man Hierarchien bildet, ist ein Konzept, das wir in den Sozialwissenschaften sehr viel weiter dokumentieren können."
    Auch das eigene Haus im Blick
    Immer wieder geht es in der Dresdner Ausstellung darum, andere Perspektiven anzunehmen. Die der Angehörigen der NSU-Mordopfer etwa, die in langen Videos zu Wort kommen. Um Bewohnern ehemaliger Kolonien ein Gesicht zu verleihen, werden einzelne Biografien vorgestellt, werden sie in Anzügen gezeigt und nicht nackt. Kuratorin Susanne Wernsing hat von Rassismus betroffene Menschen eingeladen, an der Ausstellung mitzuarbeiten, die Gruppe hat unter anderem über einzelne Ausstellungsstücke und den Titel mitentschieden. Gelbe Schilder an einzelnen Objekten zeugen von einem weiteren Beitrag. Die Berliner Kommunikationswissenschaftlerin Natasha Kelly hat ein Porträt kommentiert, das im Ausstellungsraum über den Nationalsozialismus zu sehen ist.
    "Ernst Ludwig Kirchner. Seine Kunst wurde unter dem Nationalsozialismus entartet. Das ist denke ich in der Kunsthistorie eine ganz wichtige Thematik. Auch wichtig, dass es hier thematisiert wird. Nichtsdestotrotz ist es auch wichtig zu verstehen dass auch er in einem rassifizierten Kontext Kunst produziert hat, dieselben ideologischen und rassifizierten Weltbilder hatte wie die meisten weißen Männer seiner Zeit. Und deshalb ist hier jetzt auf einer schriftlich-historischen Ebene eine Intervention entstanden, die diesen Blick noch einmal erweitert."
    Die Ausstellung im Hygiene-Museum nimmt auch das eigene Haus in den Blick. 1912 gegründet, stellte es schon vor 1933 rassenkundliches Anschauungsmaterial her, auf das die Nationalsozialisten für ihre tödliche Ideologie aufbauen konnten. Gezeigt werden neben Filmen und Schautafeln zu Erbkrankheiten auch Modelle von Köpfen vermeintlich verschiedener Rassen. Auf einem Foto ist zu sehen, wie blinde Mädchen sie betasten. Die Modelle dienten demnach auch dazu, Blinde von der freiwilligen eigenen Sterilisierung zu überzeugen.
    Was kann eine Ausstellung leisten?
    Zwei große Ausstellungen fanden im Hygiene-Museum während der NS-Zeit statt, 1936 "Blut und Rasse", noch 1939 eine Kolonialausstellung. Vom Hygiene-Museum und der Stadt Dresden gingen in der Vergangenheit Rassismus aus – heute ist die Stadt Hochburg von Pegida und AfD mit ihren rassistischen Parolen. Die Vorbereitungen zur Ausstellungen haben lange vor 2015 begonnen. Dennoch: Was kann eine Ausstellung angesichts der aufgeheizten Stimmung in der Stadt leisten? Der Direktor des Hygiene-Museums Klaus Vogel:
    "Es ist nicht das erste Ziel zu befrieden. Sondern eher einen Diskurs anzustoßen, weitergehen zu lassen und vor allem den Diskurs um Rassismus mit Argumenten, mit historischen Fakten und unterstützt durch besondere Exponate, auch aus der eigenen Sammlung und auch von vielen, vielen Leihgebern, diesen Diskurs, diese Unterhaltung, die notwendig ist, zu unterstützen."
    Wer wollen wir zusammen sein? Das fragen Filme im letzten Raum der Ausstellung. Drei Generationen von Afrodeutschen diskutieren über Rassismus, die Filmemacherin Mo Asumang zeigt ihre Begegnungen mit Neonazis. In dem an westafrikanische Architektur angelehnten Pavillon aus Papprohren des Ausstellungsarchitekten Francis Kéré sollen, so der Wunsch des Münchner Architektur-Professors, die Besucherinnen und Besucher über das Erlebte ins Gespräch kommen.