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"Ich bin immer optimistisch"

Das Welterbe-Komitee der UNESCO hat den deutschen Teil des römischen Grenzwalls zum Welterbe erklärt. Vorerst auf der so genannten Roten Liste bleibt der Kölner Dom. Es sei nun darauf zu warten, wie Köln auf die UNESCO-Forderungen reagiere, erklärte Hermann Schäfer von der deutschen UNESCO-Kommission.

    Köhler: Das Welterbe-Komitee der UNESCO hat den obergermanisch-rätischen Grenzwall Limes, der das Römische vom germanischen Reich trennte, in die Liste des Welterbes aufgenommen. Der Antrag zur Aufnahme von Schloss und Altstadt Heidelberg wurde unterdessen vertagt. Vorerst auf der nicht gerade erstrebenswerten "Roten Liste" für gefährdetes Welterbe bleibt der Kölner Dom. Es wäre wohl eine nationale Schande, wenn ausgerechnet der Kölner Dom als Erstes den Status des Welterbes aberkannt bekäme. Die Entscheidung darüber aber ist für ein weiteres Jahr verschoben. Mit Professor Hermann Schäfer, Direktor des Bonner Hauses der Geschichte der Bundesrepublik habe ich in seiner Eigenschaft als Vizepräsident der deutschen UNESCO-Kommission gesprochen über das Problem einerseits das Erbe zu schützen, andererseits dadurch weitere Entwicklungen ja zu beeinträchtigen, zu verhindern.

    Schäfer: Das Problem muss jeder sehen, der sich mit Denkmälern beschäftigt. Es gibt ja auch den Spruch der Archäologen: Das beste Bodendenkmal sei jenes, das noch nicht entdeckt worden ist, weil vielleicht in der Zukunft bessere Methoden der Konservierung existieren. Und dieses widerspricht natürlich der Neugier der Menschen, dem Interesse der Historiker. Und das eine ist, dass wir es sehen wollen, dass wir es schützen müssen und weiterentwickeln wollen. Und interessanterweise ist eben auch hier der Gegensatz zwischen den verschiedenen Denkmälern, die zurzeit in Deutschland diskutiert werden - ob das nun der Kölner Dom ist, der Limes oder die Altstadt in Heidelberg: die Altstadt von Heidelberg ist entwickelt, der Kölner Dom steht, der Limes muss im Grunde genommen noch an vielen Teilen wieder entdeckt werden, ausgegraben werden und der Öffentlichkeit besser präsentiert werden. Insofern sind das drei sehr unterschiedliche Denkmäler, die ganz verschiedene Herausforderungen an diejenigen stellen, die die Verantwortung für die Denkmäler haben.

    Köhler: Ich wage mal eine These, Herr Schäfer: Hätte es die UNESCO im 13. oder 14. Jahrhundert gegeben, der Kölner Dom wäre vielleicht gar nicht erst gebaut worden, weil er die Sicht auf eine altrömische Grabanlage vielleicht verstellt hätte. Damit will ich sagen: Könnte es denn sein, dass dieses schützenswerte Programm, das sich die UNESCO auferlegt hat, nicht immer zum Besten bestellt ist? Wenn jetzt zum Beispiel der hessische Denkmalpfleger sagen kann: Ne, Baugebiete, die lassen wir mal schön sein, denn da laufen so ein paar Steinmauern entlang, die zum Limes gehören.

    Schäfer: Das ist eine interessante These und auch eine wirklich nachdenkenswerte Vision. Allerdings muss man sagen, der Kölner Dom war im 13. Jahrhundert im Bau, er war noch nicht fertig. Damals frühere Überreste zu retten und unter Denkmalschutz zu stellen; hätte Überreste der Geschichte bewahren helfen, die heute nicht mehr wiederherstellbar sind. Insofern ist das eine bemerkenswerte Vision. Auf der anderen Seite muss man tatsächlich wahrnehmen, dass ein großes Interesse, großer Ehrgeiz geradezu bei vielen Kommunen und Landeseinrichtungen vorhanden ist, Denkmäler unter UNESCO-Erbe zu stellen, weil damit ein hoher Imagegewinn verbunden ist. Und weil dann darüber hinaus touristische Möglichkeiten erschlossen werden und auf diese Art und Weise insgesamt wir unseres historischen Erbes bewusster werden und an kulturellem Reichtum gewinnen.

    Köhler: Böse Zungen würden jetzt sagen: Ja, das ist eine Art touristisches Markenemblem geworden, und darin unterscheidet das sich nicht sehr vom Signet, die vielleicht auch die Romantik-Hotels haben, an besonders herausgehobener Stelle, ganz besonders sorgsam mit dem Alten umzugehen.

    Schäfer: Gegen das eine ist nichts zu sagen, gegen das andere auch nicht. Ich meine, Romantik-Hotels, wer sie mag, wird sie besuchen, wunderbar. Wer das UNESCO-Erbe und dieses UNESCO-Label sozusagen auch negativ beleuchtet, dem muss man sagen: Wie kommt es dann, dass so viele Städte und Länder so gerne wollen, dass bestimmte Denkmäler in ihrem Bereich unter UNESCO-Schutz und in dieses Erbe hineingestellt werden? Eine der wesentlichen Gründe dafür ist ganz einfach, die UNESCO mit dem Weltkulturerbe hat einen ganz exzeptionellen positiven Ruf und dieser positive Ruf strahlt ab auf das Image einer Stadt und auf das Image eines Landes. Also, der ist allein positiv.

    Köhler: Wir haben die Entwicklung, dass ja nicht nur Natur- und Bodendenkmäler oder Industriedenkmäler geschützt werden sollen, sondern auch so genannte nichtmaterielle Güter, also Sprachen, Erzählungen, Tänze oder Ähnliches. Mir stellt sich dabei ein theoretisches und praktisches Problem. Ganz einfach gesagt: Was ist schützenswert und was nicht? Und dann, wie sichert man es und kann man Sanktionsrechte verhängen?

    Schäfer: Bezüglich dieses nichtmateriellen Erbes, da sind wir in Deutschland erst am Anfang der Denkphase. Das ist ein relativ neues Programm der UNESCO, das in anderen Ländern bereits stärker in Anspruch genommen worden ist. In Deutschland werden die entsprechenden Komitees erst aufgebaut, es hat erste Gespräche darüber gegeben. Und die Kriterien müssen noch besprochen beziehungsweise sozusagen internalisiert werden. Es gibt aber Überlegungen, in diesem Bereich nicht nur mit Historikern, sondern auch mit Volkskundlern zu sprechen und dieses ganz interdisziplinär anzusetzen. Ganz schwierige Fragen, die Sie ansprechen, wie man dieses dann schützt und zugleich all diesem nichtmateriellen Erbe auch die Möglichkeit der Weiterentwicklung gibt. Wir haben ein vergleichbares Programm, das ist das Programm "Memory of the World". Das ist etwas konkreter, und da haben wir in Deutschland schon mehr Erfahrungen.

    Köhler: Da ist Goethe, Gutenberg und Beethoven drin, nicht?

    Schäfer: Richtig, unter anderem. Aber auch Fritz Lang, der Film "Metropolis". Und da gibt es weitere Überlegungen zu sehr unterschiedlichen "Memories of the World", Dingen die sowohl in Deutschland ganz exzeptionelle Bedeutung haben, aber auch für Deutschland weltweit einen bestimmten Imagefaktor darstellen. Hier sind wichtige Auflagen gemacht worden, nämlich die, dass die Institutionen, die dieses Erbe verwalten, dieses Erbe auch zugänglich machen müssen - nicht nur im Internet, sondern es auch mit einem hohen Standard bewahren müssen. Auch da wird die Unesco darauf achten, dass diese Standards eingehalten werden.

    Köhler: Herr Schäfer, Sie sind Präsident des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und damit von Berufs wegen sammeln Sie ja das - ich nenne es mal so - erfolgreich Veraltete. Das Museum lebt von einem kleinen Paradox, dass es die Dinge ja dem lebendigen Zusammenhang entziehen muss, damit sie überdauern können, damit sie sozusagen gerettet werden. Sie sind aber tot oder bekommen ein anderes Leben im Museum, ein zweites oder drittes Leben. Wie kann man dafür sorgen, dass uns diese Dinge auch wirklich lebendig bleiben und dass wir nicht vor toten Fassaden stehen, nur weil da ein blau-weißes Emblem der Unesco dran ist, das sagt: Das ist jetzt irgendwie schützenswert?

    Schäfer: Also es ist unsere Devise, nichts aus dem alltäglichen Gebrauch herauszunehmen und zu musealisieren. Die Dinge müssen also schon außer Gebrauch genommen werden. Was nicht bedeutet, dass wir uns nicht schon während der Zeit des Gebrauchs von potenziell musealen Gütern darüber Gedanken machen, wann wir sie denn in unsere Sammlungen und dann eventuell für Ausstellungen übernehmen wollen. Dieses ist immer ein Spannungsfeld. Ich bin froh über alles, was im täglichen Gebrauch ist und noch nicht ins Museum kommt. Wir sind nicht diejenigen, die musealisieren, sondern das ist ein historischer Prozess, an dem ganz viele beteiligt sind und der allerdings in unserer musealisierten und historisch bewusst denkenden Gesellschaft viel intensiver stattfindet als vor 20 oder gar vor 100 Jahren. Insofern hat da auch der Musealisierungstrend, die Zunahme von Museen weltweit, eine wichtige Ursache.

    Köhler: Ein Letztes: Die UNESCO wacht sehr sorgsam darüber, sagen Sie. Wie schätzen Sie die Warnung ein, dass jetzt die Stadt Köln noch einmal eine Schonfrist bekommen hat, damit nicht am Ende wirklich ausgerechnet der Kölner Dom als erstes Objekt den Welterbestatus aberkannt bekommt?

    Schäfer: Das wäre schon außerordentlich bedauerlich, wenn der Welterbestatus aberkannt würde. Ich bin optimistisch - aber ich bin immer optimistisch. Nur muss man eben darauf warten, wie Köln auf die Forderungen der UNESCO reagiert. Ich bin auch gegen vorschnelle Entscheidungen. Insofern ist das sicher glücklich, dass man zunächst weiter nachdenken kann in Köln über diese Entwicklung. Und es ist ja so, dass dieses erst ein Jahr diskutiert wird. Das sind internationale Gremien, die auch in ihrer Komplexität international sich nicht alle paar Wochen treffen können. Und da haben die Kölner jetzt ein Jahr die Chance, die UNESCO davon zu überzeugen, dass sie mit dem Welterbe so umgehen, wie es dieses verdient hat und dann die Bebauungspläne entsprechend noch mal zu ändern. All dies hätte man verhindern können, wenn Köln längerfristig, früher auf die Forderungen der UNESCO reagiert hätte.