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"Ich bin sehr, sehr pessimistisch"

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel glaubt nicht an einen erfolgreichen Abschluss des UNO-Klimagipfels im mexikanischen Cancún. Es fehle die Führungsrolle Europas, sagte der ehemalige Umweltminister kurz vor dem Ende der Konferenz. Die Europäer hätten nicht den Mut gehabt, die Forderung nach einer Senkung der Treibhausgase um 30 Prozent bis zum Jahr 2020 ohne Bedingung zu stellen.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Christoph Heinemann | 10.12.2010
    Christoph Heinemann: Die UN-Klimaschutzkonferenz im mexikanischen Cancún ist ins Stocken geraten. Offiziell endet sie heute Nachmittag. Am Telefon ist jetzt der frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD. Guten Morgen.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Gabriel, ab wann kann man von einem Erfolg sprechen?

    Gabriel: Ein Erfolg wäre dann da, wenn sich die Industriestaaten verpflichten, deutlich mehr Minderungen beim CO2-Ausstoß vorzunehmen als bislang, aber die Entwicklungsländer, vor allem die großen wie China, Indien, sich bereitfinden würden, ihren Anstieg ihrer Klimagase zu verringern. Die müssen ja nicht absolut verringern, aber der durch die Industrialisierung vorhersehbare Anstieg, der muss deutlich reduziert werden. Aber ich glaube, ein Erfolg ist in Cancún überhaupt nicht zu erreichen, sondern es wird wenn überhaupt zu Formelkompromissen kommen. Das einzige echte Druckmittel ist, wenn Kyoto ausläuft und es kein Folgeabkommen gibt, dass dann auch beispielsweise die großen Entwicklungsländer wie China Schwierigkeiten haben werden, an Finanzmittel zur Förderung ihrer Energie- oder ihrer klimafreundlichen Energieproduktion zu kommen, und daran sind sie sehr interessiert. Das ist das einzige wirkliche Druckmittel. Gegen die USA gibt es überhaupt kein Druckmittel und ich glaube nicht, dass Obama auch nur den Hauch einer Chance hat, bei den Mehrheiten, die er jetzt zu Hause hat, und der Stimmung bei sich zu Hause, einem solchen Abkommen zuzustimmen. Ich bin sehr, sehr pessimistisch, was das angeht.

    Heinemann: Norbert Röttgen begreift den Klimawandel als Wachstumschance. Wieso setzt sich dieses Denken so langsam durch?

    Gabriel: Die Entwicklungsländer, vor allen Dingen China und ähnliche Länder, sind eigentlich viel härter in der Argumentation und sagen, alles, was ihr uns da vorschreiben wollt, das führt nur zu weiteren Belastungen unserer Industrie, ihr seid - das sagen die nicht so offen, aber im Grunde meinen sie das - Öko-Imperialisten, ihr habt Angst vor unserer Konkurrenz und ihr wollt uns hier Dinge auf die Schultern laden, die unsere Wirtschaft zu sehr belasten. Also das ist eigentlich eine sehr rückwärts gewandte Debatte, und was auch fehlt, ist inzwischen die Führungsrolle Europas. Europa hat sich ein bisschen rauskatapultiert aus der Führungsrolle, die sie hatten, weil sie sich nicht getraut haben. Ihre unkonditionierte Forderung, also ohne jede Bedingung zu sagen, Europa wird 30 Prozent seiner Klimagase bis 2020 senken, davon hat sich Europa verabschiedet und damit fehlt es an jeder Führungsrolle dort. Und da hat auch Deutschland seinen Anteil daran, denn auch in Deutschland hat ja die Bundesregierung einer solchen Führungsrolle nicht zugestimmt. Das war früher anders. Wir konnten als Europäer sehr kräftig auftreten dort, weil wir diese Führungsrolle innehatten. Aber jetzt gehören wir auch zu den Ländern, die nicht mehr, sagen wir mal, an das glauben, scheinbar, was wir den anderen predigen. Denn wenn Herr Röttgen sagt, das ist eine Chance auch für wirtschaftlichen Aufschwung, dann hat er ja recht. Aber dann stellt sich natürlich die Frage: Wenn Klimaschutz, neue Technologien, klimafreundliche Energieproduktion, wenn das eine Wachstumschance, ein Leitmarkt ist, warum sind wir dann nicht bereit, unsere Zusagen bedingungslos einzuhalten. Da sagen die natürlich zurecht, na ja, ihr scheint ja selber nicht an euer Konzept zu glauben.

    Heinemann: Wobei Deutschland doch die 30 Prozent durchaus ins Gespräch gebracht hat.

    Gabriel: Ja. Aber Europa ist nicht bereit gewesen, auch die Bundesregierung nicht, dieses minus 30 Prozent Treibhausgasziel bis 2020 ohne Bedingungen für sich selber im Grunde als Ziel zu setzen, weil wir haben das abhängig gemacht auch von anderen Staaten der Welt, dass die da mitmachen müssen, von einem internationalen Abkommen, und das ist natürlich sozusagen dann für die anderen das Zeichen dafür, ihr glaubt selbst gar nicht an euere Ziele. Das ist einfach das Problem.

    Heinemann: Hat aber doch wirtschaftliche Gründe, ganz einfach, um den heimischen Markt nicht zu benachteiligen?

    Gabriel: Augenblick! Entweder es stimmt, was Herr Röttgen sagt - und ich glaube, es stimmt -, dass Klimaschutz eine Chance für wirtschaftliches Wachstum ist, dann kann es keine wirtschaftlichen Nachteile haben, mit Energie sparsam umzugehen. Im Übrigen: die Lohnkosten in Deutschland zum Beispiel, die liegen bei 20 Prozent im verarbeitenden Gewerbe. Die Energie- und Rohstoffkosten liegen inzwischen bei weit über 40 Prozent. Das heißt, wer was für Klimaschutz tut - und das geht immer nur, indem man seinen fossilen Energieverbrauch reduziert -, der senkt gleichzeitig die Kosten unserer Unternehmen. Klimaschutz heißt mehr Wettbewerbsfähigkeit für uns, und das, glaube ich, ist ein Ziel, das die Europäische Union miteinander vertreten sollte. Aber nichtsdestotrotz: Es ist einfach so, dass es in solchen Verhandlungen immer eine offizielle Tagesordnung gibt und eine inoffizielle Tagesordnung. Die inoffizielle Tagesordnung ist die Frage, welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat das alles, und solange wir nicht bereit sind, über diese inoffizielle Tagesordnung fair und offen zu reden, solange das nur hinter verschlossenen Türen erscheint, solange wir keinen wirtschaftlichen Ausgleich zwischen reichen Nationen und armen Nationen schaffen, solange können die Verhandlungen am Ende nicht erfolgreich werden.

    Heinemann: Wir sprechen weiterhin mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, jetzt nicht mehr über Cancún, sondern über Berlin, genauer gesagt die Ergebnisse des Koalitionsausschusses. Vertagt wurden die Themen Fachkräftemangel und Vorratsdatenspeicherung. Dafür wird die Wehrpflicht ausgesetzt, das ist jetzt beschlossen, und Bescherung zu Weihnachten: 4,5 Milliarden Erleichterung für die Wirtschaft und 590 Millionen Steuervereinfachung für die Bürger. Herr Gabriel, freuen Sie sich über das Zubrot?

    Gabriel: Also, das ist ja auch ein starkes Stück, was da die Bundesregierung der Öffentlichkeit verkaufen will. 590 Millionen Entlastung für Arbeitnehmer!

    Heinemann: Vereinfachung, nicht Entlastung!

    Gabriel: Na doch. Sie sagen, das entlastet die Arbeitnehmer um 590 Millionen Euro. Und dagegen stehen drei Milliarden Mehrkosten bei der Gesundheit, eine Milliarde Mehrkosten beim Flugverkehr, 200 Millionen höhere Tabaksteuer. Das ist ja netto eine Belastung der Arbeitnehmer von 3,6 Milliarden. Da hat das Kabinett eine Nettolüge auf den Tisch gelegt und versucht, einfach durch ein paar schöne Zahlen den Eindruck zu vermitteln, die Arbeitnehmer hätten was davon. Es ist ja auch ziemlich ungleichgewichtig, wenn es stimmen würde, was ich auch nicht glaube, dass die Arbeitgeber oder die Unternehmen um vier Milliarden entlastet werden. Warum eigentlich die Arbeitnehmer nur um 590 Millionen bei gleichzeitiger Belastung von 4,2 Milliarden durch Mehrkosten bei der Gesundheit und Tabaksteuer und anderes mehr.

    Heinemann: Gibt der Haushalt denn mehr Geld für Steuersenkungen her?

    Gabriel: Nein. Ich glaube ja, dass das eigentliche Problem dieses Haushaltes ist, dass 60 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen, die wir aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums haben, für 60 Milliarden weniger Schulden eingesetzt werden müssen. Das macht Frau Merkel aber nicht, sondern sie legt sich eine Kriegskasse für die nächste Bundestagswahl an von immerhin 30 Milliarden Euro. Wir nehmen viel zu viele Kredite auf, die wir nicht aufnehmen müssten, damit Geld in der Kasse ist, und dann kurz vor der Wahl, da bin ich ganz sicher, wird die FDP mit der CDU gemeinsam ihre alte Steuersenkungsorgie noch mal auspacken, wo es vor allen Dingen um Besserverdienende geht, und dafür wird jetzt eine Kriegskasse angelegt. Ich finde, es gibt für alle Parteien, die Sozialdemokraten können nicht verlangen, dass neue Sozialausgaben gemacht werden, aber die CDU/CSU und die FDP dürfen nicht Versprechen Richtung Bundestagswahl machen für große Steuersenkungen, sondern 60 Milliarden Euro Mehreinnahmen muss heißen 60 Milliarden Euro weniger Schulden. Das wäre eine vernünftige Politik.

    Heinemann: Jetzt widersprechen Sie sich aber ein bisschen selbst. Sie haben eben beklagt, dass die Bürger zu wenig entlastet werden - das kann man ja so sehen -, gleichzeitig die geplante Entlastung, und sei es auch nur über den Umweg einer Kriegskasse, beklagen Sie jetzt auch wieder. Passt irgendwie nicht zusammen.

    Gabriel: Nein, nein. Ich habe mich nicht beklagt, dass sie zu wenig entlastet werden; ich habe gesagt, dass sie vorher belastet worden sind und dass es gar keine Entlastung gibt und dass das Taschenspielertricks sind, die da ablaufen.

    Heinemann: Also es fehlt die Entlastung unterm Strich?

    Gabriel: Nein, es geht ungerecht zu. Die einen werden belastet, indem zum Beispiel die privaten Krankenversicherungen sozusagen deutlich bevorteilt werden, die gesetzlich Versicherten aber in der Krankenkasse höhere Beiträge zahlen müssen. Nur die Arbeitnehmer werden in Zukunft die Lasten im Gesundheitswesen tragen, die Arbeitgeber nicht. Das heißt, es geht ausgesprochen unfair zu bei dem, was dort gemacht wird. Und ich meine, ich erinnere mal daran: Den Hoteliers sind ein paar Milliarden Euro durch Steuergeschenke gegeben worden, das Geld fehlt uns jetzt in der Bildung. Wir haben 100 Milliarden Euro vier großen Atomkonzernen zuschieben müssen über die Gesetzgebung der Bundesregierung. Das heißt, es geht ausgesprochen ungerecht zu. Und deswegen finde ich, dass der Vorwurf an die CDU/CSU und die FDP weiterhin berechtigt ist, sie bedienen einen Teil der Gesellschaft, dem es schon ganz gut geht, und sie vernachlässigen den anderen Teil, und das Wichtigste wäre, dass wir in Deutschland von den viel zu hohen Schulden herunterkommen, die wir wegen der Krise haben machen müssen, und da macht die Regierung zu wenig.

    Heinemann: Erinnern wir uns mal kurz an sozialdemokratische Fiskalpolitik. Die SPD hat Unternehmen die Steuerbefreiung bei Veräußerungsgewinnen beschert. Da konnten Unternehmen milliardenschwere Anteile verkloppen, ohne dass der Staat einen müden Cent Steuern gesehen hätte. Das war SPD pur. Mit welchem Recht kritisieren Sie jetzt diese schwarz-gelben Peanuts?

    Gabriel: Wenn Sie das schon ansprechen, ...

    Heinemann: Tue ich ja!

    Gabriel: ..., dann müssen Sie mal dazu sagen, dass es unter sozialdemokratischer Finanzpolitik gelungen ist, fast eine Nettokreditaufnahme von null zu erreichen.

    Heinemann: Wir sprachen aber über die Steuerbefreiung für Unternehmen.

    Gabriel: Jetzt müssen wir uns entscheiden, ob ich antworten darf.

    Heinemann: Ja, bitte!

    Gabriel: Oder ob Sie noch mal fragen wollen.

    Heinemann: Ja. Am besten antworten Sie auf meine Frage. Das wäre das Beste.

    Gabriel: Genau! Die Politik der SPD, die Sie angesprochen haben, hat dazu geführt, dass wir in Deutschland drastisch weniger Schulden machen mussten. Wir haben in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs dafür gesorgt, dass es attraktiv war, im Standort Deutschland zu investieren.

    Heinemann: Diese Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne hat dafür gesorgt?

    Gabriel: Das hat ja stattgefunden, sonst hätten wir ja nicht in dieser Zeit die Arbeitslosigkeit senken können, sonst wären wir nicht in dieser Zeit zu deutlich geringeren Schulden gekommen. Peer Steinbrück war kurz vor der Nettokreditaufnahme null, bevor die Finanzkrise kam. Und jetzt ist es so, dass die Investitionsquote in Deutschland außerordentlich schlecht ist, ohne die staatlichen Konjunkturprogramme. Das heißt, die Versprechungen, wenn man schon was macht im Steuerrecht, dann, finde ich, hätte es sein müssen, den Unternehmen zu sagen, passt auf, wenn ihr in Deutschland investiert, dann geben wir euch dafür Steuererleichterungen. Stattdessen ist es weiterhin attraktiver, sein Geld in sehr gefährliche Finanzmärkte in der Welt zu stecken, und wir wissen, dass das hohe Risiken birgt. Es geht schon um die Frage, schaffen wir Anreize, in Deutschland zu investieren, oder schaffen wir Anreize, das Geld ins Ausland zu bringen. Diese Regierung schafft keine Anreize für deutsche Investitionen.

    Heinemann: Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gabriel: Bitte! Tschüss!