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I.G.-Farben-Prozess vor 70 Jahren
Für immer mit der Ausbeutung von KZ-Häftlingen verbunden

Beteiligung an der brutalen Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern: So lautete der Vorwurf gegen 23 leitende Angestellte des Chemie-Konzerns I.G.-Farben. Am 3. Mai 1947 begann in Nürnberg der Prozess. 13 Mitarbeiter wurden zu Haftstrafen verurteilt - und saßen nur wenige Jahre später wieder auf ihrem Posten im Unternehmen.

Von Bernd Ulrich | 03.05.2017
    Der Angeklagte Dr. Heinrich Buetefisch im Zeugenstand. Vor dem amerikanischen Militärgericht VI in Nürnberg begann am 14. August 1947 unter Vorsitz des Richters Curtis Shake der Prozeß gegen 23 Direktoren des IG-Farben Konzerns mit der Verlesung der Anklageschrift, die sich in fünf Punkte gliederte: 1. Kriegsplanung, 2. Plünderung und Raub, 3. Sklavenarbeit, 4. Mitgliedschaft bei verbrecherischen Organisationen und 5. Verschwörung gegen den Frieden. Gegen den 24. Angeklagten, den erkrankten Max Brüggemann, soll das Verfahren nach dessen Genesung aufgenommen werden. Die 23 Angeklagten erklärten sich für "nicht schuldig". Am 29. und 30. Juli 1948 wurden zwar alle Angeklagten von den Punkten eins und fünf freigesprochen, 13 Angeklagte jedoch wegen der anderen Anklagepunkte zu Freiheitsstrafen zwischen eineinhalb und acht Jahren verurteilt, zehn Angeklagte wurden freigesprochen. | Verwendung weltweit
    Der Angeklagte Heinrich Bütefisch, Vorstandsmitglied der I.G.-Farben im Zeugenstand: Er wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Danach setzte er seine Managementkarriere fort. (picture-alliance / dpa)
    "Lieutenant Georg von Schnitzler. How do you plead to this indictment? Guilty or nor guilty?"
    "Nicht schuldig.”
    " Hermann Schmitz. How do you plead to this indictment? Guilty or nor guilty?"
    "Auf keinen Fall schuldig!"
    Zwei von 23 Angeklagten im I.G.-Farben-Prozess, der am 3. Mai 1947 mit der Anklageerhebung vor einem amerikanischen Militärgericht in Nürnberg begann. Am Ende jenes Tages hatten sich alle Angeklagten als "Unschuldig" bekannt. Doch waren sie als leitende Angestellte des Chemie-Konzerns tief verstrickt in das NS- Lager- und Vernichtungssystem. Ein Kenner der komplexen Materie, der Historiker Florian Schmaltz:
    "Insgesamt lässt sich sagen, dass am Ende des Zweiten Weltkriegs ungefähr die Hälfte der gesamten Belegschaft … KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter waren, - die Hälfte heißt in diesem Fall von 330.000 Arbeitskräften."
    Die Interessengemeinschaft Farben, kurz I.G. Farben, war Mitte der zwanziger Jahre aus dem Zusammenschluss von sechs großen Chemiewerken entstanden. Nach 1933 diente sich dieses Chemie-Kartell bereitwillig den neuen Machthabern an. Insbesondere erhoffte man sich satte Profitraten von der forciert betriebenen Aufrüstung. Bis 1937 waren bereits alle jüdischen Direktoren des Konzerns entlassen worden und das leitende Management in die NSDAP eingetreten.
    Übernahme von bedeutenden Aufgaben für den deutschen Rassen- und Vernichtungskrieg
    "Die I.G. Farben war mit einem Bilanzwert von sechs Milliarden Reichsmark das größte und einflussreichste Chemieunternehmen der Welt. Ohne ihre reiche technische Erfahrung und ohne die wirtschaftliche Macht, die in ihren Händen konzentriert war, wäre Deutschland nicht in der Lage gewesen, im September 1939 seinen Angriffskrieg zu beginnen."
    So formulierte es im September 1945 der von der amerikanischen Armee mit den Ermittlungen betraute Colonel Bernard Bernstein in seinem Bericht an seinen Vorgesetzten, den stellvertretenden Militärgouverneur für Deutschland, Lucius D. Clay. Während des Krieges übernahm die I.G. Farben bedeutende, für die Führung des deutschen Rassen- und Vernichtungskrieges unverzichtbare Aufgaben. Der Historiker Wolfgang Benz:
    "Der I.G.-Farben oblag es vor allem in der Kriegswirtschaft, die lebenswichtigen Sachen zu produzieren. Also: Benzin aus Kohlehydrierung, das war das Leuna-Werk, und diesen künstlichen Gummi, und für diesen künstlichen Gummi – Buna genannt – wurde ab 1941 ein riesiges Werk im Osten erbaut, und zwar in der Nähe von Auschwitz."
    Nahe des KZ Auschwitz wurde im Oktober 1942 das Lager Buna/Monowitz errichtet. Es befand sich praktisch auf dem Werksgelände des dortigen I.G.-Farben-Werkes. Noch in der allgemeinen Urteilsbegründung hieß es:
    "Die Arbeitsunfähigen oder diejenigen, die sich der Disziplin nicht unterwarfen, wurden in das Konzentrationslager Auschwitz zurückgeschickt oder, was weit öfter der Fall war, nach Birkenau, um in den dortigen Gaskammern liquidiert zu werden. Die vom Konzentrationslager Auschwitz zur Verfügung gestellten Arbeiter lebten und arbeiteten unter dem Schatten der Liquidierung."
    Ehemalige Täter saßen wieder auf Direktorenposten
    Im Juli 1948 erfolgte im I.G. Farben-Prozess die Urteilsverkündung. Zehn Freisprüche wurden durch 13 Verurteilungen zu Haftstrafen zwischen 18 Monaten und acht Jahren flankiert. Doch schon im Verlaufe des Jahres 1951 kamen alle Verurteilten wieder frei. Hans Frankenthal, einst selbst Opfer in Buna/Monowitz, sah mit Sorge, wie die einstigen Täter der I.G. Farben ihre Karriere in der Bundesrepublik weiterzuführen vermochten:
    "Was noch das Allerschlimmste war: Diese Direktoren sind alle wieder in Direktorensessel nachher reingekommen. Es war einer, ich kann es jetzt nicht sagen, ob es Blütefisch war oder wer es war, ist ja denn auch mal zum Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen worden. Aufgrund unserer Proteste wurde dann dieses Bundesverdienstkreuz wieder zurückgezogen."
    Tatsächlich handelte es sich um Heinrich Bütefisch, I.G.-Farben Vorstandsmitglied, Wehrwirtschafts- und SS-Obersturmbannführer, unter anderem wegen "Versklavung" zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung konnte er seine Managementkarriere fortsetzen.
    Die I.G.-Farben indessen befand sich nach dem Krieg und bis zu ihrer endgültigen Löschung im Handelsregister am 31. Oktober 2012 in Abwicklung. Auch die erst im September 2001 gegründete Stiftung der I.G.Farbenindustrie – sie kümmerte sich, freilich für die meisten Opfer viel zu spät, um Hilfszahlungen – musste Ende 2015 aufgelöst werden. Es war das profane Ende eines Unternehmens, das für immer mit der Ausbeutung von KZ-Häftlingen verbunden bleibt.