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Ich bin Duke

Schreiben ist eine Kulturtechnik, die gesprochenen Worten einen etwas haltbareren Zustand verleiht. Je nach Trägermaterial gilbt die Botschaft in wenigen Wochen dahin, schleppt sich auf Pergamenten über die Jahrhundertschwellen oder überdauert in Stein Jahrtausende. Das ist schön für den Sprecher, aber lästig für die Archivare. Zum Glück galt über den größten Zeitraum der Menschheitsgeschichte hinweg die elitäre Regel, dass Geschriebenes dem Gesprochenen überlegen sein sollte: konziser formuliert, gründlicher durchdacht und - bei Knappheit der Trägermaterialien - auf Wiederholungsschleifen verzichtend. Man stelle sich als Gedankenexperiment nur vor, akustische Aufzeichnungsmedien seien vor der Schrift erfunden worden. Wir säßen in fröhlicher Debilität auf den Bäumen und hörten endlose Audiotapes mit dem Gequatsche unserer Ahnen an. Statt auf Bäumen hocken sie in verräucherten Kellern, die jugendlichen Adepten der Poetry Slams und legen dort ihre Köder für Literaturagenten aus. Von der amerikanischen Uridee, im Underground das vorzutragen, was im kommerziellen Literaturbetrieb keine Chance hätte, entfernte sich die deutsche Variante ziemlich schnell - noch schneller, als seinerzeit der Punk von einer Protestbewegung zum Geschäft verkam. Wer hierzulande etwas werden will, muss auf die Bühne steigen. Zuhören fällt den Talentscouts nämlich leichter als Manuskripteinsendungen zu lesen, doch leider ist das Ohr ein milder Richter, während das Auge die mäandrierende Ziellosigkeit der meisten Poetry-Slam-Produkte unbarmherzig aussondert. Gewiss, auch zu großer Literatur gehören rhythmischen Qualitäten in Satzbau und Sprache, doch Rhythmus alleine macht keine Musik.

Florian Felix Weyh |
    In diese Falle strukturierter Monotonie läuft die Hamburger Poetry-Slam-Orga-nisatorin Tina Uebel mit ihrem ersten Roman "Ich bin Duke". Wo Roman draufsteht, ist dieser Tage meistens kein Roman mehr drin, auch hier handelt es sich um eine abweichende Textsorte. Man könnte sie "Cluster" nennen. In 80 Portionen wird auf 215 Seiten ein einziges Thema durchgespielt: "Mir ist langweilig". Das sagt wechselseitig der Ich-Erzähler zu Duke, den er auf einer Party kennenlernt, oder Duke zum Ich-Erzähler. Diese beiden jungen Männer, über die man wenig mehr erfährt, als dass sie keine dreißig sind - "Entspannen kann ich mich, wenn ich dreißig bin", lautet ein wiederkehrendes Mantra, lungern herum. Ob sie studieren oder nicht, wovon sie leben oder woran sie darben, bleibt unklar. Ihr einziges Problem ist die seelische Unerfülltheit, die endlose Zeit, bis sie endlich ins Erwachsenenleben übertreten dürfen. Welche Bedingung dafür gälten - innere Reife oder die Erlösung von den Angeboten der Jugendkultur - wird nicht erörtert. Aber das ist auch völlig egal, denn dieses Buch exerziert nur stoisch nach, was Max Frisch Anfang der sechziger Jahre in die Literatur eingeführt hat: das Motiv "Ich stelle mir vor." Wie die meisten Remakes ist "Ich bin Duke" von erbärmlicher Einfallsarmut. Jedes der 80 Textcluster variiert eine Möglichkeit, mit der sich die Helden die Zeit vertreiben könnten: Ausflüge in Vorstadtdiscos, Drogenexzesse, nachgespielte Filmszenen, unechte Liebesabenteuer und natürlich auch der in der Popliteratur unumgängliche Amoklauf mit der Pumpgun.

    Ach, wie genössen sie es, würde man sie als "lost generation" bezeichnen, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts geborenen Nachwuchsschreiber. Doch das wäre eine schmeichelhafte Bezeichnung für ihre Anmaßung, nichts mitzuteilen zu haben, es aber dennoch zu tun. Wer im Überangebot des Spätkapitalismus mit seinen Lebensenergien nicht weiterweiß, braucht sie ja nicht noch anderen zu rauben. Nur als Soundtrack, als murmelndes Hintergrundgeräusch für Szenekaufhäuser und Slarnclub-Toiletten käme dieser Text zu sich selbst - für all diejenigen, die Stille nicht ertragen können.