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"Ich bin für einen Fragebogen"

In Baden-Württemberg werden seit Jahresbeginn Menschen muslimischen Glaubens, die in die Bundesrepublik eingebürgert werden wollen, mithilfe eines umstrittenen Fragebogens auf ihre Einstellung zur Verfassung hin überprüft. Der Justizminister von Baden-Württemberg, Ulrich Goll (FDP), sprach sich für diese Überprüfung aus. Gleichwohl müssten die umstrittenen Fragen herausgenommen werden, "die das ganze Unternehmen doch in ein merkwürdiges Licht rücken."

Moderation: Jochen Spengler | 06.01.2006
    Jochen Spengler: In Baden-Württemberg werden seit Jahresbeginn Menschen muslimischen Glaubens, die in die Bundesrepublik eingebürgert werden wollen, mithilfe eines umstrittenen Fragebogens auf ihre Einstellung zur Verfassung hin überprüft. Gefragt wird unter anderem nach der Einstellung zur Homosexualität. Gegen diesen Gesinnungstest gibt es massive Proteste, nicht nur vom Zentralrat der Muslime in Deutschland. Doch das Stuttgarter Innenministerium will daran festhalten.
    Und am Telefon begrüße ich nun den Justizminister des Landes Baden-Württemberg, den FDP-Politiker Ulrich Goll. Ihren Landesparteitag haben Sie gestern und vorgestern hinter sich gebracht, heute trifft sich die Bundes-FDP in Stuttgart zu ihrem traditionellen Dreikönigstreffen, dem einhundertvierzigsten - darüber wollen wir gleich sprechen. Gestatten Sie vorher einige Fragen, die ich dem Gesprächsleitfaden entnehme, den - wir haben es eben gehört - die Einbürgerungsbehörden gegenüber einbürgerungswilligen Muslimen anwenden. Es ist die Frage Nummer 29, die lautet, ich zitiere: "Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?", Zitatende. Frage an Sie, Herr Goll, muss man da jetzt als vorbildlicher Deutscher sagen: Ich finde das super, dass mein Sohn homosexuell ist? Und verwirkt man den Einbürgerungsanspruch, wenn man sich nicht begeistert zeigt? Oder wie ist das zu verstehen?

    Ulrich Goll: Die Frage ist natürlich problematisch. Und ich erkenne nicht genau den Sinn oder den Zusammenhang mit dem, was man erreichen möchte. Was man erreichen möchte, halte ich allerdings für richtig, nämlich dass man in bestimmten Fällen, in denen man den Eindruck hat, dass ein Einbürgerungsbewerber oder -bewerberin sozusagen auf Kriegsfuß steht mit den Vorstellungen unserer Verfassung, dass man da nachfragt und sozusagen ein bisschen auf den Zahn fühlt. Diese Frage scheint mir allerdings dazu nicht geeignet zu sein.

    Spengler: Darf ich eine andere Frage vorlesen? Frage 18, die richtet sich an Bewerberinnen. Die heißt: "Ihre Tochter möchte sich gerne so kleiden wie andere deutsche Mädchen, aber Ihr Mann ist dagegen. Was tun Sie?" Darf ich Sie fragen: Was geht das den Staat an?

    Goll: Das ist schon richtig. Wobei diese Frage, die hätte ich nicht restlos verworfen. Man muss überlegen, es geht darum: Wir wollen Menschen einbürgern, aber wir wollen eben auch, dass die Menschen, die wir einbürgern, auf dem Boden unserer Verfassung sich bewegen und mit ihr auch innerlich ausreichend in Einklang sind. Jetzt kann ich hingehen und fragen: Stehen Sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Da bekomme ich die schlichte Antwort: Ja. Jetzt hat man einen Fragebogen gemacht, dass man da ein bisschen den Hintergrund ausleuchtet. Da finde ich die Frage jetzt nach der Bekleidung oder den Umgang in der Familie, die finde ich nicht ganz entlegen, um zu einer Illustration zu kommen, wie sozusagen da die Einstellung ist. Das betrifft ja auch letzten Endes die Rolle der Frau, die Rolle der Mädchen. ...

    Spengler: Aber erinnert Sie das nicht insgesamt an die unsinnigen Fragen zum Beispiel, die wir kennen aus der Gesinnungsprüfung von Kriegsdienstverweigerern?

    Goll: Ich muss gestehen: Es erinnert schon daran. Insofern sieht man, dass die Aufgabe natürlich auch nicht einfach ist. Der Ansatz ist richtig, nachzufragen. Aber wie, da muss man sagen, da ist dieser Fragebogen noch nicht ganz geglückt.

    Spengler: Jetzt ist ein anderes Problem dieses Gesprächsleitfadens - das ist es ja -, dass er speziell für Einwanderer aus 57 Staaten gedacht ist, die zur Islamischen Konferenz gehören. Wer Moslem ist, steht damit unter einer Art Generalverdacht. Da sagt Ihre Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dass eine solche Diskriminierung wegen der Religionszugehörigkeit selbst schon gegen die Verfassung verstößt.

    Goll: Gut. Ob man so weit gehen muss, ist noch die Frage. Dass man sagen muss, es ist gleich verfassungswidrig. Aber eines ist klar - und da bin ich auch in völligem Einklang natürlich mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn wir den Fragebogen so konzipieren oder so handhaben, dass nur eine einzelne Gruppe letztlich befragt wird, dann erreichen wir natürlich eher Ausgrenzung und erreichen eher das Gegenteil von Integration, weil wir dort natürlich Abschottung dann heraufbeschwören. Und insofern würde ich gerade im Sinne des Unternehmens und seines Erfolgs sehr dafür plädieren, dass man einen Fragebogen einsetzt, der für alle da ist. Zumindest in solchen Fällen, wo ich irgendeinen Anlass habe, weiter nachzufragen.

    Spengler: Das heißt, Sie sind für einen Fragebogen, aber für einen entschärften und den dann auch für alle Bewerber?

    Goll: Ich bin für einen Fragebogen, aber er sollte ohne Frage für alle Bewerber gelten, wenn ein Anlass besteht - man muss ja nicht immer nachfragen. Aber es muss klar sein, wenn ein Anlass besteht, nachzufragen, wenn die Behörde den Eindruck hat, dass da der Betreffende vielleicht doch mit unserer Verfassung ein bisschen auf Kriegsfuß steht, muss nachgefragt werden. Aber selbstverständlich bei allen, nicht abgegrenzt auf irgendwelche Staaten. Und ich würde dringend empfehlen, den Fragekatalog noch einmal zu überarbeiten und drei, vier Fragen rauszunehmen, die das ganze Unternehmen doch in ein merkwürdiges Licht rücken.

    Spengler: Sie als baden-württembergischer liberaler Justizminister, wie wollen Sie das durchsetzen gegenüber dem CDU-Innenminister?

    Goll: Als Justizminister kann ich es ganz sicher nicht durchsetzen. Es ist eine Ressortangelegenheit des Innenministeriums. Ich bin allerdings gleichzeitig ja Ausländerbeauftragter der Landesregierung und insofern werde ich natürlich mit dem Kollegen Rech so früh wie möglich, jetzt nach dem Dreikönigstag, auch unmittelbar persönlich Kontakt noch einmal aufnehmen - es gibt einen sehr guten Kontakt - und werde auf diese, meines Erachtens doch einleuchtende Punkte noch einmal hinweisen, in der Hoffnung, dass eine Überarbeitung erfolgt.

    Spengler: Ein Anlass für eine Regierungskrise wäre das nicht?

    Goll: Das ist ganz sicher kein Anlass für eine Regierungskrise, weil wir uns von den grundsätzlichen Zielen ja völlig einig sind. Wir wollen nicht beispielsweise Islamisten einbürgern. Wir wollen - ich sage es mal ganz offen -, wir wollen auch nicht an der Nase herumgeführt werden oder die Katze im Sack zu kaufen. Wir sind dafür, dass wir ausländische Mitbürger einbürgern, aber - wie gesagt - sie sollten sich zu unserer Verfassung bekennen. Und wenn dieser Versuch, nun nachzufragen und das genauer festzustellen, wenn der noch nicht ganz geglückt ist, dann löst das bestimmt keine Regierungskrise aus.

    Spengler: Etwas mehr Druck in Richtung Regierungskrise von Ihrer Seite, wäre das - im Hinblick auf die bevorstehende Wahl im März, auch im Hinblick auf die Profilierung als liberaler Politiker - nicht sinnvoll?

    Goll: Ich muss schon noch mal betonen: Es geht um die Art und Weise der Durchführung, es geht nicht um das grundsätzliche Unternehmen. Und deswegen muss man sagen: So hoch würde ich es nicht hängen, dass es eine Koalitionskrise auslöst. Ich glaube, das lässt sich besprechen unter Koalitionspartnern.

    Spengler: Kommen wir auf das Dreikönigstreffen heute: Da stehen die kommenden Landtagswahlen, die ich kurz angesprochen habe, im Mittelpunkt. Die FDP will also die Koalition mit der CDU in Stuttgart fortsetzen, aber mehr als die letzten 8,1 Prozent Wählerstimmen erhalten. Dass es jetzt in Berlin eine große Koalition gibt, nützt Ihnen das als FDP oder schadet Ihnen das?

    Goll: Ich sage natürlich: Es schadet zunächst mal der Republik. Wir haben gekämpft für eine Koalition in Berlin, die so aussieht wie die in Stuttgart - und von deren Erfolg bin ich überzeugt, die arbeitet gut zusammen. Rein strategisch oder taktisch betrachtet ist für uns natürlich eine große Koalition eher gut, weil sich dann eine etwas kleinere Oppositionspartei besser abgrenzen kann, besser wahrnehmbar wird. Zumal es übrigens auch so ist, dass große Koalitionen - salopp gesprochen - es ja noch nie gerissen haben. Die haben sich immer durch eine gewisse Unbeweglichkeit hervorgetan. Oder dadurch, dass Dinge zerredet werden - wie es ja jetzt auch schon wieder beginnt. Insofern sind das gute Zeiten natürlich für eine liberale Opposition.

    Spengler: Ist es denn nicht schwierig für die FDP, einerseits gegen CDU/SPD-Koalition im Bund zu argumentieren, dann aber als FDP in Baden-Württemberg mit einem Teil der großen Koalition, mit der Union, zu koalieren und in Rheinland-Pfalz mit der SPD?

    Goll: Wir koalieren mit dem Partner, mit dem wir unser Programm am besten umsetzen können. Das ist aufs große Ganze in der Bundesrepublik gesehen die CDU, ohne Zweifel. Deswegen war eine solche Koalition ja auch ohne jeden Zweifel angestrebt im Bund. Im Land stellen wir eben fest, dass die paar notwendigen Reformen, die ja überschaubar sind, aber eben auch unabweisbar, dass die am ehesten mit der CDU zu verwirklichen sind. Ich sehe eine Sondersituation eher in Rheinland-Pfalz. Rheinland-Pfalz, da ist die SPD geprägt durch einen sehr populären Ministerpräsidenten. Kurt Beck, der müsste nicht unbedingt nur in der SPD sein, um es mal so auszudrücken. Und die CDU steht eben dort auch in Jahren sehr schwach da, so dass sie als Koalitionspartner rechnerisch kaum in Betracht kommt.

    Spengler: Wofür steht die FDP in Baden-Württemberg? Dafür, dass das Land am Ende keine Mehrwertsteuererhöhung im Bundesrat passieren lassen wird?

    Goll: Wir stehen in der Tat in der FDP für Steuersysteme, die einfach und gerecht sind. Und es wurde noch - von unabhängigen Beobachtern - eine Woche vor der Bundestagswahl gerade unserem Modell attestiert, dass es durchgerechnet, realistisch ist und dass es vor allen Dingen den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen etwas bringt. Wir lehnen von daher natürlich Modelle ab, bei denen man einfach weitermacht wie bisher, nämlich den Menschen in die Tasche fassen, die Menschen belasten, ohne dass man ihnen in dem Sinne einer Reform etwas wiedergibt. Und deswegen waren wir gegen die isolierte Mehrwertsteuererhöhung und sind es immer noch.

    Spengler: Das heißt, Sie werden bei einer schwarz-gelben Koalition in Baden-Württemberg dann in einigen Monaten dagegen stimmen?

    Goll: Wir werden uns enthalten, weil es für diesen Fall eine Koalitionsklausel gibt. Die CDU hier sieht sich in der Pflicht gegenüber der Berliner Koalition, dieser Mehrwertsteuererhöhung zuzustimmen, obwohl der baden-württembergische Mittelstand aus guten Gründen natürlich vorträgt, dass es Gift ist für unsere Wirtschaft. Für uns ist ganz klar: Wir würden gerne ablehnen. Und für den Fall, dass einer gern zustimmen möchte und der andere ablehnen möchte, gibt es bei uns die Koalitionsklausel: Dann muss man sich enthalten. Mit der Folge natürlich, dass die Stimme fehlt. Das ist wie eine Ablehnung.

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