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"Ich bin jedenfalls beim Bahnfahren noch nie gescannt worden"

Nach den Terroranschlägen auf Bus und Bahn in London und Madrid steigen Passagiere bis heute ungehindert und ohne Kontrolle ein. Nach dem jüngsten Anschlagsversuch auf eine US-Linienmaschine sollen die Sicherheitsvorschriften dagegen weiter verschärft werden - ein sinnloses Unterfangen?

    Silvia Engels: Am ersten Weihnachtsfeiertag hat ein 23-jähriger Nigerianer versucht, sich an Bord eines US-amerikanischen Passagierflugzeugs in die Luft zu sprengen. Zum Glück zündete der Sprengstoff nicht richtig, zum Glück wurde er überwältigt, die Maschine landete sicher. Rund um die terroristischen Motive wird ermittelt, doch die Sicherheitsbehörden weltweit rätseln, wie der Mann überhaupt den Sprengstoff an Bord bringen konnte. – Am Telefon ist nun Jörg Handwerg, er ist Pilot und Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit. Guten Morgen, Herr Handwerg.

    Jörg Handwerg: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Hätten Sie sich vorstellen können, dass es einem Passagier noch möglich ist, Sprengstoff durch die Kontrollen eines Flughafens zu schmuggeln?

    Handwerg: So traurig wie das ist, das kann ich mir schon vorstellen, weil eben Kontrollen durch Menschen gemacht werden und Menschen machen Fehler. Das ist überall so. Hundertprozentige Sicherheit wird es niemals geben.

    Engels: Jetzt ist es ja so, dass die ersten überlegen, ob die Kontrollen wieder verschärft werden müssen. Bringt das etwas?

    Handwerg: Es kann was bringen, wenn die Maßnahme effektiv ist und nicht nur dazu dient, die gefühlte Sicherheit zu erhöhen, sondern wirklich die Sicherheitskette zu verstärken. Aber hier muss man bei den Kettengliedern ansetzen, die am schwächsten sind, und nicht noch stärkere und dickere einbauen, denn die Kette reißt an der schwächsten Stelle und nicht, sage ich mal, bei den Maßnahmen, die angedacht sind. An den Stellen, wo sie angedacht sind, an Bord, ist es zu spät. Sicherheit muss am Boden gewährleistet sein. Wenn ein Attentäter bereits an Bord ist mit dem festen Willen und auch dem Material, wenn er das an Bord zur Verfügung hat, dann ist an Bord nur noch sehr wenig zu machen.

    Engels: Herr Handwerg, welches ist denn das schwächste Glied der Kette? Sind das die zu geringen Personalbereitstellungen?

    Handwerg: Das ist natürlich pauschal schwer zu sagen, aber offensichtlich gelingt es ja immer wieder Tätern, mit diversen Materialien – sei es der Schuhbomber damals oder jetzt im jüngsten Fall dieser nigerianische Täter – an Bord zu kommen, was gefährlich sein kann, und hier muss man sicherlich ansetzen, sich fragen, warum ist das so, was kann man hier verbessern. Wir halten allerdings sehr wenig davon, dass man populistische Maßnahmen wie das Verbot von Flüssigkeit weiter vorantreibt, denn das bringt sehr wenig an Zugewinn und die Belästigung der Passagiere wird natürlich immer größer. Die Maßnahmen, wie sie jetzt in Amerika angedacht sind, dass man nicht mehr aufstehen darf eine Stunde vor Flugende und dass man die Flugroute nicht mehr sehen darf et cetera, das wird sicherlich quasi nichts zur Sicherheit beitragen, aber sehr stark die Passagiere einschränken, und das begrüßen wir natürlich gar nicht.

    Engels: Sie haben eben von einer Art gefühlten Sicherheit gesprochen. Gibt es Sicherheitsmaßnahmen, die auch nur dargestellt werden, um dem Passagier das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, die aber gar nichts bringen?

    Handwerg: Dieses Verbot von Flüssigkeiten an Bord, das ist in der jetzigen Form natürlich schon sehr fragwürdig. Wenn ich durch die Sicherheitskontrolle gehen will und bekomme meine Zahnpasta abgenommen, oder auch mein Wasser mit den Beschränkungen, dass es nur unter 100 Milliliter sein darf und ich habe 125 in der Zahnpastatube grundsätzlich drin, die ist zwar schon halb leer, wird aber trotzdem weggeschmissen, ich gehe durch die Kontrolle und hintendran kann ich mir im Duty Free Shop Rasierklingen kaufen, dann fragt man sich schon, ob hier wirklich ein Sicherheitskonzept vorliegt, oder ob hier nur populistische Einzelmaßnahmen ergriffen werden.

    Engels: Herr Handwerg, Sie selbst haben eben gesagt, an Bord ist es zu spät, die Kontrollen müssen vorher greifen. Gibt es denn irgendeine Maßnahme, die man gesetzlich noch einführen muss? Politiker und Opposition sagen ja überraschenderweise übereinstimmend, die bestehenden Regelungen sind scharf genug.

    Handwerg: Das sehen wir genauso. Die bestehenden Regeln sind scharf genug, sie müssen nur auch effektiv angewandt werden und hierzu ist sicherlich eine bessere Schulung des Personals zu überlegen, die diese Kontrollen durchführen. Ansonsten muss man halt genauer schauen, wen man hier an Bord lässt, und vielleicht besser differenzieren. Wenn man schon Warnhinweise über auffällige Passagiere hat, dann sollte man sich diese auch rausgreifen und nicht diese genauso kontrollieren wie den unbescholtenen Bürger, der einmal im Jahr in seinen Urlaub fliegt und der noch nie auffällig war.

    Engels: Was raten Sie Menschen, die nun in ihren Jahresendurlaub fliegen wollen, mit Blick auf die Sicherheitskontrollen?

    Handwerg: Ich rate ihnen, ganz normal und ohne sich großartig Gedanken zu machen auf diesen Flug zu gehen, denn letzten Endes sind sie nirgends vor Anschlägen gefeit. Wir hatten Anschläge auf Züge in Madrid, wir hatten sie vielfach schon auf Busse in London beispielsweise. Interessanterweise haben wir die Diskussion über sofortige Verschärfungen der Sicherheitsmaßnahmen eigentlich nur im Flugverkehr. Ich bin jedenfalls beim Bahnfahren noch nie gescannt worden und das ist schon etwas verwunderlich.

    Engels: Jörg Handwerg, Pilot und Sprecher der Vereinigung Cockpit. Vielen Dank für diese Informationen und Ihre Einschätzungen.