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"Ich bin ein Fan des Elterngeldes"

Die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, hat einen Ausbau der Ganztagskinderbetreuung gefordert. Zudem plädierte sie für eine flexiblere Gestaltung des Elterngeldes. Die sogenannten Vätermonate zur Kleinkinderbetreuung sollen von zwei auf vier Monate ausgeweitet werden, sagte die SPD-Politikerin.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Jochen Spengler | 06.08.2009
    Jochen Spengler: Traue keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast, soll der britische Premierminister Winston Churchill gesagt haben. Jedenfalls kann man sich schnell in der Statistik verheddern, so wie die christdemokratische Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im April dieses Jahres.

    Ursula von der Leyen: "Es werden wieder mehr Kinder geboren. Besonders stark ist die Zunahme in der Altersgruppe der Frauen zwischen 33 und 37 Jahren; und das zeigt, dass das Elterngeld eben auch Türen geöffnet hat, die offensichtlich vorher nicht da gewesen sind."

    Spengler: Nein, das zeigt es leider nicht, denn die Zahlen, die der stolzen Bilanz der Ministerin zugrunde lagen, waren falsch. Es wurden eben in Deutschland nicht mehr, sondern weniger Kinder geboren. Seit Jahren schon kommen nirgendwo in Europa weniger Babys zur Welt als bei uns, dem Elterngeld von Frau von der Leyen zum Trotz.

    Woran liegt das und was kann man dagegen tun? Das wollen wir nun wissen von Manuela Schwesig. Sie ist Sozial- und Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern, Sozialdemokratin und eines der neuen Gesichter in Steinmeiers Kompetenzteam. Guten Morgen, Frau Schwesig.

    Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Haben Sie eine Erklärung, warum Deutschland auf dem letzten Platz der Statistik liegt?

    Schwesig: Die Entscheidung für ein Kind ist natürlich eine ganz persönliche Entscheidung, die auch von vielen persönlichen Fragen, der richtige Partner und, wie steht man selbst zum Kinderwunsch, geprägt ist. Aber es gibt viele, viele auch Hürden immer noch in Deutschland, den Kinderwunsch zu erfüllen, und Deutschland muss dringend viel kinderfreundlicher werden.

    Spengler: Frau von der Leyen ist ja weniger erfolgreich, als viele gehofft haben. Was würden Sie anders machen?

    Schwesig: Die SPD setzt darauf, dass wir uns vor allem erst mal um die Kinder und um die Familien kümmern, die auch da sind. Denn wir wissen, viele Kinder haben heute nicht optimale Bildungschancen. Wir haben viele Kinder, die auch in Kinderarmut leben. Und eh wir uns jeden Tag die Statistik angucken und darauf hoffen, dass endlich mal wieder drei Kinder geboren werden, sollten wir uns doch um die Kinder und die Familien kümmern, die da sind. Denn wenn alle sehen, dass Kinder in Deutschland wirklich willkommen sind, und dass es für Familien viel leichter ist, auch Kinder und Beruf zu vereinbaren, dann ist das auch eine Ermutigung für alle anderen Eltern oder alle anderen werdenden Eltern zu sagen: Ja, mit Kindern lässt es sich in Deutschland sehr gut leben.

    Spengler: Wie würde Deutschland denn kinderfreundlicher?

    Schwesig: Es gibt da viele Bausteine, die wir brauchen für mehr Kinderfreundlichkeit. Das Elterngeld ist nur ein Baustein.

    Spengler: Aber das ist nicht falsch, das Elterngeld?

    Schwesig: Ich bin ein Fan des Elterngeldes. Renate Schmidt hat es ja sozusagen entwickelt und die SPD hat es dann in der Großen Koalition in den Vertrag geschrieben und dann auch durchgesetzt. Es ist richtig, dieses Elterngeld, weil: Es ist eine Hilfe im ersten Jahr, wo sich Eltern um ihre Kinder zu Hause kümmern wollen, wirklich auch finanziell abgesichert zu werden.

    Wir werden in der nächsten Legislaturperiode nach der Bundestagswahl dieses Elterngeld sogar noch viel flexibler gestalten, sodass man noch viel länger zum Beispiel dann Teilzeit arbeiten kann und zusätzlich das Elterngeld bekommt. Und was wir machen wollen, ist, die Partnermonate, die ja im Volksmund als Vätermonate gelten, von zwei Monaten noch auf vier aufzustocken, sodass wirklich da auch noch mal ein Signal an die Eltern geht, ihr könnt flexibler sein. Und wir wollen natürlich auch gerade die Generation der Väter, die auch sich um ihre Kinder kümmern wollen, mehr bestärken, da auch noch eine Auszeit zu nehmen.

    Aber das betrifft ja nur das allererste Jahr des Kindes und natürlich machen sich Eltern Gedanken, wie geht es dann weiter. Und da brauchen wir mehrere Dinge neben diesem Geld. Wir brauchen eine gute Infrastruktur von Kitas und Schulen. Das ist dringend notwendig, denn viele Eltern und vor allem Mütter oder Frauen, die gerne Kinder haben wollen, aber auch arbeiten wollen, sehen insbesondere in Westdeutschland immer noch nicht die Möglichkeit, wie sie beides miteinander vereinbaren wollen.

    Deswegen wollen wir nach der Bundestagswahl den Anspruch auf einen Kitaplatz auch auf einen Ganztagsplatz erweitern. Es nutzt niemandem, wenn man nur einen Anspruch hat von neun bis zwölf; dann ist es auch schwer, Familie und Job zu vereinbaren.

    Spengler: Sind diese Ansprüche, Frau Schwesig, durch die Krise nicht längst überholt? Es gibt Kommunen, die klagen, sie hätten überhaupt kein Geld, das, was man sich bis 2013 vorgenommen hat, dass jeder einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben soll, das durchzusetzen.

    Schwesig: Ich trage selber Regierungsverantwortung in einem Bundesland, was ja allgemein als, sage ich mal, eher ärmer gilt, was die Finanzen angeht. Aber wir setzen hier ganz klare Zeichen für Kinder. Wir investieren wieder weiter, trotz Sparmaßnahmen, in Kitas, in Schulen und bei uns gehen über Dreijährige zu 98 Prozent in die Kitas.

    Ich kann Ihnen nur sagen, ich als Familienministerin würde mich an der Stelle richtig gerade machen, weil: Es kann nicht sein, dass immer als Allererstes bei den Kindern gespart wird, und das spüren die Menschen im Land. Sie brauchen den kostenlosen Bildungsweg von der Kita über die Ganztagsschule bis hin zum Studium, sonst werden wir unseren Kindern nicht die besten Zukunftschancen geben. Und das, das ist das entscheidende Signal an alle Familien, die sich bereits für Kinder entschieden haben, und an alle jungen Paare, die sich vielleicht noch für Kinder entscheiden wollen.

    Spengler: Habe ich Sie richtig verstanden, dass für Sie das entscheidende Signal für mehr Kinderfreundlichkeit in Deutschland ist, die Betreuungssituation dramatisch zu verbessern?

    Schwesig: Ich kann nur sagen, es sind wirklich mehrere Bausteine. Es geht nicht, dass man sagt, ich führe jetzt mal das Elterngeld ein und dann kommen mehr Kinder. Das zu glauben, das entspricht nicht der Lebenswirklichkeit. Wir brauchen wirklich diese finanzielle Unterstützung. Das fängt auch damit an, dass Eltern sich sicher sein müssen, dass sie auch überhaupt von ihrer Arbeit ihre Kinder ernähren können. Das ist in vielen Familien, die für Niedriglöhne arbeiten, überhaupt gar nicht der Fall. Die müssen noch aufstocken lassen. Deswegen sind wir ja auch ganz klar für einen gesetzlichen Mindestlohn.

    Also, die eigene Arbeit muss gut sein und gut bezahlt sein. Wir brauchen einen umfassenden Ausbau der Kitabetreuung und auch gute Schulen. Wir brauchen vor allem auch diesen kostenlosen Bildungsweg.

    Wir brauchen aber auch die Möglichkeit, dass Eltern Zeit für ihre Kinder haben. Insofern sind auch die Arbeitgeber gefragt. Wir brauchen nicht arbeitsfreundliche Familien, sondern wir brauchen familienfreundliche Arbeitsplätze. Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmerrechte weiter beschränkt werden, dass wir Familien hier weiter unter Druck setzen, sondern es müssen wirklich auch in der Arbeitswelt familienfreundliche Arbeitsplätze gegeben werden.

    Nur wenn es insgesamt in Deutschland wieder ein familienfreundliches Klima gibt, das heißt auch, dass Kinder nicht in Restaurants zum Beispiel angeblafft werden, und dass der Chef nicht sagt, oh Gott, sie sind schwanger, sondern schön, dass sie sich für ein Kind entschieden haben und jetzt lassen sie uns mal darüber reden, wie wir ihre Auszeit im Betrieb begleiten und wie es danach weitergeht, das sind doch entscheidende Signale an junge Menschen, wo sie sagen: Okay, Kinder sind in Deutschland willkommen und Kinder sind nicht ein Problem.

    Spengler: Sie haben ja auch einen zweijährigen Sohn. Haben Sie auch schon solche Dinge im Restaurant erlebt, dass Sie angeblafft werden?

    Schwesig: Ja. Natürlich geht man dann gezielter in Restaurants und insbesondere geht das etwa in Italien ganz gut, dass da viele, viele Kinder abends mitgehen in Pizzerien und das überhaupt kein Problem ist. Wir sind zum Beispiel in den Winterurlaub gefahren letztes Jahr mit der Deutschen Bahn, von dem Norden in den Süden, und da gab es wenig Möglichkeiten, wirklich mit Kindern ein bisschen Freiraum zu haben, zu spielen.

    Irgendwie kann da jeder seinen Beitrag leisten, indem man Kindern viel freundlicher gegenübertritt. Ich glaube, wenn Kinder mehr Zeit haben mit ihren Familien, und wenn Kinder freundlich in dieser Gesellschaft aufgenommen werden, dann werden sie das auch definitiv zurückgeben. Aber für mich ist auch entscheidend, dass wir die Kinderarmut bekämpfen, denn es kann nicht sein, dass wir ein Großteil der Kinder in unserer Gesellschaft einfach zurücklassen.

    Spengler: Frau Schwesig, unsere Kinderlosigkeit ist sicher nicht nur materiell begründet; sonst müssten ja in vielen, vielen Ländern, wo es viel weniger Hilfen durch den Staat gibt, etwa in den USA, die Geburtenraten deutlich geringer sein als bei uns. Sie ist aber deutlich höher. Gibt es bei uns so eine spezielle deutsche Angst und Verunsicherung vor dem Kinderkriegen?

    Schwesig: Das ist ja das Entscheidende, dass ich sage, es reicht nicht nur aus, Elterngeld, sondern auch Infrastruktur. Ich habe gestern gerade mit einer jungen Frau aus Stuttgart gesprochen, die beruflich gut eingestiegen ist, die auch noch gerne einige Schritte machen will in ihrem beruflichen Lebensweg, und die aber sagt, ich würde mich jetzt auch gerne für ein Kind entscheiden, aber ich habe gar keine Kinderbetreuung.

    Dass Frauen nicht ständig vor diese Entscheidung gestellt werden, mache ich jetzt Beruf, entscheide ich mich für Familie, sondern dass beides geht, das würde ich mir sehr wünschen. Und dann ist es natürlich so: Insgesamt sollten wir auch wieder mehr darüber reden, welches großes Glück das ist, überhaupt Kinder zu haben. Ich kann das nur persönlich sagen. Die Entscheidung für ein Kind ist die beste Entscheidung im Leben. Es wird immer an irgendeiner Stelle schwierig sein, aber man bekommt so viel zurück, wie es kein anderes Lebensfeld leisten kann.

    Spengler: Das heißt, Sie würden auch nicht ausschließen, noch ein zweites oder ein drittes Kind zu bekommen?

    Schwesig: Ich bin ein Familientyp und insofern für alles offen.

    Spengler: Das meinte ich. Es ist bei vielen das Bewusstsein verloren gegangen, dass es doch in vielen Völkern das Normalste der Welt ist, Kinder großzuziehen, und dass auch nicht immer alles perfekt sein muss, oder?

    Schwesig: Natürlich. Das meinte ich ganz am Anfang. Es ist eine ganz persönliche Entscheidung und insgesamt ist unsere Gesellschaft darauf ausgerichtet, dass sich jeder individuell verwirklichen kann, und natürlich bedeutet die Entscheidung für Familie, die Entscheidung für Kinder, dass man Verantwortung übernimmt. Man bekommt aber unheimlich viel zurück.

    Mir geht es auch so, dass man manchmal zerrieben wird zwischen Job und den Verpflichtungen als Mutter, aber wenn man dann am Abend umarmt wird und den kleinen Kuss auf die Wange bekommt von dem Lütten, ist man wieder sehr glücklich. Trotzdem: Es ist auch notwendig, dass der Staat Hilfestellungen liefert, und da müssen alle mitziehen, der Staat mit Infrastruktur und finanzieller Unterstützung, aber zwingend unbedingt Arbeitgeber, Unternehmer. Jeder muss sich einen Kopf machen, was kann ich dafür tun, dass junge Menschen mit ihrer Familie und Arbeit zusammen klarkommen.

    Spengler: Der "Spiegel" plädiert in dieser Woche für mehr Gelassenheit in der Erziehung, er kritisiert die übergroße Sorge vieler Eltern, und ganz ähnlich aus das "Zeit"-Magazin. Das fordert, Kinder nicht mit überhöhten Ansprüchen verrückt zu machen. Wie schaffen wir es, die fehlende Leichtigkeit wieder herzustellen?

    Schwesig: Ich kann diese Forderung nur unterstützen, will aber gleichzeitig sagen, dass es einfach wieder normal werden muss, zu akzeptieren, dass man sich natürlich auch Sorgen macht und überlegt, wie geht es weiter. Hier haben wir auch Angebote, Familienberatungen, und ich finde es einfach völlig legitim und kann dazu immer nur sagen, dass, wenn man sich Sorgen macht, man diese Angebote auch wahrnimmt, egal, in welcher gesellschaftlichen Stellung man ist.

    Aber insgesamt natürlich - es gibt eine Überflutung von Ratgebern. Es gibt einerseits die Kinder, die irgendwie zurückgelassen werden, aber andererseits gibt es auch viele Kinder, die sicherlich überbehütet sind. Und da den Mittelweg zu finden zu mehr Gelassenheit und Fröhlichkeit mit Kindern, das ist ein großes Ziel.

    Spengler: Rät Manuela Schwesig. Sie ist Sozial- und Gesundheitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern und Sozialdemokratin im Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Steinmeier. Frau Schwesig, danke für das Gespräch.

    Schwesig: Ich danke Ihnen.