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Hype oder Hoffnung
Genschere heilt angeblich Blutkrankheiten

Die Genschere CRISPR/Cas9 hat der Gentherapie neuen Schwung verliehen. Bis klinische Studien Ergebnisse liefern, wird es jedoch noch einige Jahre dauern. Dennoch gibt es bereits erste Erfolgsmeldungen: Angeblich wurden zwei Patientinnen mit der Methode geheilt.

Von Michael Lange | 21.11.2019
Eine computerbasierte Darstellung der Genschere Crispr.
Die Genschere CRISPR/Cas9 wurde für eine Gentherapie am Menschen genutzt (imago/Science Photo Library)
Eine der beiden Patientinnen wurde am Universitätsklinikum Regensburg behandelt. Sie leidet an einer schweren, vererbten Blutkrankheit, der sogenannten Beta-Thalassämie. Ihr Blutfarbstoff Hämoglobin ist krankhaft verändert, so dass ihr Blut weniger Sauerstoff in den Körper transportiert. Bisher brauchte die junge Frau jährlich bis zu 16 Bluttransfusionen. Durch die Gentherapie CTX001 der Firmen "CRISPR Therapeutics" und "Vertex Pharmaceuticals" sei diese Behandlung nun überflüssig geworden. Die Patientin weise seit neun Monaten "normale Blutwerte" auf, teilte das Klinikum mit. Das gleiche Verfahren sei erfolgreich bei einer Patientin in Nashville (Tennessee) angewandt worden, die an Sichelzellenanämie erkrankt war.
Genschere aktiviert fötalen Blutfarbstoff
Für beide Leiden ist ein kleiner Fehler im genetischen Bauplan des Hämoglobins verantwortlich. Die Therapie setzte allerdings nicht daran an, diesen Fehler zu reparieren oder ein funktionsfähiges Hämoglobin-Gen einzusetzen. Vielmehr hat die Genschere ein alternatives Gen aktiviert, das fötalen Blutfarbstoff bildet. Diese Art des Hämoglobins produziert der Körper eigentlich nur vor der Geburt. Bei den beiden Patientinnen ersetzt es nun das fehlerhafte Erwachsenen-Hämoglobin.
Dieser Ansatz ist einfacher zu verwirklichen als andere Therapien, weil er ein bereits vorhandenes Gen nutzt. Die Aktivierung dieser Erbanlage findet in Blutstammzellen außerhalb des Körpers statt, wo sie sich leichter kontrollieren lässt als bei einer Umprogrammierung in der Blutbahn. Die Blutkörperchen, die nun fötales Hämoglobin erzeugen, ersetzen dann die fehlerhaften Blutstammzellen, die vor der Transfusion mit einer Chemotherapie zerstört werden müssen.
Keine Aussagen über Nebenwirkungen
Die klinische Studie an 45 Patienten steht nach Angaben des Universitätsklinikums Regensburg noch ganz am Anfang. In einer Phase-1-Studie könnten noch keine statistischen Daten zur Wirksamkeit gesammelt werden. Auch belastbare Aussagen zu Nebenwirkungen seien noch nicht möglich. Bisher sei jedoch nicht beobachtet worden, dass die verwendete Form der Genschere zu Fehlschnitten am Erbgut der Blutstammzellen geführt habe.
Noch keine offizielle Veröffentlichung
Boris Fehse, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie, kritisierte, dass aus einer laufenden Studie heraus einzelne Patientendaten veröffentlicht wurden. Das dürfe keine Schule machen.
Zurzeit liefern sich verschiedene Firmen ein Wettrennen darum, Gentherapien gegen Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie zur klinischen Anwendung zu bringen. Rodger Nowak, Mitgründer und Präsident von "CRISPR Therapeutics", nennt im "Tagesspiegel" den Druck der Analysten als Grund dafür, dass das Unternehmen bereits jetzt mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen ist.