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"Ich bin vorsichtig optimistisch"

Nach Einschätzung von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hat sich Afghanistan in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Zugleich mahnte er verstärkte Bemühungen für den Aufbau an. Noch seien nicht alle Truppen in dem Land, die von den Mitgliedsstaaten des Bündnisses versprochen worden seien. De Hoop Scheffer lobte Deutschland für seine "sehr gute Arbeit" im Norden des Landes.

    Engels Durch die Vergrößerung der NATO in den vergangenen Jahren ist es immer schwieriger geworden, die verschiedenen Interessen und Fähigkeiten der Mitglieder auszubalancieren. Für den NATO-Generalsekretär ein schwieriges Dauerproblem. Viele Themen wurden dazu auf der Tagung der parlamentarischen Versammlung der NATO in Berlin diskutiert. Im Vordergrund stand dabei der NATO-Einsatz in Afghanistan, der ambitionierteste Einsatz des Bündnisses im Ausland. Mein Kollege Wolfgang Labuhn hat Jaap de Hoop Scheffer in Berlin getroffen und den NATO-Generalsekretär gefragt, welche Bilanz er nach fast sieben Jahren NATO in Afghanistan zieht.

    de Hoop Scheffer Ich bin vorsichtig optimistisch, wenn man sich Afghanistan jetzt anschaut und auch bedenkt, dass in 2001 Afghanistan im Mittelalter war. Dann glaube ich, wenn man sich die Periode zwischen 2001 und 2008 anschaut, dass wir große Fortschritte gemacht haben, dass die Herausforderungen natürlich noch sehr groß sind, aber dass es auch große Teile Afghanistans gibt, wo es relativ - ich unterstreiche relativ - stabil ist. Ich bin also vorsichtig optimistisch, wenn Sie mich um eine Zwischenbilanz fragen.

    Labuhn Die Sicherheitslage aber hat sich anscheinend verschlechtert in den letzten Jahren. Nur ein Beispiel: Es gab 2007 fast 9000 bewaffnete Anschläge insgesamt auf Soldaten und auch auf zivile Helfer. Das waren zehnmal so viele Anschläge wie noch 2004. Zugleich ist die Opiumproduktion in Afghanistan auf ein Rekordniveau gestiegen. Woher kommt Ihr Optimismus?

    de Hoop Scheffer Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass die Zahl der Anschläge zu einer Verschlechterung der Sicherheitssituation leitet. Warum sage ich das? - Wir sehen ja jetzt Selbstmordattentate, Anschläge. Wir sehen Bomben auf den Straßen in Afghanistan. Das ist erstens kein Zeichen der Stärke der Taliban. Sie töten damit unschuldige afghanische Zivilisten, Bürger. Sie töten, die Taliban töten Hunderte und Tausende afghanische Bürger, nicht die NATO, aber die Taliban. Das ist meine erste Bemerkung.

    Meine zweite Bemerkung ist, dass ich wiederhole, dass es große Gebiete in Afghanistan gibt, die relativ sicher und stabil sind.

    Drittens: Ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft jetzt viel besser koordiniert ist, als es in den vergangenen Jahren Koordination oder Koordinierung gegeben hat.

    Viertens: Wir sehen jetzt die ersten Resultate von Gouverneuren in den Provinzen oder Polizeiführern, die nicht korrupt sind. Also auch die afghanische Regierung macht mehr in dem Kampf.

    Was die Drogen anbetrifft: Man kann nicht die NATO für alles verantwortlich halten. Die NATO hat keine Rolle, keine primäre Rolle beim Drogenproblem. Ich sage Ihnen, das ist natürlich ein riesiges Problem - an erster Stelle ein Verantwortlicher der afghanischen Regierung. Es gibt auch Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, die verantwortlich sind, um mitzuarbeiten. Es ist ein großes Problem, aber die NATO spielt da nicht erste Violine, wie wir das im Holländischen sagen. Die NATO versucht zu helfen bei dem Kampf gegen den Drogenanbau. Es ist ein riesiges Problem; das gebe ich zu.

    Labuhn Deutschland ist die Führungsnation im ISAF-Regionalkommando Nord und realisiert dort sein Konzept der vernetzten Sicherheit. Das heißt Bundeswehr und zivile Regierungsstellen und auch Nichtregierungsorganisationen wirken zusammen, um den Aufbau Afghanistans voranzutreiben. Andererseits leistet Deutschland keine Kampfeinsätze - weder im Norden, noch in anderen Regionen Afghanistans. Stimmt diese Aufgabenverteilung noch?

    de Hoop Scheffer Ja. Ich glaube im Großen und Ganzen stimmt das noch. Ich bin natürlich informiert über die Einsatzregeln der Bundeswehr. Deutschland macht sehr gute Arbeit im Norden. Deutschland übernimmt die Verantwortlichkeit für die Schnellen Einsatztruppen. Das ist eine sehr wichtige. Man kann doch nicht sagen, dass Deutschland nicht mitmacht. Aber ich kenne das Bundestagsmandat. Sie werden sich nicht erstaunen, wenn ich als NATO-Generalsekretär sage und wiederhole, dass je weniger Vorbehalte umso besser es sein würde. Aber es ist auch nicht ganz gerechtfertigt, um immer wieder Deutschland als die Ausnahme zu nehmen und Deutschland anzusprechen über diese Vorbehalte. Deutschland macht mit! Deutschland ist ein sehr wichtiger Truppensteller in Afghanistan. Und ich habe keinen Grund, Deutschland dafür zu kritisieren.

    Labuhn Sie haben die Schnelle Eingreiftruppe erwähnt, die "Quick Reaction Force", die Deutschland bald im Norden stellen wird. Diese "Quick Reaction Force" soll zum Beispiel eingesetzt werden falls nötig im Kampf gegen Taliban-Kräfte in der Nordregion. Können Sie sich vorstellen, dass diese deutsche "Quick Reaction Force" auch in anderen Teilen Afghanistans zum Einsatz kommt, etwa zur Unterstützung von anderen NATO-Truppen, falls das nötig ist?

    de Hoop Scheffer Im generellen Sinne nicht. Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Dann müsste es wirklich einen großen Notfall geben und dann müsste ja der amerikanische General, der die ISAF kommandiert, eine Bitte dafür organisieren. Das würde dann auch glaube ich mit Berlin koordiniert werden müssen. Im Generellen ist meine Antwort zu Ihrer Frage nein, das wird nicht passieren. Ich könnte mir theoretisch einen Notfall vorstellen, dass das passieren würde, aber dann gibt es auch einige Filter, um es so zu sagen, die eingebaut worden sind, um das dann auch zu diskutieren.

    Labuhn Herr Generalsekretär, wenn man sich die Sicherheitslage in Afghanistan anschaut, fast sieben Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes, dann hat man ein bisschen den Eindruck, als ob ISAF, als ob die NATO kein großes strategisches Konzept für das Land haben, dass die ausländischen Truppen, die dort Afghanistan helfen sollen, eher situativ reagieren auf bestimmte Ereignisse, auf Vorkommnisse, auf eingedrungene Taliban-Kräfte und so weiter - zum Beispiel auch deshalb, weil es nicht genügend NATO-Truppen in Afghanistan gibt. Sind hier auf Seiten der NATO Fehler gemacht worden, etwa bei der Truppenstärke?

    de Hoop Scheffer Fehler glaube ich nicht. Sie haben Recht, dass Sie sagen, dass es noch nicht alle Truppen in Afghanistan gibt, die es geben sollte. Das haben die Alliierten, die NATO-Mitgliedsstaaten versprochen und was sie versprochen haben, das müssen sie ja auch liefern.

    Labuhn Erwarten Sie auch mehr aus Deutschland?

    de Hoop Scheffer Nicht an erster Stelle. Ich weiß: Sie werden in Deutschland wieder eine Bundestagsdebatte haben im Herbst. Deutschland ist natürlich ein sehr wichtiger Truppensteller. Auch wenn man sich die Zahlen anschaut, dann ist Deutschland ein wichtiger Truppensteller. Wir brauchen bestimmt mehr Ausbildungsteams für die Ausbildung der afghanischen nationalen Armee. Aber im Großen und Ganzen kann man nicht sagen, dass die NATO keine Strategie hat. Wir haben eine Strategie! Wir haben einen Gipfel gehabt, wo sie ja alle zusammen waren: die Europäische Kommission, Solana, Japan, VN, die NATO-Mitgliedsstaaten, die Partnerstaaten der NATO. Also man kann nicht sagen, wir haben keine Strategie. Wir haben natürlich vor einigen Jahren ein Modell gewählt, wo die alliierten Mitgliedsstaaten für eine Provinz verantwortlich sind. Und wenn man sich natürlich die Entwicklungshilfe und dergleichen anschaut, dann macht Deutschland das ein wenig anders vielleicht als die Amerikaner oder als die Tschechen. Aber das sehe ich nicht als ein großes Problem. Wir haben eine Strategie; das ist klar.

    Labuhn Wie lange muss die NATO noch in Afghanistan bleiben?

    de Hoop Scheffer Ich sage immer für die vorhersehbare Zukunft. Entwicklungshilfe, "Nation Building", um es im Englischen zu sagen, das dauert vielleicht eine Generation. Je mehr Erfolg wir haben in den Ausbildungen der afghanischen nationalen Armee, je besser werden sie, die Afghanen selbst im Stande sein, Verantwortung zu übernehmen für ihre eigene Sicherheit. Aber ich glaube, dass eine NATO-Militärpräsenz für die vorhersehbare Zukunft notwendig bleibt.

    Engels NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer im Gespräch mit meinem Kollegen Wolfgang Labuhn.