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"Ich bin mehr als überrascht und auch ein Stück weit betroffen"

Dass ein Bundespräsident Kritik aushalten muss wegen seiner Äußerungen, das gehöre zur Demokratie, sagt Dieter Wiefelspütz - und ist dennoch wie "vom Donner gerührt".

31.05.2010
    Christoph Heinemann: Wir sind jetzt in Berlin telefonisch verbunden mit dem SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. Guten Tag.

    Dieter Wiefelspütz: Guten Tag. – Ich bin nicht in Berlin, sondern in Brüssel. Mich hat diese Nachricht auf einer Dienstreise in Richtung Europäische Union sehr überrascht. Ich bin mit meinen Kollegen in Brüssel und besuche die Kommission und das Europäische Parlament.

    Heinemann: Ihre Reaktion?

    Wiefelspütz: Vom Donner gerührt. Ich bin mehr als überrascht und auch ein Stück weit betroffen. Wir haben eine Situation, die schon eine Prüfung unseres Landes ist. Es ist das erste Mal, dass ein Bundespräsident zurückgetreten ist in der Geschichte unseres Landes.

    Heinemann: Haben Sie Verständnis für diesen Schritt auch nach der Härte der Kritik?

    Wiefelspütz: Dazu ist vielleicht doch zweierlei zu sagen. Der Bundespräsident hat sich sehr missverständlich, um es einmal freundlich zu sagen, geäußert in Sachen Aufgaben und Einsätze der Bundeswehr. Da muss er Kritik aushalten. Die ist auch deutlich ausgesprochen worden. Auch ein Bundespräsident, der sicherlich erwarten kann, dass man mit ihm respektvoll umgeht, steht nicht außerhalb der Kritik, wenn er ein Interview gibt, das so missverständlich ist wie das, um das es hier geht. Ich bin allerdings der Auffassung, dass es nicht unbedingt zu einem Rücktritt hätte führen müssen. Ein solcher Rücktritt ist natürlich zu respektieren. Das ist ja keine Entscheidung, die zu revidieren wäre. Aber dass ein Bundespräsident, wenn er sich exponiert öffentlich mit einer Rede, mit einem Interview, auch damit rechnen muss, dass er Kritik erfährt, ich glaube, das gehört zu einer freiheitlichen Demokratie, und das sind wir in Deutschland.

    Heinemann: Herr Wiefelspütz, wenn wir uns noch mal die Kritik vergegenwärtigen. Jürgen Trittin von den Grünen hat Horst Köhler zum Beispiel mit Heinrich Lübke verglichen, dem gelegentlich ungeschickt auftretenden zweiten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Traf diese Kritik zu, dieser Vergleich, oder war das nicht vollkommen überzogen?

    Wiefelspütz: Das mag sein, dass es bei diesen Kritiken auch das eine oder andere gegeben hat, was überzogen war. Es hat auch Kritik aus der SPD gegeben. Diese Kritik habe ich aber geteilt. Es gab die Kritik unseres Fraktions-Geschäftsführers Thomas Oppermann. Wenn ich ihn richtig jetzt zitiere, war sein Hinweis, dass man mit solchen Äußerungen wie die vom Bundespräsidenten die Akzeptanz der Bundeswehreinsätze in Frage stellt, die Akzeptanz bei unserer Bevölkerung, und ich glaube, das war eine sachlich gebotene Kritik, die war in Ordnung. Ich kann mich nicht erinnern, dass auch in dieser Debatte um die Äußerung des Bundespräsidenten Rücktrittsforderungen eine Rolle gespielt hätten. Ich sage noch einmal: ich halte die Kritik für weitgehend in Ordnung. Den Rücktritt habe ich nicht zwingend gesehen durch diese Kritik hervorgerufen und auch nicht durch die Äußerung selber, durch das Interview. Deswegen bin ich sehr überrascht und auch ein Stück weit bestürzt über diesen Vorgang, aber wir werden das so hinnehmen müssen, weil es die Entscheidung des Bundespräsidenten ist.

    Heinemann: Herr Wiefelspütz, Wolfgang Bosbach hat eben vorgeschlagen oder angedacht, ob es nicht vielleicht einen gemeinsamen Kandidaten von Regierung und Opposition geben könnte. Stimmen Sie dem zu? Ist das eine gute Idee?

    Wiefelspütz: Ich würde jetzt zunächst einmal dafür werben, dass man nachdenkt, und das Nachdenken muss auch nicht unbedingt öffentlich sein und in jedem Interview geäußert werden. Ich denke, das gebietet auch der Respekt vor der Amtstätigkeit des Bundespräsidenten. Das Ganze, dieser ganze Vorgang hat auch eine menschliche Dimension, das ist ein sehr bitterer Vorgang, das ist auch sehr, sehr schmerzlich, das sollten wir auch alle mal respektieren und würdigen, auch dem Bundespräsidenten danken für seine Amtstätigkeit. Aber ich glaube nicht, dass heute, wenige Minuten nach seinem Rücktritt, der richtige Zeitpunkt ist, jetzt schon darüber nachzudenken, jedenfalls nicht laut nachzudenken, wer das jetzt sein könnte. Wir haben in unserem Grundgesetz klare Regeln, wie das weitere abzulaufen hat. Innerhalb der nächsten 30 Tage wird ein Bundespräsident zu wählen sein, und da bleibt auch durchaus noch ein paar Tage Zeit, um sich das sorgfältig zu überlegen, und das wird sicherlich überall auch geschehen in allen Parteien.

    Heinemann: Danke schön! – Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

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