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"Ich bin der letzte Grüne - Die Ökosteuer muss bleiben" - Zum Arbeitsmarkt, dem Bündnis für Arbeit und zur Regierungspolitik

    Remme: Sind wir bereits mitten im Bundestagswahlkampf? Bundeskanzler Gerhard Schröder hat es lange vermieden, ein in Zahlen konkretes Ziel für den Abbau der Arbeitslosigkeit zu nennen, aus gutem Grund. Zum einen hat Schröder einen Erfolg seiner Arbeitsmarktpolitik zur Messlatte für seine Regierung insgesamt gemacht. Zum anderen hat der Bundeskanzler mit Blick auf seinen Vorgänger und dessen ehrgeizige Prognosen in Punkto Arbeitslosenzahlen sicherlich gut in Erinnerung, wie gefährlich allzu konkrete Aussagen sein können.

    Um so erstaunlicher Schröders Aussage vom vergangenen Sonntag, die Zahl der Erwerbslosen könne im Herbst 2002 unter drei Millionen liegen. Inzwischen ist er zurückgetänzelt auf 3,5 Millionen. Ein Fehler war's, die gelegentlich holprige Arbeit eines alten Zirkuspferdes. So die Worte des Kanzlers. Dieses Bild wollen wir mit Rücksicht auf ihn lieber nicht verlängern, doch der Arbeitsmarkt ist nach der neuen Runde im Bündnis für Arbeit wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Heute bekommt die Debatte neue Nahrung. Aus Nürnberg werden die aktuellen Zahlen für den Monat Februar gemeldet. 4,112 Millionen, so berichtet die Deutsche Presseagentur vorab.

    Das sind mehr als im Januar. Das sind weniger als im Februar des Vorjahres. Am Telefon ist nun Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Guten Morgen Herr Walter!

    Walter: Guten Morgen Herr Remme.

    Remme: Über vier Millionen Arbeitslose und wir sind bereits weit über die Hälfte der Legislaturperiode. Ist Gerhard Schröder noch auf Kurs?

    Walter: Ja, ich glaube schon, obwohl natürlich die Abschwächung aus den USA ausgehend auch bei uns wirtschaftliche Dynamik wahrscheinlich abbremst und deshalb den wunderschönen Anstieg der Beschäftigung des letzten Jahres sicherlich auch vermindert im Jahre 2001. Zu hoffen ist natürlich - und das für uns alle -, dass 2002 diese Konjunkturdelle vorbei ist.

    Remme: Unter 3,5 Millionen im Herbst kommenden Jahres, geht Gerhard Schröder mit dieser Vorgabe ein großes Risiko ein?

    Walter: Er geht ein gewisses Risiko ein. Ich glaube aber nicht, dass es sehr groß ist. Meine Vermutung ist in der Tat, dass wir eine solche Zahl erreichen können, wenn die wirtschaftliche Entwicklung mit Zuwachsraten von zwei, zweieinhalb Prozent laufen wird in diesem und im nächsten Jahr.

    Remme: An welchem Punkt der Konjunkturkurve sehen Sie denn die deutsche Volkswirtschaft derzeit?

    Walter: Derzeit mache ich dichten Nebel aus und muss gestehen, dass ich mich selber nicht so gut zurecht finde. Wir haben in Europa, vor allem in Kontinentaleuropa glaube ich eigentlich ganz gute Voraussetzungen für eine vergleichsweise ungestörte Weiterentwicklung. Aber wir sind psychologisch offenkundig noch nicht richtig selbständig. Wir regen uns sehr auf über das, was in den USA geschieht, obwohl sich in unseren Zahlen, in unseren Produktionszahlen, in unserer Beschäftigungsentwicklung eigentlich relativ wenig zeigt. Wir machen uns vielleicht aber auch nervös über das, was sich bei den Aktien vor allem neuen Markt getan hat, und glauben, dass dies eher die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ausdrückt, was aber nicht zutrifft.

    Remme: Und warum hatte die konjunkturelle Erholung des vergangenen Jahres kaum Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt?

    Walter: Das ist falsch. Das waren kräftige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Normalerweise dauert es ja ein gutes Jahr, bevor sich das, was sich bei der Konjunktur tut, auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt. Wir haben im letzten Jahr vergleichsweise früh einen Anstieg der Beschäftigung gehabt, der über einem Prozent lag. Das ist schon zehn Jahre her, dass wir so etwas hatten. Insofern war das, was im letzten Jahr geschah, eine ganze Menge an Vorwärtsdynamik. Wir sollten nicht vergessen, dass in der Schlussphase der Kohl-Regierung mit allzu vielen Tricks Arbeitslosigkeit verschleiert und versteckt wurde und dies durch Geld, was von der Bundesanstalt nicht mehr ausgegeben wurde, im Jahre 2000 nicht mehr so gedrückt ist.

    Remme: Herr Walter, muss man dann nicht auch dazu sagen, dass jetzt Jobs mitgezählt werden wie die geringfügig Beschäftigten, die vorher nicht mitgezählt wurden?

    Walter: Das ist richtig, aber das ist nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist in der Tat, dass es bei uns in der verarbeitenden Industrie durch eine Kombination aus kluger Unternehmenspolitik und dem glücklichen Umstand, dass Amerika boomte und der Wechselkurs des Euro schwach war, eine kräftige Beschäftigungsausweitung möglich war. Ich meine wir sind mittlerweile zu dem Anbieter von Automobilen, zu einem der kernigsten Anbieter von Chemikalien und so weiter geworden. Wir sind also ein Industriestandort, der wirklich Qualität hat.

    Remme: Trostlos scheint die Lage nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt in Ost-Deutschland. Herr Walter, liegt die Antwort in zusätzlichen Mitteln für den Aufbau Ost, wie zum Beispiel Ministerpräsident Höppner jetzt wieder fordert?

    Walter: Das System in Deutschland mit seinen Sozialleistungen sorgt automatisch dafür, dass diejenigen, die weniger Markteinkommen erzielen und in der Nähe des Unterstützungsminimums sind, vom Gesamtsystem unterstützt werden. Das wird für viele Teile Ost-Deutschlands wahrscheinlich noch lange Zeit gelten. Die Mittel, die aus diesem Grund dorthin fließen, genauso wie ins Emsland oder genauso wie in die Rhön, werden auch in Zukunft fließen. Das muss man nicht jeweils neu thematisieren. Das gehört zur Selbstverständlichkeit unseres deutschen Systems.

    Remme: Ist das eine Feststellung oder eine Kritik?

    Walter: Das ist eine Feststellung. Das ist zum Teil eine Kritik, aber wirklich nur zu einem winzigen Teil. Das ist eigentlich das, was eine sozial orientierte Gesellschaft ausmacht, dass sie das tut. Was wir jedoch in Ost-Deutschland getan haben war, durch Steuersubventionen an den falschen Stellen Dinge zu bauen, die sich nie am Markt rechnen werden. Wir haben dort doppelt so viele Einkaufszentren, wie ein vernünftiger Mensch je dort brauchen wird. Wir haben dort Wohnungen gebaut, die für Menschen mit Einkommen wie in Düsseldorf vielleicht geeignet sind, aber nicht für Einkommen, wie sie in Cottbus wahrscheinlich erzielt werden. Diesen Blödsinn noch einmal zu finanzieren, darauf kommt glücklicherweise niemand mehr. Eine solche Aufbauhilfe sollte nicht vorkommen. Die Infrastruktur, das heißt die Straßen, die Telekommunikationsinfrastruktur und bald wohl auch die Bahninfrastruktur, werden in Ost-Deutschland auf mindestens westdeutsches Niveau gebracht. Damit ist etwas getan, was eine gute Grundvoraussetzung sein wird, um demnächst auf eigenen Beinen zu stehen. Ich vermute, dass mancher Westdeutsche sich noch sehr wundern wird, wie erfolgreich Städte wie Dresden und Leipzig sein werden, wenn dort einmal klar wird, dass dort niedrige Grundstückspreise, niedrige Immobilienpreise und eine vergleichsweise gute Ausstattung mit ausgebildeten Personen wirklich vorliegen. Dann geht man nämlich dorthin, um zu investieren, und zwar aus gutem Grund, nicht aus steuerlichem Grund.

    Remme: Herr Walter, Sie haben als Grund für die Erholung auf dem Arbeitsmarkt jetzt schon zweimal auf den Boom in den Vereinigten Staaten hingewiesen. Welchen Anteil hat die Reformpolitik von rot/grün daran?

    Walter: Die rot/grüne Regierung hat etwas in Deutschland auf den Weg gebracht, was 20 Jahre zuvor debattiert wurde, aber nicht erfolgte, nämlich eine Unternehmenssteuerreform und einen Prozess der Senkung der Spitzensteuersätze und der Eingangssteuersätze im Einkommenssteuertarif sowie einen Prozess, der die direkte Steuerbelastung reduziert und umverlagert auf indirekte Besteuerung. Dies ist ein prinzipiell richtiger Weg. Dies wird nach meiner Einschätzung von viel zu vielen Deutschen noch nicht in dem Umfang wahrgenommen, wie es tatsächlich umgesetzt worden ist. Dafür ist nach meiner Einschätzung der Finanzminister ausdrücklich zu loben. Dass dabei nicht alles gelungen ist, will ich gerne einräumen. Aber dies ist eine wichtige Weichenstellung, die auf mittlere Frist - und die dritte Stufe dieser Steuerreform tritt ja 2005 erst in Kraft, liegt also noch in der Zukunft - ganz sicherlich dem Standort Deutschland helfen wird. Was wir leider jetzt auf der Tagesordnung des Bundestages haben und was nicht so gut gelungen ist, ist die versuchte Rentenreform. Da hat Herr Riester einen richtigen Gedanken gehabt, nämlich dass die umlagefinanzierte Rentenversicherung nicht mehr tragfähig ist, und hat gesagt, da muss ein privates Bein hin und da muss eine Kapitaldeckung auf den Weg gebracht werden. Dieser Gedanke war so richtig und so wichtig, dass man ihn sehr unterstützen musste. Was jetzt aber durch die Arbeit, die im Arbeitsministerium und durch den Einfluss der Gewerkschaften zu Stande gekommen ist, herausgekommen ist, ist ein solcher Würmling, dass damit wahrscheinlich das gute Konzept, das Riester zurecht auf den Weg gebracht hat, so in seiner Wirkung als nicht ausreichend erkannt werden wird, dass wir damit wahrscheinlich dieser Reform einen Bärendienst erweisen. Es wäre also wirklich klug, wenn alle noch einmal sehr intensiv nachdächten und nicht bei dieser Mini-Rentenreform stehen blieben und nicht bei dieser Gängelung, die jetzt auch für die private und kapitalgedeckte Altersvorsorge durch das Arbeitsministerium und den Gewerkschaftseinfluss faktisch vorgeschrieben wird.

    Remme: Herr Walter, ich will noch mal auf die Steuerpolitik zurückkommen. Rot und grün streiten bereits über die Zukunft der Ökosteuer nach dem Jahr 2003. Ist diese Steuer in jedem Fall eine Belastung für die wirtschaftliche Entwicklung, oder muss sie nur anders ausgestaltet werden?

    Walter: Ich habe kürzlich einmal gesagt, ich scheine der letzte Grüne zu sein. Ich bin dafür, dass man das Konzept der Ökosteuer weiter beibehält, solange wie man noch nicht das Instrument der Emissionszertifikate zur Verfügung hat, mit dem man sicher den Umweltschutz und die ökonomische Sinnhaftigkeit des Wirtschaftens noch besser kombinieren könnte. Solange man dieses Instrument noch nicht praktisch verfügbar hat, sollte man nach meiner Einschätzung die Ökosteuer weiter einsetzen.

    Was aber 2003 vorbei sein muss sind die Ausnahmen bei der Ökosteuer für diejenigen, die am meisten Energie verbrauchen. Das macht überhaupt keinen ökologischen Sinn und mittelfristig auch keinen ökonomischen Sinn. Dass wir in Deutschland Produktion haben, die energieintensiv ist, das ist durch die Veränderung der Ökosteuer zu korrigieren. Aber im Prinzip halte ich eine Maßnahme, bei der die Arbeitskosten vermindert werden, das heißt also die Sozialbeiträge herabgesetzt werden und die Ökosteuer weiter heraufgesetzt wird, für einen Weg, der Deutschland in eine sichere Zukunft führt, und zwar sicher sowohl im Sinne der nachhaltigen ökonomischen Entwicklung wie auch einer nachhaltigen ökologischen Entwicklung. Ich weis, dass die deutsche Bevölkerung mein Urteil hierzu überhaupt nicht teilt. Ich weis, dass es geradezu starke emotionale Gegenkräfte gibt, aber ich bin gewohnt, im Gegenwind zu stehen, und es wäre gut, wenn wir alle ganz ruhig über diesen Sachverhalt nachdenken, ob wir unseren Kindern eine intakte Umwelt und unseren Konkurrenten auch zeigen wollen, dass man mit Energiesparen ökonomisch wirtschaftlich arbeiten kann.

    Remme: Vielen Dank! - Das war der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Ich bedanke mich für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio