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"Ich bin gegen eine Verschärfung der Sanktionen gegen Iran"

Das Atomwaffenprogramm vereint die Menschen im Iran nicht, sagt Shirin Ebadi, iranische Friedensnobelpreisträgerin aus dem Jahr 2003. Sie gilt als Stimme der Opposition und fordert die westlichen Länder auf, sich nicht nur mit ihrer eigenen Sicherheitslage gegenüber dem Iran zu beschäftigen, sondern der Bevölkerung zu helfen.

Shirin Ebadi im Gespräch mit Christian Schütte |
    Das Gespräch mit Shirin Ebadi wurde simultan übersetzt.

    Shirin Ebadi: Es ist wahr, dass die Gewalttaten sehr groß und breit waren, aber es heißt nicht unbedingt, dass der Widerstand aufgehört hat, sondern nur die Form des Widerstands hat sich geändert und ich werde das erklären. Die Formen sind ... Folgendes ist zum Beispiel... Die Menschen rufen ab 22 Uhr nachts "Allah o akbar" - "Allah ist groß" - als Zeichen des Protests aus den Fenstern und aus den Dächern. Und die andere Form zum Beispiel ist es: Es hat sich ein Komitee von Trauermüttern gegründet, die ihre Kinder verloren haben oder deren Kinder verschwunden sind und sie sitzen in Parks, in einem Park der Hauptstadt, jeden Samstag um 19 Uhr und so organisieren sie einen Sitzstreik, sehr friedlich.

    Christian Schütte: Reicht denn diese neue Form des Protestes dazu aus, um Neuwahlen herbeizuzwingen?

    Ebadi: Angesichts der groß und breiten Brutalität, die das Regime anwendet gegen die Menschen, um weitere Opfer zu verhindern unter den Menschen, ich denke, das genügt erst mal als Ausmaß von Protest.

    Schütte: Was will die Protestbewegung denn konkret erreichen?

    Ebadi: Diese Protestbewegung hat ein Ziel, und das ist, die Demokratie in Iran durchzuführen.

    Schütte: Frau Ebadi, Sie werden die Stimme der Opposition genannt - im Besonderen, wie würden Sie Ihre Einflussmöglichkeiten im Iran einschätzen?

    Ebadi: Die beste Möglichkeit, die ich habe, sind die Medien. Der Nobelpreis hat mir die Möglichkeit gegeben, damit ich eine Öffentlichkeitsarbeit international durchführen kann, um den Menschen in der Welt zu zeigen und sagen, wie brutal das Regime gegen die friedlichen Menschen vorgeht.

    Schütte: Sie haben von der Notwendigkeit zur Demokratisierung im Iran gesprochen. Kann das aus dem Iran selbst heraus, aus der Oppositionsbewegung heraus selbst entstehen, oder braucht es die Hilfe des Auslands?

    Ebadi: Es ist selbstverständlich, dass jede Demokratie in jedem Land aus dem Volke heraus sich bilden muss, realisieren muss, aber was wir vom Ausland erwarten, ist, dass die Medien, die Öffentlichkeit soll informiert werden, wie das Regime, dies diktatorische Regime, gegen ihr eigenen Volk vorgehen und diese niederschlagen.

    Schütte: Man hat, von außen betrachtet, manchmal den Eindruck, dass der Konflikt, den die iranische Führung mit den ausländischen Staaten derzeit hat, was das Atomprogramm Irans betrifft, dass das die Menschen im Iran vereint. Ist das ein richtiger Eindruck?

    Ebadi: Nein, das ist keinesfalls richtig. Was für die Menschen im Iran wichtig ist, ist, dass sie leiden unter Arbeitslosigkeit, sie leiden unter hoher Inflationsrate, sie leiden unter mangelnder oder überhaupt nicht vorhandener Freiheiten, dass sie immer mehr unter Druck gesetzt würde. Das sind die Probleme, die Menschen Sorgen macht und dagegen protestieren.

    Schütte: Die G8-Staaten haben den Iran sehr stark kritisiert wegen des Atomprogramms. Sehen Sie, Frau Ebadi, eine Chance für eine diplomatische Lösung?

    Ebadi: Ich hoffe sehr, dass die iranische Regierung mit Urananreicherung aufhört, so dass die Sicherheitsrat der Vereinigten Nationen das gefordert hat, aber ich hoffe auch sehr, dass die westlichen Länder bei ihrer Verhandlungen mit den iranischen Behörden und Führung, wenn sie zu einem Kompromiss kommen, sie sollen nicht nur die Interesse, was Atomkonflikt anbetrifft, infrage stellen und diskutieren, sondern auch eine Verbindung herstellen zwischen mangelnde Menschenrechte im Iran, dass die Unterdrückung der Menschen dort aufhört und Meinungsfreiheiten und fundamentale Menschenrechte im Iran berücksichtigt wird.

    Schütte: Haben die westlichen Staaten derzeit die richtige Ansprache, die richtige Strategie gegenüber Teheran?

    Ebadi: Das ist leider seit längerer Zeit so, dass die westlichen Länder nur über ihre eigene Sicherheitslage mit Iran diskutiert, was Atomkonflikt anbetrifft, das, was sie vermisst haben in diesem Verhandlungen war die Menschenrechte im Iran, die Demokratiebewegung im Iran, und das führt dazu, dass die Menschen im Iran noch mehr unterdrückt werden.

    Schütte: Wie können die westlichen Staaten, wie können die Vereinten Nationen helfen?

    Ebadi: Zunächst möchte ich die Vereinigten Nationen, verlange ich eigentlich, habe ich die Erwartung, dass sie eine unabhängige Delegation in den Iran schicken, um diese ganze Brutalität gegen das Volk zu untersuchen. Und außerdem appelliere ich an die westlichen Ländern, dass sie noch mehr iranische Führung unter Druck setzen, um Menschenrechte mehr zu achten. Ansonsten, wenn das Regime in Teheran hier sein Verhalten nicht ändert und nicht einlenkt, dann sollte man die diplomatische Beziehungen von Botschafterebene auf Konsularebene absenken. Ich verlange nicht, dass die diplomatische Beziehung ausgeschlossen werden, sondern diese nur reduzieren.

    Schütte: US-Präsident Obama dagegen versucht offensichtlich, einen Wandel in die Beziehungen zum Iran, also diplomatische Annäherung. Ist das dann aus Ihrer Sicht eine falsche Strategie?

    Ebadi: Es ist ja selbstverständlich, dass Iran amerikanische, US-amerikanische Beziehungen nicht auf ewig auf eine feindliche Linie laufen sollte, aber nur wenn eine Annäherung stattfinden sollte, dann sollte man auch nicht nur die Atomkonflikt infrage stellen und zur Diskussion stellen, sondern auch das Regime soll sich seine Verhalten gegenüber den Menschen und was Menschenrechte und Demokratie anbetrifft, korrigieren.

    Schütte: Mehr Druck auf die Führung im Iran - besteht nicht die Gefahr, dass die Zivilbevölkerung dann noch mehr leidet?

    Ebadi: Ich bin gegen Sanktionen und Verschärfung der Sanktionen gegen Iran, aber was ich fordere ist, dass man die diplomatischen Beziehungen, wie ich gesagt habe, zu reduzieren.