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Iasi in Rumänien
Nur noch zwei Synagogen übrig

Jahrhundertelang lebten Tausende Juden in der rumänischen Stadt Iasi - bis zur staatlich organisierten Judenvernichtung während des Zweiten Weltkrieges. Trotzdem sind die jüdischen Traditionen in Iasi noch nicht ganz erloschen.

Von Leila Knüppel | 05.07.2019
Die Große Synagoge im rumänischen Iasi
Die Große Synagoge im rumänischen Iasi ist eine von zwei Synagogen, die noch übrig sind - einst waren es 130 (Imago/Walter Bibikow)
Wieder meldet sich das Telefon – und Ides Vladcovschi muss rangehen. Wegen des Matze-Brot-Verkaufs, jetzt kurz vor dem Pessach-Fest. Eigentlich möchte die Vizepräsidentin der jüdischen Gemeinde ihre Gäste durch den kleinen Museumsraum führen, den sie in Iasi direkt neben den Büros der Gemeinde eingerichtet haben.
"Das jüdische Leben in Iasi beginnt vermutlich unter Stephan dem Großen, um etwa 1500."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Schwierige Aufarbeitung - Die Ermordung der rumänischen Juden.
Aber das Telefon "quakt" an den unmöglichsten Stellen. Auch wenn sie vom Pogrom in Iasi von 1941 erzählt. Das Klingeln erinnert daran, dass es nicht nur bittere Vergangenheit gibt, sondern Gegenwart, jüdisches Leben in der rumänischen Stadt Iasi.
Ides Vladcovschi, Vizepräsidentin der jüdischen Gemeinde Iasi
Möchte die jüdische Kultur in Iasi am Leben halten:Ides Vladcovschi, Vizepräsidentin der jüdischen Gemeinde Iasi (Deutschlandradio/ Leila Knüppel)
Einst waren es 130 Synagogen
Vladcovschi legt das Handy weg, geht zu einer Karte von Iasi – mit vielen Nummern und Punkten drauf, die zeigen, wo überall einst Synagogen standen:
"Vor dem Krieg gab es hier 130 Synagogen. Die Synagogen wurden nach den Berufen der Menschen benannt, die in die jeweilige Synagoge gingen: Synagoge der Schneider, der Steinmetze, der Holzfäller. Vor dem Pogrom 1941 war die Hälfte der Bevölkerung von Iasi jüdisch, es gab mehr als 50.000 Juden."
Jetzt leben hier in der Stadt nur noch etwa 300 Juden. Und die meisten sind über 60 Jahre alt. "Was für einen kulturellen Reichtum wir damals hatten. Und davon sind nur zwei Synagogen übrig."
Jüdische Kultur und Tradition weitergeben
Auch der samtene, reich verzierte Hochzeitsbaldachin in der Mitte des Museumsraumes wird nur noch selten herausgeholt. Das letzte Mal bei ihrer eigenen Hochzeit, erzählt Ides Vladcovschi. Und das ist schon Jahre her.
Reporterin: "Haben Sie je darüber nachgedacht, Iasi zu verlassen?"
Ides Vladcovschi: "Nein! Viele meiner Freunde sind nach Israel ausgewandert. Aber ich möchte hier bleiben, um die Kultur und die Tradition weiterzugeben. Und ich möchte, dass unsere Kinder und auch die Christen vom Holocaust erfahren, damit sich so etwas nicht wiederholt."
Vladcovschi zeigt auf Zeitungsausschnitte und Plakate aus den 30er Jahren, die an einer Wand hängen: Hetze gegen Juden. Daneben weitere Plakate: Erläuterungen der Rassengesetze, die die rumänische Regierung später verhängte – und die denen im damaligen Nazi-Deutschland glichen. Dann folgen in der Ausstellung Dokumente von den Gräueltaten im Juni 1941, dem Pogrom von Iasi:
"Es war das größte Pogrom in Rumänien"
Wir fahren in die Innenstadt, zum damaligen Polizeipräsidium. Hierhin wurden die jüdischen Einwohner im Sommer 1941 getrieben. Gleichzeitig wurden Wohnungen von Juden überfallen und geplündert, Hunderte Menschen einfach auf offener Straße erschlagen.
"Polizisten, Gendarme, Zivilisten – deutsche Soldaten und rumänische Soldaten. Alle haben beim Massaker mitgemacht."
Vladcovschi führt eine kleine Straße hinunter, bleibt vor einem unschuldig-unscheinbaren Gebäude stehen. Das ehemalige Polizeipräsidium. "Über 13.000 Juden wurden ermordet. Es war das größte Pogrom in Rumänien."
Eine kleine Gedenktafel erinnert an das Geschehen. Sie wurde erst vor einigen Jahren hier angebracht. "Der rumänische Staat hat die Schuld am Holocaust zuvor einfach nicht anerkannt, nicht einmal, dass es ihn gegeben hat."
Jüdische Feste werden noch gefeiert
Zum Schluss möchte Ides Vladcovschi noch die große Synagoge zeigen. Eine von den zwei Synagogen, die in Iasi noch stehen. "Davor soll hier eine Holzsynagoge gestanden haben. Die jüdischen Gotteshäuser durften nur aus Holz sein und nicht größer als die Kirchen."
Das frisch gestrichene und renovierte Gebäude liegt in der ehemaligen Straße der Synagogen. Dicht an dicht standen sie hier einst. Jetzt: Häuser und Straßeneinerlei.
"Die große Synagoge wurde 1670 erbaut. Es ist die älteste Synagoge Rumäniens. Sie wurde renoviert und vergangenes Jahr zu Hannukah eingeweiht."
Drinnen, in der Synagoge, wölbt sich ein riesiger, kunstvoll geschnitzter, bunt bemalter Toraschrein. "Der ist wundschön, der Toraschrein. Der wurde Stück für Stück auseinander genommen, restauriert und wieder zusammengesetzt, wie ein Puzzle. Zwölf Jahre hat das gedauert."
Wieder klingelt das Handy – wieder muss Ides Vladcovschi kurz rangehen, um ein Matze-Brot-Bestellung entgegenzunehmen.
Auf einigen Stühlen in der Synagoge liegen noch die Ratschen vom Purim-Fest, eine Art jüdischer Karneval. Das Fest erzählt davon, wie Juden einst im antiken Persien nur knapp einem Pogrom entkommen sind, erklärt Ides Vladcovschi: eine lautstarke Feier des Lebens, des Überlebens.
Sie nimmt eine der Ratschen in die Hand – und beginnt zu drehen.