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"I Am Europe" am Theater Straßburg
Diversität als modische Konvention im Kulturbetrieb

In den letzten Jahren hat sich der Europabegriff zunehmend verdüstert. Der Kontinent scheint auseinander zu driften. In seinem neuen Theaterstück "I Am Europe" für das Nationaltheater Straßburg sucht und findet Autor und Regisseur Falk Richter die Gründe in rechtem Nationalismus und linken Kulturklischees.

Von Eberhard Spreng | 17.01.2019
    Auf einer Theaterbühne schwenkt ein Mann in blauem Pelz grimmig eine große Flagge.
    "I Am Europe" in der Regie von Falk Richter am Nationaltheater Straßburg (Jean-Louis Fernandez)
    "Arrêtez!" - "Aufhören!", rief eine Frau einmal kurz vom Balkon des Straßburger Nationaltheaters. Da hatte einer der acht Performer in einer wütenden Rede den französischen Präsidenten Emmanuel Macron persifliert: seine neoliberale Politik im Dienste der Reichen, seine Verachtung für die einfachen Leute. Später erinnerte der Regisseur, dessen Abrechnung mit den deutschen Neo-Nationalisten ihm ein Gerichtsverfahren einbrachte, das französische Publikum an die höchst unrühmliche Geschichte des Maurice Papon. Der ehemalige Nazi-Kollaborateur befahl als Polizeipräfekt 1961 das Massaker von Paris, dem 200 demonstrierende Algerier zum Opfer fielen. Ihre Leichen warf man kurzerhand in die Seine. Trotzdem wurde Papon siebzehn Jahre später französischer Finanzminister.
    Falk Richters "I Am Europe" ist Agit-Prop, Politikkabarett, Europa-Diskussion und Bekenntnistheater in einem. Es will das ganz Persönliche, ja Private seiner Performer mit den ganz großen Schicksalsfragen des Kontinents in Beziehung setzen. In der bunten Szenenfolge müssen sie auch schon mal als Allegorie auftreten. Zum Beispiel als in einen schwarzen Schleier gehüllte Europa:
    "Ich bin Europa, ich weiß nicht, wer ich bin. Irgendetwas passiert hier."
    "Irgendetwas passiert hier gerade und ich weiß nicht, wie ich mich dazu verhalten soll."
    Abrechnung mit den denkfaulen Klischees
    Die Straßburger Arbeit ist neben kurzen elegischen Passagen vor allem eins: Eine auf Komik abzielende Abrechnung mit den denkfaulen Klischees, den Kulturtechniken der Vereinfachung, dem modischen Trend zum Hate-Speech. Einmal wird gefragt, wie man sein Denken und seine Autonomie vor dem Dauerfeuer der sozialen Netzwerke schützen kann, die hier als digitaler Bürgerkrieg gegeißelt werden. Dann erzählt die serbische Schauspielerin Lana Barić von ihrer jugoslawischen Identität, die der jugoslawische Krieg zerstört hat, indem er ihren Freundes- und Verwandtenkreis in ein Geflecht von Feindesbeziehungen verwandelt hat. Die Akteurin Tatjana Pessoa erinnert an die entfernte Verwandtschaft mit dem portugiesischen Autor Fernando Pessoa, der seine Werke unter diversen Heteronymen verfasste. Seine verschiedenen Autorennamen stehen für Falk Richter und Ensemble für Komplexität und Vielschichtigkeit einer jeden europäischen Biografie.
    Aber diese Diversität, die in einer Szene positiv besetzt und als erstrebenswert geschildert wird, wird wenig später als modische Konvention des Kulturbetriebs verspottet.
    "Bei Anträgen für Kulturprojekte sind Namen wie Khadija El Kharraz Alami sehr hilfreich. Das klingt einfach besser als Isabelle Martin oder Stefanie Kayser. Sie können sicher sein, Sie kriegen das Geld, weil alle im Kulturbetrieb im Moment auf ein Ding scharf sind: Diversity."
    Denkschablonen werden für Momente aufgebrochen
    Herkunftsvielfalt und Genderkomplexität, das ist etwas, was Falk Richter und der Kulturbetrieb gerne gegen neue rechte Tendenzen in Stellung bringen. Es ist aber auch etwas, das die Gruppe der acht Performer und Schauspieler auf der nur mit ein paar Objekten und Monitoren spärlich möblierten Bühne bei der Beurteilung der französischen Gilets Jaunes-Bewegung spaltet. Was für die einen ein notwendiger Widerstand gegen schreiende soziale Ungerechtigkeit ist, ist für die anderen ein homophober, Trikoloren schwenkender Nationalistenmob. Die auf der Bühne geführte Show-Debatte bleibt offen, aber immerhin: Die Denkschablonen der identitätspolitischen Linken, die zum Beispiel Dramaturg und Aufstehen-Mastermind Bernd Stegemann wiederholt kritisierte, sie werden hier für Momente aufgebrochen, es wird Sensibilität geschaffen für Menschen, die ganz unsexy sind und irgendwie nach Schweiß, Diesel und Rotwein stinken.
    Alles schick also? Ungetrübtes Polit-Entertainment im Theaterdenkraum? Nicht ganz, denn Falk Richters Theater, das immerfort damit beschäftigt ist, zu gefallen, es kann nur zeigen, was sich mit Macht an die Rampe drängt, was toll performt. Es ist das Theater der Erfolgreichen. Für die Ratlosigkeit, für die Erschöpfung und Traurigkeit auf diesem Kontinent findet "I Am Europe" nur wenige Worte und Bilder.